Eigentlich ist die ganze klassische Musik eine einzige Coverei, wenn man sich’s überlegt. Wäre doch lustig, im Konzerthaus-Programm einmal "Igor Levit covert Beethoven" zu lesen. Auch wenn sich dieser Vorschlag ob seines Anachronismus nicht durchsetzen wird, führt die Idee zumindest gut vor, woher das Cover kommt: von einer Partitur. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen die Hits auf dem Blatt – entweder man spielte sie zu Hause selbst nach, oder man ging zu einer Veranstaltung, wo die gerade populären Songs von Livemusikern interpretiert wurden. Sprich es gab eigentlich nur Coverversionen. Auch was Aufnahmen betraf, existierten mehrere Versionen einer Nummer parallel, jedes Label hatte eine, der Song selbst war wichtiger als der Interpret. Mitte der 1950er-Jahre war die Situation dann schon eine gänzlich andere: Covern wurde – wie es auch viel später dem Sampling passieren sollte – immer mehr als unmoralisch und unoriginell betrachtet, das Cover wurde zum No-Go.

Heute wird es meistens als Lesart, als eine Hommage auf das Liedgut eines verehrten anderen verstanden. Auf Youtube und TikTok posten junge Musiker Coverversionen und werden sogar als nächstes großes Ding entdeckt, es gibt schwer erfolgreiche A-cappella-Gruppen und Tribute-Bands auf Stadientourneen und natürlich Karaoke als "Cover des Volks". Das Cover ist längst nicht nur als Song oder Video präsent: Casting-Shows wie The X Factor, Serien wie Glee oder gerade ganz aktuell Zoey’s Extraordinary Playlist bauen auf seinem Reiz auf.

Besonders in Krisenzeiten interpretiert man gern das Liedgut anderer. Nachfolgend vier Typen.

Das berühmtere Cover

Coversongs, die berühmter sind – und manchmal auch besser – als ihr Original, gibt es ohne Ende. Einige verhalfen ihrem Vorbild zu spätem Ruhm, andere vergruben es unter ihrer Wucht. I Will Always Love You hauchte eigentlich Dolly Parton, bevor sich Powerhouse Whitney Houston seiner bemächtigte und aus dem Song das Brett zimmerte, das es ist. Nothing Compares 2 U schrieb Prince für sein Projekt The Family, berühmt wurde der Song in der Version von Sinéad O’Connor mit zugehörigem unvergessenen Fastglatzenvideo. Tainted Love ist im Original nicht von Soft Cell, I Love Rock’n’Roll nicht von Joan Jett – und schon gar nicht von Britney Spears! Die Beatles hatten ihrerseits auch keinen Genierer. Deren "main catalogue", der aus 213 Songs besteht, enthält 25 Covers: Twist and Shout,Please Mr. Postman oder Anna (Go To Him) stammen ursprünglich nicht von den vier Käfern.

So wär's eigentlich intendiert gewesen, bevor Whitney um die Ecke bog.
DollyPartonVEVO

Das die Bedeutung verändernde Cover

Interessanter wird es dort, wo Coversongs Intention und Bedeutung des Originals verändern. Wenn Aretha Franklin R-E-S-P-E-C-T / Find out what it means to me rausschmettert, gewinnt der ursprüngliche Otis--Redding-Song, (in dem diese Zeile übrigens gar nicht vorkam), eine völlig neue Facette: Eine feministische Hymne ward geboren. Wenn Johnny Cash den Nine-Inch-Nails-Song Hurt interpretiert, macht er ihn quasi zum Eigen-Requiem. 2002 veröffentlichte er das tieftraurige Cover, im Jahr darauf verstarb die Country-Legende. Wenn Shakira und Jennifer Lopez als Frauen mit Migrationsgeschichte Born In the USA beim diesjährigen Super Bowl singen, "updaten" sie eine ohnehin als kritischen Song intendierte, aber zur Nationalhymne gewordene Nummer und legen sie auf ihre Situation um. Covers können politisch, persönlich und beides zugleich sein, nicht selten geht es also dann doch um mehr als eine reine Hommage, es geht um eine Agenda.

Auch im Original ein Knaller, aber halt aus der Pespektive des Mannes.
Otis Redding - Topic

Das ausbeuterische Cover

Elvis "Hound Dog" Presley – wird immer gern als Beispiel für jemanden angeführt, der sein Königreich des Rock’n’Roll auf schwarzer Musik aufgebaut hat. Auch weil der King die Thematik in ihrer Komplexität sehr gut darstellt. Presley respektierte seine schwarzen Vorbilder, versuchte auch nicht zu verstecken, wovon er sich inspirieren ließ. Er verhalf sicherlich mit seinen Covers (und natürlich seiner Musik im Allgemeinen) vielen afroamerikanischen Künstlern erst zu größerer Bekanntheit, verdiente am Ende des Tages aber selbst auch am meisten an ihren Ideen. Die Geschichte des Covers ist eng mit Themen, die wir heute Cultural Appropriation oder Whitewashing nennen würden, und ganz lakonisch mit reinem Diebstahl verbunden.

Die erste Interpretin von "Hound Dog" (geschrieben von Leiber/Stoller) war Big Mama Thornton.
warholsoup100

Das Cover der Krise

Warum das Publikum gerade in Krisenzeiten so gerne Cover hört? Die Antwort ist banalst: Weil man gerne eine Variante von etwas geliefert bekommt, was man bereits kennt. Bekanntes und Gewohntes verursacht in der Unsicherheit ein wohliges Gefühl, Nostalgie und ein Sich-in-bessere-Zeiten-Zurücksehen spielt hier auch keine unwesentliche Rolle. Musikalisch geht das natürlich bestens mittels des Covers. Da singt Billie Eilish den Klassiker Sunny bei dem von Lady Gaga kuratierten "Together at Home"-Benefizkonzert, das insgesamt von 20 Millionen Menschen angesehen wurde, da interpretieren die Live Lounge Allstars Times Like These von den Foo Fighters (sechs Millionen Aufrufe auf Youtube) für den guten Zweck. Und wir? Singen mit.

Billie Eilish sang in Quarantäne "Sunny" für uns.
Global Citizen

(Amira Ben Saoud, 16.5.2020)