Fußball in leeren Stadien ist nur eine von vielen Einschränkungen, die uns noch eine Weile begleiten dürften.

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Wien/München – Der Shutdown des sozialen Lebens hat in vielen Ländern die Ausbreitung des Coronavirus vorerst eingedämmt. Die Kosten für die Wirtschaft waren enorm. Weltweit versuchen Regierungen, die Beschränkungen aufzuheben, ohne eine zweite Infektionswelle auszulösen. Mit jedem Lockerungsschritt müssen sich Politiker scheinbar zwischen der Gesundheit der Bürger und der Wirtschaft entscheiden. Das muss nicht sein, sagt nun ein deutsches Forscherteam.

Erstmals haben diese Woche Ökonomen, vom Münchener Ifo-Institut, zusammen mit Epidemiologen, vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, eine Studie gemacht, die den goldenen Mittelweg aus der Krise sucht.

Ihr überraschendes Ergebnis: Maßnahmen schnell zu lockern würde der Wirtschaft mehr schaden als ein langsameres Vorgehen. Vorweg: Damit meinen die Forscher nicht jene Kosten, die eine zweite Infektionswelle mit neuerlichen Geschäftssperren verursachen würde.

Vielmehr lautet das Argument, dass die Rückkehr zur Normalität für die Wirtschaft unnötig hinausgezögert wird, wenn jetzt zu schnell gelockert wird. Dahinter steckt eine wichtige Annahme. Die Autoren gehen davon aus, dass die deutschen Gesundheitsämter bis zu 300 neue Corona-Fälle am Tag rechtzeitig erkennen und die Patienten samt Kontaktpersonen in Quarantäne stecken können. Sobald die Zahl der neuen Covid-19-Fälle in Deutschland auf 300 fällt, kann die Politik die landesweiten Beschränkungen der Wirtschaft beenden, lautet das Argument. Davon ist man noch weit entfernt: Zuletzt gab es über 700 neue Fälle am Tag. Welche Zahlen für Österreich anzuwenden sind, konnte das Gesundheitsministerium nicht vor Redaktionsschluss eruieren.

Beschränkungen schnell zu lockern, etwa Nachtclubs zu öffnen, mehr Kunden pro Quadratmeter Geschäftsfläche zu erlauben oder Kinos, Theater und Fußballstadien sofort aufzusperren, würde dazu führen, dass die Zahl täglicher Neuerkrankungen langsamer sinkt oder stabil bleibt. Sollten die Infektionszahlen sogar deutlich steigen, müssten die Behörden ohnehin mit einem neuerlichen Shutdown eine exponentielle Ausbreitung des Virus verhindern – ein Desaster für Gesundheit und Wirtschaft.

Suche nach bestem Tempo

Der Tacho der Infektion ist der Reproduktionswert Rt. Bei Rt 1 stecken zehn Erkrankte zehn weitere an. Bei einem Wert von 0,8 stecken zehn Menschen nur acht an – wie zuletzt in Österreich.

Laut Modellen würde ein Reproduktionswert von 0,75 die geringsten Kosten verursachen (siehe Grafik). Eine Verschärfung des Shutdowns zur Erreichung eines Reproduktionswerts von 0,1 würde zusätzliche Kosten für die Volkswirtschaft von 4,2 Prozentpunkten des BIP 2020 und 2021 verursachen, berechnen die Autoren. Auch die erwarteten Todesfälle in den Szenarien mit klar sinkenden Fallzahlen unterscheiden sich nur gering.

Würden die Neuinfektionen auf derzeitigem Stand bleiben, müssten vorhandene Restriktionen beibehalten werden. Das kommt der Wirtschaft auf Dauer sehr teuer, und die akkumulierten Todesfälle wären auch beträchtlich. Daher sollten Regierungen die Maßnahmen lieber etwas langsamer lockern, damit sie irgendwann ganz wegfallen, lautet das Fazit. (Leopold Stefan, 16.5.2020)