Im Gastkommentar fordern Community-Building-Strategin Clara Gallistl und Regisseurin Sara Ostertag eine umfassende Zusammenarbeit zwischen Institutionen und freien Kunstschaffenden, grundlegende Änderungen der Förderstruktur und nachhaltige Wertschätzung des Kulturbereichs.

"Wir wissen, wer wir sind, aber wir wissen nicht, wer wir sein können" – diese Frage stellen sich Hamlet und der Covid-19-gebeutelte Kunst- und Kultursektor gleichermaßen. Allerorts wird nach mehr Geld, nach Heftpflastern gerufen. Doch wir wollen auch davon träumen, was jetzt möglich werden könnte: ein nachhaltiges System der Zusammenarbeit zwischen den kulturellen Institutionen und freien Künstlerinnen und Künstlern.

Bessere Rahmenbedingungen

Die Kulturpolitik der "Kulturnation Österreich", die – wie sie immer wieder betont – ein so relevantes wirtschaftliches Tourismuskapital verwaltet, hat jetzt die Chance, viele vergangene Fehler gutzumachen. Es ist jetzt an der Zeit, einfach zugängliche Rahmenbedingungen für die solidarische Zusammenarbeit zwischen Institutionen und freien Theaterschaffenden zu erstellen. In Bayern wird den Künstlerinnen und Künstlern ein Grundeinkommen von 1000 Euro pro Monat zugewiesen – allerdings nur für maximal drei Monate. Und danach? Sind die Kunstschaffenden wieder auf sich allein gestellt, wie Einzelunternehmerinnen und Einzelunternehmer anderer Branchen.

"It is like it is" nennt Dennis Josef Meseg eine Corona-Kunstinstallation, die auf den Stillstand in der Gesellschaft hinweist.
Foto: Imago / Future Image / Christoph Hardt

Worüber jetzt nachgedacht werden sollte, sind die Potenziale, die in Zusammenarbeit zwischen Institutionen und freien Kunstschaffenden liegen. So könnte beispielsweise der ORF in seiner TVThek einen Streamingbereich für österreichische Theaterproduktionen oder Konzerte einrichten. Damit müssten Kulturinstitutionen nicht auf Youtube zurückgreifen, kleine Bühnen würden Ressourcen sparen, weil man sich nicht mit technischen Details auseinandersetzen müsste, und die ganze Branche könnte ihr Publikum bündeln und gleichzeitig ihr Programm Kulturinteressierten vorstellen. Zusammenarbeit würde es ermöglichen, Ressourcen miteinander zu teilen. Das National Theater London etwa bietet seine Online-Reichweite nun auch kleinen Theatern an und streamt ein Stück der Mittelbühne YoungVic.

Eine innovative Verbesserung des österreichischen Kunst- und Kultursystems könnte zu nachhaltigen Allianzen, einer besseren Förderstruktur und einer echten Wertschätzung führen.

  • Der Aufbau nachhaltiger Allianzen zwischen Institutionen und Freischaffenden macht Räume und Infrastrukturen teilbar. Kleinbühnen könnten mit benachbarten Museen kooperieren, der ORF mit den Mittelbühnen. Der freien Szene könnten strukturelle Nutzungsmöglichkeiten der großen Bühnen eingeräumt werden. Die Zugänglichkeit zu Werkstätten, technischem Equipment, betriebswirtschaftlichem Know-how könnte erhöht werden. In Deutschland arbeitet das Modell "Doppelpass" in die Richtung der besseren Vernetzung, allerdings nicht systemisch verankert. Am Beispiel der Räume zeigt sich der Mangel an Öffnung deutlich: Vieles steht leer, Proberäume, Studios, Bühnen – wieso können diese Räume nicht von Kolleginnen und Kollegen in der Szene genutzt werden?
  • Die Änderung der Förderstruktur hin zu langfristigen Subventionen würde Know-how bündeln und echte Innovation ermöglichen. Solange das Fördersystem mehrheitlich einzelne Projekte fördert, müssen Kunstschaffende von Projekt zu Projekt denken und können keine Ressourcen in den nachhaltigen Aufbau von absichernden Strukturen investieren. Konkret würde diese Umstellung bedeuten, dass weniger Kunst- und Kulturvereine mit mehr Kapital ausgestattet werden. Der große Traum von pensionswirksamen Anstellungsverhältnissen im Kunst- und Kulturbereich könnte durch langfristige Subventionen endlich erreicht werden.
  • Echte Wertschätzung des Kunst- und Kulturschaffens ist derzeit wenig zu spüren. Die heimische Kultur sehnt sich nach der politischen Aufmerksamkeit, die Harald Mahrer erfolgreich der Wirtshauskultur, die "untrennbar mit der heimischen Kultur verbunden" ist, wie er vergangene Woche auf der WKO-Seite postulierte, angedeihen lässt. So wertschätzend die Runden Tische, die derzeit allerorts geführt werden, sind, brauchen Kunst- und Kulturschaffende nachhaltige, ehrliche Wertschätzung seitens der Regierungen Österreichs. Warum dürfen Menschen in Österreich ihr Geld in die Gastronomie, nicht aber in die Kulturbetriebe tragen?
    Konkret würde Wertschätzung etwa die unkomplizierte Zugänglichkeit zu Informationen aus der Verwaltung bedeuten. Aktive Beratung durch die Ämter, ständige Ansprechpersonen, die die Arbeitsweise und Bedürfnisse der Kunst- und Kulturbranche kennen, und gemeinsame, breite Außenkommunikation des spannenden, vielfältigen und lebendigen Kulturschaffens in Österreich. (Clara Gallistl, Sara Ostertag, 15.5.2020)