So haben sich die Marketingberater des Bundeskanzlers das wohl nicht vorgestellt. Da ist gewaltig etwas schiefgelaufen beim Besuch von Sebastian Kurz im Kleinen Walsertal.

Zwei Monate lang hatte der türkise Regierungschef mit seinen grünen Ministerpartnern der Nation eines eingeschärft: "Bitte, Abstand halten!!!" Nur so sei die Verbreitung des Coronavirus mit einer Reihe anderer restriktiver Maßnahmen, die Freiheitsrechte der Bürger einschränken, zu verhindern.

Das ist gelungen. Österreich hat aktuell nur tausend Infizierte, beachtlich wenig im EU-Vergleich. Es ist ein Erfolg, der zuerst darauf zurückgeht, dass die Bürger sich grosso modo vernünftig verhielten, auch wenn viel geschimpft wird. Maskenpflicht. Die Strafen der Polizei, wenn sich Menschen zu Gruppen versammeln. Und nach den Wirten macht nun die Kunst- und Kulturszene verzweifelt darauf aufmerksam, dass es ihr an die Existenz geht, wenn die strikten Auflagen nicht bald gelockert werden.

Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Besuch im Kleinen Walsertal.
Foto: imago/Nordphoto/Hafner

Umso mehr und zu Recht konnten viele sich gefrotzelt fühlen, als Videos vom Kanzlerauftritt im Walsertal via soziale Medien verbreitet wurden. Dort, wo mit Bruno Kreisky zuletzt 1973 ein Kanzler auf Besuch war, wollte Kurz politisch profitieren, künftige Grenzöffnungen und Lockerungen feiern lassen und natürlich sich selbst – als Befreier der Walsertaler.

Murmeltier statt Babyelefant

Die waren aufgefordert, ihre Häuser zu beflaggen, dem Gast aus der Ferne zu winken. Aber es kam anders, als Kurz hoffte. Rund 200 Menschen drängten sich eng zusammen, mittendrin der Kanzler, ohne Mundschutz, manche im Abstand eines Murmeltiers statt des Babyelefanten, der in Wien als Maß der sozialen Distanzierung gilt. Kurz schien überrascht, forderte auf, die Abstandsregeln einzuhalten, aber da lachten die Leute nur. Zurück blieben Bilder eines Kanzlers, der den Bürgern härteste Isolationsmaßnahmen zumutete, selber aber ein politikertypisches Bad in der Menge nahm. Eine verheerende Symbolik – virusverseucht.

Dementsprechend empört waren die Oppositionsparteien, zu Recht. Kurz sollte sich öffentlich entschuldigen, Verantwortung übernehmen. Es wäre für ihn ein Leichtes gewesen, diese Veranstaltung sofort abzubrechen, als er sah, was kommt. Die ganze Sache weist aber auch auf eine ernste Herausforderung hin, die auf die offene Gesellschaft, die Demokratie, die politische Praxis im Alltag von Corona-Zeiten zukommt. Solange das Virus eine Gefahr ist, werden Wahlen, Vorwahlen und Wahlkämpfe nicht mehr stattfinden können, wie wir das gewohnt sind. Menschenaufläufe vor Werbeständen von Parteien? Verboten. Wahlkampfkundgebungen? Kaum.

Der missglückte Kanzlerauftritt zeigt, dass der "große Auftritt", der Stimmung macht und Stimmen bringt, vorläufig ausfällt. Die Politik wird sich umso mehr anderer, vor allem digitaler Kommunikationsformen mit den Bürgern bedienen müssen. Gestylte Fernsehauftritte werden noch wichtiger, Facebook und Twitter ohnehin.

Ob das die Qualität der Politik hebt? In den USA zeigt sich gerade, dass Joe Biden, Präsidentschaftskandidat der Demokraten gegen Donald Trump, Startprobleme hat, weil er nur schwer "rauskommt" – im Wortsinn.

Wie in der Arbeitswelt wird auch in der Politik der persönliche Kontakt zurückgedrängt. Virtuelle Begegnungen und Lieferungen ins Haus werden wichtiger. Bürgernähe stellt man sich anders vor. Der missglückte Ausflug des Kanzlers war doppelt alarmierend. (Thomas Mayer, 14.5.2020)