Während in den USA darüber gestritten wird, wann die Wirtschaft hochgefahren werden soll, kanalisiert sich der Frust auf Bill Gates.

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Im Frühjahr 2015 ließ er den Alarmwecker zum ersten Mal schrillen. Bill Gates karrte ein olivgrünes Fass auf eine Konferenzbühne in Vancouver, ein Fass, auf dem stand, dass darin Überlebensvorräte aufbewahrt werden. Im Falle eines Atomkriegs, erinnerte der 64 Jahre alte Microsoft-Gründer an seine Kindheit, hätten die Amerikaner in Kellern von dem leben müssen, was sie auf Anraten ihrer Regierung in den Fässern lagern sollten. Von Konserven und abgefülltem Wasser.

"Als ich ein Kind war", sagte Gates, "war ein Atomkrieg die Katastrophe, vor der wir am meisten Angst hatten." Dann ließ er Bilder einblenden: erst die Pilzwolke nach einer Atombombenexplosion, im Anschluss, vielfach vergrößert, das Modell eines Grippevirus mit seinen charakteristischen Stacheln. Wenn irgendetwas in den nächsten Dekaden mehr als zehn Millionen Menschen töte, orakelte er, werde es wohl kein Krieg sein, sondern ein hochansteckendes Virus – "nicht Raketen, sondern Mikroben". Dafür müsse man unbedingt üben, dafür müssten die Staaten Bakterienmanöver abhalten, an Computern Krisenfälle simulieren, so wie das Militär bei Manövern für einen bewaffneten Konflikt trainiere. "Wenn wir jetzt damit anfangen, sind wir vielleicht gewappnet für die nächste Epidemie."

Bizarre Theorien

Der Auftritt in der kanadischen Stadt, für Anhänger bizarrer Verschwörungstheorien ist er ein Indiz dafür, dass Gates schon damals wusste, was 2020 auf die Menschheit zukommen würde. Mehr noch, dass er es plante. Von einem Profitgeier ist die Rede, der sich, finanziell an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus beteiligt, sein 106 Milliarden Dollar großes Vermögen enorm aufstocken werde, wenn der Impfstoff erst hergestellt sei. Von einem kontrollbesessenen Hightech-Freak, der den Menschen Mikrochips einpflanzen wolle, vordergründig, um Immunität auszuweisen, tatsächlich, um sie rund um die Uhr zu überwachen.

Die Idee einer Corona-App diene allein dem Zweck totaler Kontrolle, schnitt Laura Ingraham, eine Moderatorin des rechtskonservativen Senders Fox News, bereits vor Wochen ein anderes kontrovers diskutiertes Thema an. "Jeden Schritt, den Amerikaner tun, digital zu verfolgen, davon träumen die Globalisten doch schon seit Jahren." Ein Globalist ist in der Wortwahl von Anhängern Donald Trumps, wer sich der liberalen Weltordnung verpflichtet fühlt, und Gates gilt neuerdings als eine Art Erzglobalist, als Lieblingsfeind des "America first". Ob er bei der Schaffung und Verbreitung des Coronavirus eine Rolle gespielt habe, darüber müsse man in schonungsloser Offenheit debattieren, meint Roger Stone, ein alter Vertrauter Trumps.

Feindbild der Impfgegner

Kritik kommt aber auch aus einer Ecke, aus der man sie nicht unbedingt erwartet hätte. Robert F. Kennedy junior, Neffe des Präsidenten John F. Kennedy, der Parteifarbe nach Demokrat, wirft dem Multimilliardär vor, die Corona-Forschungen nur deshalb zu unterstützen, weil er in der Pose des Wohltäters für seine eigentlichen Geschäftsinteressen werben wolle. RFK junior leitet "Children's Health Defense", ein Netzwerk von Impfgegnern.

Gates, der Philanthrop, zog sich 2008 aus der Unternehmensführung von Microsoft zurück, um sich seiner Stiftung zu widmen. Sicher auch, um sein Image aufzupolieren, um ein Statussymbol zu pflegen, was Milliardärskollegen wie Warren Buffett oder Michael Bloomberg maßgeblich zu karitativem Engagement motiviert. Die Bill & Melinda Gates Foundation organisiert Impfkampagnen in ärmeren Ländern, sie wirbt im Sinne der Familienplanung für Verhütungsmittel, in den USA unterstützt sie Bildungsprogramme. Mit einem Kapital von 47 Milliarden Dollar ist sie die größte gemeinnützige Organisation der Welt. In der Corona-Krise finanziert sie mehrere Projekte zur Suche nach einer Impfung.

Unterstützung für Mediziner

Angefangen hat es im Jänner. Während für die elf Millionen Bewohner Wuhans der Lockdown begann, sagte die Stiftung Finanzspritzen für Mediziner in China und Afrika zu. Mitte Februar richtete Gates ein Treffen von Epidemiologen und anderen Gesundheitsexperten aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Covid-19 innerhalb Chinas eindämmen lasse, sehe er bei unter 25 Prozent, soll er die Lage hinterher im Kreis führender Mitarbeiter analysiert haben. Im "New England Journal of Medicine", einer in Boston herausgegebenen Fachzeitschrift, schrieb er schon damals von einer Pandemie, die sich über den gesamten Globus auszubreiten drohe. Sars-CoV-2 verhalte sich inzwischen wie jener "Einmal-in-einem-Jahrhundert-Erreger", den er so gefürchtet habe.

Im April, als Trump ankündigte, der Weltgesundheitsorganisation die Mittel zu streichen, hielt er entschieden dagegen: "Wir brauchen die WHO. Sie in ihrer Arbeit zu behindern, indem man jetzt alle möglichen Ermittlungen anschiebt – ich begreife es nicht." Wenn die WHO nämlich tatsächlich etwas benötige, dann sei es mehr Geld.

Warnung vor Feindbildern

Während Trump auf eine Kollision mit China zusteuert, während der Präsident von Vergeltung spricht, warnt Gates vor der Versuchung, allzu simple Feindbilder an die Wand zu malen. Gewiss, China müsste offener sein, es müsste internationalen Experten gestatten, in Wuhan nach dem Ursprung der Krankheit zu suchen. Er beobachte aber auch eine Art Rasterdenken, fügt er an. Wann immer etwas dramatisch Neues passiere, nähmen die meisten Menschen althergebrachte Kritik an dem jeweiligen Land zur Grundlage, um sie de facto zu wiederholen. "Ich denke, wir sollten konkreter werden." Im Moment sehe er nicht, "dass jemand, was den Ursprung der Krankheit betrifft, etwas bewusst zurückhält". Dafür bekommt er von der Trump-Fraktion den Vorwurf zu hören, er lasse sich des Geschäfts wegen zum Sprachrohr Pekings machen.

Streit um Normalisierung

Dann wären da noch die ausgesprochen nüchternen Töne aus dem Munde eines Mannes, der sich früher als ungeduldigen Optimisten bezeichnete. Er verstehe, schrieb Gates neulich in der "Washington Post", dass sich der Diskurs nunmehr der Frage zuwende: Wann können wir zurückkehren zur Normalität? Das Herunterfahren der Wirtschaft habe vielen Menschen unermesslichen Schmerz zugefügt, sei es durch Jobverlust, sei es durch Isolation. "Die Leute können es kaum erwarten, den Laden wieder in Schwung zu bringen. Der Wille ist da, aber den Weg gibt es leider noch nicht." Bevor man zu business as usual zurückkehren könne, müsse ein Impfstoff zur Verfügung stehen, in großen Mengen. Und wenn es so weit sei, gehe es darum, alle fast acht Milliarden Erdbewohner vor dem Virus zu schützen. (Frank Herrmann, 15.5.2020)