Vom Besuch des Kanzlers im Kleinwalsertal gibt es keine anderen Agenturbilder, weshalb DER STANDARD in diesem Fall auf Fotos der Presseabteilung des Bundeskanzleramtes zurückgegriffen hat.

Foto: BUNDESKANZLERAMT/DRAGAN TATIC

Mittelberg/Rankweil – Die Bilder vom Kanzlerbesuch im Kleinwalsertal am Mittwochabend sorgen für Kritik. Sebastian Kurz (ÖVP) stattete bei seinem ersten Außentermin seit Beginn der Corona-Krise der Vorarlberger Enklave einen Besuch ab. Dabei kam es zu einem regelrechten Bad in der Menge, das allen geltenden Abstandsregeln widerspricht. Doch den Kanzler treffe daran keine Schuld, betont sein Sprecher Johannes Frischmann. Es sei kein Treffen mit der Bevölkerung vorgesehen gewesen, und als es dann doch dazu kam, habe Kurz mehrmals versucht, die Menschen darauf hinzuweisen, den Abstand einzuhalten.

Im Video der "Vorarlberger Nachrichten" ist zu sehen, wie Kanzler Kurz im Kleinwalsertal eintrifft.
Vorarlberger Nachrichten

Der Ablauf war eigentlich anders geplant, wie auch Frischmann bestätigt. Kurz wurde gegen 20 Uhr am Grenzübergang erwartet. Denn die Enklave Kleinwalsertal ist zwar österreichisches Staatsgebiet, aber nur von Deutschland aus zu erreichen. Diese Sondersituation war auch der Grund dafür, dass Kurz ausgerechnet dieses Tal mit seinen rund 5.000 Einwohnern als Ziel seiner ersten Reise nach dem Lockdown ausgesucht hatte. Es war der erste Besuch eines Bundeskanzlers im Kleinwalsertal, seit Bruno Kreisky 1973 per Hubschrauber eingeflogen wurde.

Sondersituation als Besuchsgrund

Das zwölf Kilometer lange Tal lebt vom Tourismus und verzeichnet rund 1,8 Millionen Nächtigungen pro Jahr. Durch die Grenzschließung zu Deutschland litt man hier besonders unter den Beschränkungen im Zuge der Corona-Krise. Sechs Wochen lang war das Tal praktisch völlig von der Außenwelt abgeschottet, weil die Grenze zu Bayern dicht war. Der Kanzler wollte den Menschen für ihre Geduld danken und ihnen Mut zusprechen, heißt es zur Begründung des Besuchs. Dass er nun mit der Ankündigung, dass die Grenzen bald öffnen werden, im Gepäck anreiste, sei ein reiner Zufall gewesen.

Jedenfalls ging es am Mittwochabend vom Grenzübergang aus, wo ein kurzer Medientermin stattfand, weiter zum Walserhaus, wo zweimal 30 Minuten lange Gespräche in Kleingruppen mit Vertretern aus der Talschaft geplant waren. Eigentlich sollte der Konvoi von Kurz zum Hintereingang des Gebäudes fahren. Doch dazu kam es nicht. Der Kanzler nutzte den Vordereingang, wo – da gehen die Angaben auseinander – zwischen 100 und 150 Schaulustige auf ihn warteten.

Konvoi sei in Menge steckengeblieben

Sein Sprecher Frischmann sagt, der Konvoi sei in der Menschenmenge steckengeblieben, weshalb man den Plan ändern musste und Kurz das Auto verließ, um den Vordereingang zu benutzen. Eine anderslautende Version dieser Szene wurde dem STANDARD aus dem Kleinwalsertal zugetragen. Demnach habe der Kanzler angesichts der wartenden Fans selbst verfügt, dass er lieber den Vordereingang nutzen wolle. Sein Sprecher Frischmann dementiert das entschieden.

Zum Beweis verbreitet der Stab von Kurz das Bild eines Aushangs, auf dem die Gemeinde die Bewohner informiert hatte, dass es sich beim Kanzlerbesuch um ein Arbeitstreffen handle und keine öffentliche Veranstaltung. Daher sei es zu unterlassen, sich der Delegation anzunähern, und die Pflicht zum Mindestabstand sowie dem Schutzmaskentragen bei Unterschreitung desselben seien zu befolgen. Allerdings hatte die Gemeinde ihre Bürger vor dem Besuch des Kanzlers ebenfalls informiert, dass man sich über eine Beflaggung der Häuser entlang der Fahrtstrecke sowie "Bekundungen" freuen würde.

Neos erstatten Anzeige

Das dürften einige Bewohner missverstanden habe. Jedenfalls fanden sich vor dem Walserhaus an dem Abend zahlreiche Schaulustige und Kurz-Fans ein, zum Kanzlerschauen. Die Bilder dieser Szenen haben bereits Kritiker anderer Parteien auf den Plan gerufen, die Kurz und Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) vorwerfen, die strengen Regeln, die man der Bevölkerung auferlegt habe, selbst nicht ernst zu nehmen. Die Vorarlberger SPÖ und auch die Grünen kritisieren die "Selbstinszenierung" unter Missachtung möglicher Gefahren. Neos-Nationalratsabgeordneter Sepp Schellhorn kündigte an, gegen Kurz Anzeige einzubringen.

Am Donnerstag ging es für den Kanzler weiter nach Rankweil, wo unter Ausschluss der Medien und der Öffentlichkeit ein Treffen mit Unternehmern stattfand. Der Ort des Treffens, die Firma Hirschmann Automotive, ist allerdings etwas pikant. Denn die Eigentümer sind die Brüder Franz und Roman Rauch von der gleichnamigen Fruchtsaftdynastie. Rauch ist Abfüller für Red Bull, in den Gemeinden Ludesch und Nüziders werden täglich Millionen Dosen für den Energydrink-Konzern produziert. Die Gebrüder Rauch sind zugleich Großspender des türkisen Wahlkampfs gewesen.

Zu Besuch bei Großspendern

Über Tochterfirmen ließen sie der Bundes-ÖVP seit 2017 mehr als 200.000 Euro an Parteispenden zukommen. Diese Spenden wurden zum Thema, als es im Vorjahr um eine geplante Betriebserweiterung von Rauch in Ludesch ging. Dagegen liefen Anrainer und Umweltschützer Sturm. Mit Erfolg, die Erweiterung wurde im November durch eine Abstimmung verhindert. Das Treffen in Rankweil soll der Vorarlberger Wirtschaftsbund federführend mitorganisiert haben.

Dass der Kanzler nun ein Unternehmen der Rauch-Brüder besucht, sei aber reiner Zufall, wie es seitens seines Sprechers heißt. Er treffe dort acht oder neun Unternehmer, von denen man nicht einmal wisse, wer sie sind, zu Gesprächen. Der Bundeskanzler wolle ihnen zuhören und erfahren, welche Themen sie aktuell in Zeiten der Corona-Krise beschäftigen.

Grenzvisite Liechtenstein, dann nach Tirol

Nach einem kurzen Abstecher an die Grenze zu Liechtenstein, wo Kurz den dortigen Regierungschef Adrian Hasler zu einem Gespräch traf, fuhr er weiter nach Innsbruck. Dort stand ein Treffen mit Vertretern des Pharmakonzerns Novartis am Programm. Dabei ging es um die Sicherung des Produktionsstandorts Tirol für Antibiotika. Denn in der Corona-Krise habe sich gezeigt, wie wichtig es sei, die Versorgung mit medizinischen Produkten im Land zu sichern. Novartis ist einer der letzten großen Antibiotika-Hersteller Europas und produziert im Tiroler Kundl. Zuletzt sorgten Gerüchte einer Abwanderung für Unruhe.

In Innsbruck traf der Kanzler zum Abschluss seiner Westösterreich-Tour Medienvertreter und beantwortete auch Fragen zu Ischgl. Er betonte, dass er keine voreiligen Schuldzuweisungen unterstütze und die Aufarbeitung der Ereignisse abwarten wolle. Die "zu starke Fokussierung auf nur einen Ort" halte er angesichts eines Virus, das sich weltweit verbreitete, für problematisch. "Wenn es aber Fehlverhalten gab, muss es aufgearbeitet werden", so der Kanzler. Er sei aber überzeugt, dass niemand absichtlich etwas falsch gemacht habe.

Kurz verteidigt Quarantäne

Die Entscheidung, das Paznaun und St. Anton am Arlberg am 13. März unter Quarantäne zu stellen, verteidigte Kurz nachträglich: "Mir war wichtig, entschlossen und hart zu reagieren." Es sei dabei nicht über jemanden hinweg entschieden worden, antwortete er auf die Frage, warum er an diesem Freitag im Rahmen eines TV-Auftrittes diese Entscheidung mit sofortiger bekannt gab. Denn das geschah nur wenige Stunden nachdem Landeshauptmann Platter verkündet hatte, die Saison mit 15. März geordnet beenden zu wollen. Kurz hielt fest, er habe sich vorab mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) abgestimmt.

Insgesamt zeigte sich Kurz erfreut über die rückläufigen Infektionszahlen in Tirol. Zugleich betonte er im Beisein von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP), wie wichtig es sei, nun Unternehmer zu unterstützen. Schramböck sprach in dem Zusammenhang von "wirtschaftlicher Landesverteidigung", die angesichts der aktuellen Weltwirtschaftskrise nötig sei. Neben den passenden Rahmenbedingungen für Unternehmer, gelte es die Grundlage für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen zu sichern. (Steffen Arora, 14.5.2020)