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Präsident Isaias Afwerki regiert sein Land mit eiserner Faust.

Foto: REUTERS/Mohamed Nureldin Abdallah

Die Europäische Union sieht sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte wegen ihrer Unterstützung eines afrikanischen Unrechtssystems vor Gericht gestellt. Eine Gruppe niederländischer Exil-Eritreer reichte Mitte der Woche Klage vor einem Amsterdamer Bezirksgericht ein – mit der Begründung, dass der europäische Staatenbund den Einsatz von "Zwangsarbeitern" bei einem Straßenprojekt in Eritrea unterstütze.

Im Rahmen des Trust Fund for Africa finanziert die EU mit 80 Millionen Euro eine verbesserte Straßenverbindung zwischen dem Binnenland Äthiopien und der eritreischen Hafenstadt Massawa, die der Wirtschaft der beiden bis vor zwei Jahren verfeindeten Staaten zugute kommen und gleichzeitig den Beweggründen für die Migration zahlloser Eritreer nach Europa begegnen soll. Beim Bau der Straße würden jedoch Sträflinge und zeitlich unbegrenzt wehrpflichtige Eritreer eingesetzt, heißt es in der 33-seitigen Klageschrift der "Stiftung Menschenrechte für Eritreer" (FHRE): Eine Praxis, die vom UN-Menschenrechtsrat vor drei Jahren als "Zwangsarbeit" verurteilt wurde.

Verstoß gegen eigene Regeln

Die EU verstoße damit gegen ihre eigene Grundrechtecharta, kritisierte FHRE-Direktor Mulueberhan Temelso. Darin wird festgeschrieben, dass "niemand zur Zwangsarbeit gezwungen werden darf". Die Stiftung fordert, dass der Staatenbund seine finanzielle Unterstützung des Projekts einstellt: Die Stellungnahme der EU wird nach dem 17. Juni erwartet. Schon ein Jahr vor der Anklage hatte der Staatenbund eine Aufforderung der Stiftung zurückgewiesen, die Hilfe für Eritrea einzustellen. Stattdessen wurden Ende des vergangenen Jahres weitere Mittel genehmigt.

In der Auseinandersetzung mit den Exil-Eritreern verwies die EU auf den Umstand, dass ihre Hilfe lediglich für Material und Maschinen, nicht aber für die Bezahlung von Arbeitskräften bestimmt sei. Allerdings räumte die Europäische Kommission ein, dass sie von der eritreischen Regierung über den Einsatz von Wehrpflichtigen im Rahmen des Straßenbauprojekts informiert worden sei. Weil es sich beim Trust Fund for Africa um Nothilfe handelt, sind dessen Zahlungen auch nicht den sonst üblichen Überwachungsrichtlinien der EU unterworfen. Die Union verfügt in Eritrea nicht einmal über eine Vertretung.

Harte Diktatur

Neben dem Umstand, dass es in dem Staat am Horn von Afrika weder Wahlen noch Oppositionsparteien gibt, gilt der zeitlich unbefristete Wehrdienst als einer der gröbsten Menschenrechtsverstöße der eritreischen Regierung. Schon vor der Matura werden Jugendliche beiden Geschlechts in die Streitkräfte integriert. Dort müssen sie in unterschiedlicher Verwendung so lange dem Staat dienen, bis dieser sie entlässt: Das kann bis zum 40. Lebensjahr dauern. Die Wehrdienstpflichtigen erhalten Monatslöhne von umgerechnet 55 Euro und sind deshalb noch auf Zweitjobs angewiesen. Der Hauptgrund für die Flucht von bis zu 30.000 junger Eritreer im Jahr.

Den endlosen Wehrdienst hatte Präsident Isaias Afwerki stets mit dem Kriegszustand mit dem Nachbarn Äthiopien gerechtfertigt. Seit dessen Regierungschef Abiy Ahmed vor zwei Jahren die Hand zum Frieden ausgestreckt hatte, war der Grund für den unbegrenzten Kriegsdienst jedoch entfallen. Die wenigen westlichen Diplomaten in der eritreischen Hauptstadt Asmara hofften bereits, dass dem äthiopischen Frühling ein eritreischer folgen könnte: Eine Zeitlang waren sogar die Grenzen zwischen den brüderlichen Erzfeinden wieder offen. Die Hoffnung zerschlug sich allerdings nach wenigen Monaten: Das Regime in Asmara wackelte nicht, dafür schwollen die Flüchtlingsströme wieder an.

Für die EU ist Eritrea allein schon strategisch interessant: Der Staatenbund würde gerne einen Fuß in das Land am Roten Meer setzen. Er würde es dafür auch zu stabilisieren suchen – allein schon zum Stopp der Flüchtlingsströme. Das Straßenprojekt schien gleich zwei Fliegen mit einer Kappe zu schlagen – man durfte nur nicht so genau hinsehen. Wie sich die EU ein derart heikles Projekt habe aussuchen können, und dann auch noch ohne Kontrollen, staunt Laetitia Bader von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: "Das ist schon atemberaubend." (Johannes Dieterich, 15.5.2020)