Markus Tomaschitz, Personalchef der AVL List, freut sich über die Learnings in seiner Organisation.

Fifteen Seconds | Christoph Steinbauer

STANDARD: Was hat Ihre Organisation in der Krise gelernt?

Tomaschitz: Viele positive Dinge haben sich gezeigt, kleine und große. Beim Videomeeting sind beispielsweise alle superpünktlich – ansonsten gibt man sich eher ein paar Minuten ... Grundsätzlich haben wir einige Zeit gebraucht, um zu verstehen, wie wir am besten digital miteinander arbeiten, mit vielen verschiedenen Fachsprachen. Jetzt begegnen wir einander freundlicher, die Fähigkeit zuzuhören hat eine neue Qualität, die verbale Diarrhö von früher hat sich wesentlich gebessert, wir sind respektvoller und rücksichtsvoller.

STANDARD: Eine Art Entschleunigung?

Tomaschitz: Ja. Ich erlebe das auch auf der Straße in Graz, beim Spazierengehen am Wochenende bin ich mit meiner Familie mit so vielen Menschen in freundliche Gespräche gekommen, das ist beeindruckend positiv!

STANDARD: Ein neues Mindset?

Tomaschitz: Ja, irgendwie schon. Wir haben gelernt, dass die Devise "Geht nicht gibt’s nicht" ersetzbar ist durch "Nichts ist unmöglich". Verfechter der Präsenzkultur sind jetzt die größten Befürworter von Homeoffice, beispielsweise. Grundsätzlich ist der Reifegrad unserer Organisation auch diesbezüglich erstaunlich – zu 95 Prozent funktioniert es wirklich gut und reibungslos. Ich erlebe, dass das Virus freilegt, wer man wirklich ist, wie ein Verstärker: Also die Besorgten werden noch besorgter. Die Optimisten noch zuversichtlicher. Und sehr viele Menschen suchen stark nach Bestätigung ihrer Glaubenssätze, ihrer Standpunkte und Perspektiven.

STANDARD: Wenn keine Autos gekauft werden, fließt auch kein Geld zu den Zulieferern – wie wirkt das in der Organisation abseits der Zahlen?

Tomaschitz: Wir sind en suite Österreichs innovativstes Unternehmen, wenn man Patente und Gebrauchsmuster ansieht. Das heißt, wir haben wieder eine Chance, Dinge anders, kreativer anzugehen. Es zeigt sich, dass dabei der Kundenkontakt der Schlüssel ist. Vor Corona waren wir sehr getaktet, jetzt sind wir selektiver, das setzt Zeit und Energie frei, gibt Raum, um über Dinge anders zu reden. Unser internes Ideensystem quillt derzeit über, und wir kommen daraus auch bereits zu positiven Ergebnissen.

STANDARD: Hilft die DNA eines Familienunternehmens dabei?

Tomaschitz: Wir haben derzeit 60 Prozent der Belegschaft in Österreich in Kurzarbeit. 65 Prozent unserer Mitarbeiter weltweit sind Ingenieure und Wissenschafter, wir sind also von unserer Grundaufstellung her ein Unternehmen, das gerne Probleme löst, das Neues liebt. Das heißt auch, dass wir herausfordernde Persönlichkeiten bei uns haben und haben wollen – der AVL-List-Mitarbeitende ist kein einfacher. Darin liegen aber genau auch unsere Chancen.

STANDARD: Wirtschaftlich betrachtet? Wie und wann erwarten Sie Erholung?

Tomaschitz: Das ist jetzt zu früh zu sagen. Die Hoffnung nährt uns.

STANDARD: Haben Sie die Recruiting-Aktivitäten jetzt eingefroren?

Tomaschitz: Im Herbst starten bei uns wieder 30 Lehrlinge, wir veranstalten gerade Schnuppertage. Ansonsten ist es schwierig – wir fahren in manchen Bereichen voll, und es fehlen auch Kompetenzen, etwa bei fahrerlosen Assistenzsystemen, das lässt sich nicht substituieren, und daher müssen wir trotz Kurzarbeit diese Kompetenzen suchen.

STANDARD: Die wichtigste Botschaft jetzt?

Tomaschitz: Den Glauben an sich selbst nicht verlieren, das Leben in die Hand nehmen und den gesunden Menschenverstand einschalten. (Karin Bauer, 18.5.2020)