Ein Australischer Schlangenhalsvogel (Anhinga novaehollandiae) trocknet nach dem Tauchen sein Gefieder. Mit 120 Zentimetern Flügelspannweite ist es ein beeindruckender Vogel, doch sein ausgestorbener Verwandter aus Europa war noch größer.
Foto: Gerald Mayr, Senckenberg

Der namensgebende Körperteil ist nicht die einzige anatomische Besonderheit der Schlangenhalsvögel (Anhinga), aber die auffälligste. Lang und S-förmig gebogen, ragt er aus dem Wasser, wenn die Tiere auf der Jagd sind. Haben sie einen Fisch erspäht, lassen sie den Hals nach vorne schnellen und spießen ihre Beute mit dem langen, spitzen Schnabel auf. Auf Englisch werden sie deshalb "Darter" genannt.

Dass man von diesen mit den Kormoranen verwandten Vögeln beim Schwimmen tatsächlich nur den Schlangenhals sieht, liegt an einer weiteren Besonderheit: Für Vogelverhältnisse enthalten ihre Knochen kaum luftgefüllte Hohlräume. Der Auftrieb ist damit minimiert, und der ganze Rumpf bleibt unter Wasser.

Neuer Fund

Heute gibt es Schlangenhalsvögel nur noch in den Tropen. Doch im Miozän, als es auch in Europa noch sehr warm war, kamen sie offenbar auch auf unserem Kontinent vor. Das belegt ein Fossil, von dem die Universität Tübingen berichtet. Wissenschafter des Senckenberg-Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt und der Uni Tübingen fanden 11,5 Millionen Jahre alte Knochen eines solchen Tiers in der Hammerschmiede im Allgäu, einer bekannten Fossilienfundstätte.

Die Spezies mit der Bezeichnung Anhinga pannonica war zwar bereits bekannt, der neue Fund gibt aber neue Einblicke und stammt von einem echten Prachtexemplar. Mit einer Flügelspannweite von wahrscheinlich mehr als 150 Zentimetern war das Tier etwa 30 Prozent größer als heutige Schlangenhalsvögel. Und mit etwa 3,3 Kilo Masse war es sogar mehr als doppelt so schwer wie seine heute lebenden Verwandten.

Die Knochen des Tiers aus der Hammerschmiede. Der frisch aussehende Oberarmknochen rechts außen stammt von einem heutigen Amerikanischen Schlangenhalsvogel und verdeutlicht den Größenunterschied.
Foto: Gerald Mayr, Senckenberg

"Sehr große ausgestorbene Schlangenhalsvögel sind vor allem aus Südamerika bekannt, doch die neuen Funde dokumentieren, dass diese Vögel deutlich weiter verbreitet waren als bisher vermutet", sagt Studienleiter Gerald Mayr vom Senckenberg-Forschungsinstitut. "Das Vorkommen dieser heute nur in den Tropen lebenden Vogelgruppe belegt zudem eindrücklich die Unterschiede zwischen der heutigen Vogelwelt im Voralpenland und dem mehr als elf Millionen Jahre alten Ökosystem der Hammerschmiede."

Weit verbreitet und offenbar langfristig erfolgreich

In ihrer Studie identifizieren die Wissenschafter auch weitere Funde von Anhinga pannonica aus Bayern, die bislang für Kormorane gehalten worden waren. Sie sind 16 Millionen Jahre alt und damit die ältesten Vertreter dieser Art der Schlangenhalsvögel, die vor sechs Millionen Jahren ausstarb. Funde liegen von Deutschland bis Kenia vor – ein klares Zeichen dafür, dass es in Europa im Miozän deutlich wärmer war als heute.

Zugleich belegen die Funde, dass Anhinga pannonica sehr viel länger existierte als bislang bekannt: "Mit etwa zehn Millionen Jahren ist diese Spezies außergewöhnlich langlebig, eine Art Methusalem selbst unter Vögeln. Säugetierarten erreichen hingegen nur eine Existenzdauer von etwa 2,5 Millionen Jahren", sagt Mayrs Fachkollegin Madelaine Böhme. (red, 15. 5. 2020)