"Kritik ist das Salz der Demokratie", sagte Ulrike Lunacek bei ihrem Abschied.

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Ulrike Lunacek hat mit Krisen bisher keine guten Erfahrungen gemacht. Positiv anrechnen müssen ihr die Grünen wohl, dass sie zur Verfügung steht, wenn es brennt. Für das Wahldesaster der Partei im Jahr 2017 hielt Lunacek ihren Kopf hin. Nun ist es die fortwährende Kritik aus der Kunstszene, die die Kulturstaatssekretärin zum Rücktritt zwingt. Mit der Misere ließ man Lunacek in der Regierung zumindest öffentlich alleine im Regen stehen, auch eine vehemente Verteidigung seitens der Grünen blieb aus.

Die über Jahre hinweg anerkannte Europapolitikern verwaltete gemeinsam mit der Tiroler Grünen-Chefin Ingrid Felipe nach dem unerwarteten Rücktritt von Eva Glawischnig 2017 eine absehbare Wahlniederlage. Bis zur Wahl blieb Lunacek blass, ihre langjährige Erfahrung in hochrangigen EU-Positionen – etwa als Vizepräsidentin des Parlaments und Kosovo-Berichterstatterin – konnte sie im monothematischen Flüchtlingswahlkampf nicht ausspielen. Das Wahlergebnis geriet zum absoluten Desaster. Die Grünen verfehlten die Vierprozenthürde und flogen hochkant aus dem Nationalrat.

Das Duo Lunacek und Felipe war passé, die langjährige Europaabgeordnete zog sich auch aus dem EU-Parlament zurück. Es brauche einen Neustart, sagte Lunacek damals. Um den Scherbenhaufen kümmerte sich der heutige Vizekanzler Werner Kogler. Der führte die Grünen nicht nur zurück in den Nationalrat, sondern gleich in eine Koalition mit der ÖVP. Das war für die Grünen an sich schon kein leichtes Unterfangen und ist es bis heute nicht.

Die Rücktrittserklärung von Ulrike Lunacek.
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Umstrittener Posten

In der türkis-grünen Regierung kehrte Lunacek auf das politische Parkett zurück. Überraschend war, dass die 62-Jährige ausgerechnet Kulturstaatssekretärin wurde. Auf diesem Gebiet war die gebürtige Kremserin und studierte Dolmetscherin bis dahin nicht aufgefallen.

Bekannt war das grüne Urgestein weitaus mehr für ihr Engagement in Sachen Menschenrechte, im Speziellen feministische Anliegen und die Gleichstellung von Homosexuellen. In den Koalitionsverhandlungen war unter anderem Lunacek auf grüner Seite mit den Agenden Außenpolitik und Europa betraut. Hätten die Grünen das Außenministerium bekommen, so wäre sie aufgrund ihrer Expertise parteiintern eine Kandidatin für den Posten gewesen.

Die Besetzung des grünen Staatssekretariats war in den Koalitionsverhandlungen bis zum Schluss umstritten: Als bereits alle Ministerposten fix vergeben waren, wurde noch darum gerungen, in welchem Ressort die Grünen einen Staatssekretär platzieren würden.

Die Idee, den Finanzexperten Josef Meichenitsch ins türkise Finanzministerium zu setzen, wurde unter anderem von der Frauenquote verhindert, die vorsieht, dass mindestens die Hälfte des grünen Regierungsteams weiblich sein müsse – auch wenn ein Staatssekretär strenggenommen kein Regierungsmitglied ist. Angesichts der massiven Bedeutung der Hilfsgelder in der Corona-Pandemie hört man nun aber immer öfter Kritik daran, dass die Grünen auf einen Aufpasser im Finanzministerium verzichtet und so der ÖVP zu viel Macht über die Milliardenprogramme überlassen hätten.

Stattdessen entschied sich Werner Kogler dafür, Lunacek für die Kulturagenden verantwortlich zu machen. Einen herzlichen Empfang erfuhr sie vonseiten des Kulturbereichs nicht: "Insgesamt hätte die Regierung bei ihrem Start der Kunst und Kultur gar nicht weniger Wert beimessen können", beklagte etwa Gerhard Ruiss von der IG Autorinnen und Autoren.

Risiko und Krise

Dass ihr der Einstieg in die Kultur ohne einschlägige Erfahrung und Vernetzung nicht leicht fallen würde, wusste auch Lunacek, wie sie bei ihrer Rückzugserklärung retrospektiv bekannte: "Es war ein Risiko, das Amt zu übernehmen, aber wer nicht den Mut hat, hin und wieder ein Risiko einzugehen, wird neue Ideen nicht umsetzen können."

Doch sogleich brach die Corona-Krise herein. Nun war klar, dass die im Regierungsprogramm festgeschriebenen Ideen – Lunacek nannte etwa eine Reformierung der sozialen Absicherung prekär lebender Künstler und ökologische Pläne – auf unbestimmte Zeit verschoben sein würden. Stattdessen galt es, den Kulturschaffenden über die finanziellen und künstlerischen Konsequenzen des Lockdowns hinwegzuhelfen. Und die Betroffenen bekundeten lautstark und in großer Zahl, dass sie sich von Lunacek im Stich gelassen fühlten. Speziell die völlig verunglückte Pressekonferenz über die Lockerungen im Kulturbereich Mitte April brachte nichts Greifbares und wirbelte nur noch mehr Staub auf.

Aber auch die dürftige finanzielle Unterstützung für die in weiten Teilen ohnehin sozial prekär lebende Künstlerschaft sorgte für Unmut. Vor allem über den Grünen entlud sich der Ärger – obwohl sie in der Branche viele Sympathisanten haben. Oder vielleicht gerade deshalb, wie der Kabarettist Lukas Resetarits vermutet, der sich in einem Video über die Vernachlässigung der Kulturpolitik echauffierte und sich dabei auf die Staatssekretärin einschoss.

Wut aus Kulturbranche

Er war nicht der Einzige. Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger etwa attackierte die Staatssekretärin im Fernsehen frontal und beklagte, dass mit den Chefs der großen Kulturhäuser nicht geredet werde. Filmschaffende beklagten in einem offenen Brief, dass es keine Perspektive und keine Richtlinien für die Zukunft der Branche gebe. Und an Lunacek gerichtet hieß es darin: "Momentan verantworten Sie 'Spielregeln' für ein Berufsfeld, das Sie eindeutig nicht kennen und verstehen." Die leidenschaftliche Schwimmerin Lunacek – sie nahm auch an internationalen Wettbewerben teil – geriet immer mehr ins Schwimmen.

Aber auch innerhalb der Grünen war man verstimmt, dass Lunacek die Kunstagenden in der Regierung übernommen hatte. Eva Blimlinger, Kultursprecherin der Grünen und ehemalige Rektorin der Akademie der bildenden Künste, sagte jüngst in einem Interview mit "Woman", dass sie den Job gerne gemacht hätte. "Ich habe mich geärgert." Auch die fehlende Kompetenz Lunaceks für den Kunstbereich bestätigte Blimlinger – wenngleich sie ein eher zweischneidiges Lob anfügte: "Sie bemüht sich sehr." Aber auch die Performance des Vizekanzlers und Kulturministers Kogler sah Blimlinger in dem Gespräch kritisch: Sie wolle ihn "noch mehr in die Pflicht nehmen".

Rücktritt absehbar – Nachfolgerin fraglich

Lunaceks Rückzug hatte sich bereits abgezeichnet. Als DER STANDARD zu Beginn der Woche berichtete, dass sie ihr Amt demnächst aufgeben könnte, wurde dies von Lunacek allerdings noch heftig dementiert. Nun geschah es also doch.

Als Grund für die Entscheidung nannte Lunacek nun auch mangelnden Rückhalt in der Regierung selbst. Sie habe eine bessere finanzielle Unterstützung für Künstler präsentieren wollen, doch die Verhandlungen darüber seien gescheitert, wie sie sagte – das dürfte als Kritik in Richtung Finanzministerium zu verstehen sein. Zudem sei die Unzufriedenheit der Branche mit ihrer Person im Laufe der Woche zu groß geworden. Trotz vieler Gespräche sei ihr keine Chance mehr gegeben worden. "Ich musste feststellen, dass ich mit meinen Stärken keine positive Wirkung mehr erzielen konnte."

Daraus zog Lunacek die Konsequenzen. Sie mache Platz für eine Nachfolgerin, "die in dieser Krisensituation hoffentlich mehr erreichen kann, als mir gelungen ist". Wer diese Nachfolgerin sein wird, ist bisher nicht bekannt. Eva Blimlinger wird es aber nicht sein, wie diese dem STANDARD nach Lunaceks Rücktritt am Freitag sagte: "Ich bleibe im Parlament." Dass die ÖVP mit der stets angriffig auftretenden Blimlinger keine Freude hätte, könnte dabei freilich auch eine Rolle spielen.

Eine Nachfolgerin will Kogler schon Anfang nächster Woche präsentieren. (Theo Anders, Jan Michael Marchart, 15.5.2020)