"Niemand wird zurückgelassen!", gab Ulrike Lunacek zu Beginn der Corona-Krise noch als Losung aus – und sie orientierte sich dabei eng an den Wortmeldungen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Doch als die vollmundig angekündigten Finanzhilfen in der Kulturszene nicht im erhofften Umfang ankommen wollten, die Kritik aus der Branche nicht mehr einzufangen war und eigene Fehler dazukamen, war es die Kulturstaatssekretärin selbst, die sich von den Regierungskollegen zunehmend zurückgelassen fühlte.

Nach Rücktrittsaufforderungen von Neos und FPÖ, einer Unzahl an offenen Beschwerdebriefen und nur halbherziger Rückendeckung aus der eigenen Partei zog Lunacek, die sich das Amt nie selbst ausgesucht hatte, die Reißleine und trat zurück. "Ich mache Platz für jemand anderen", sagte Lunacek und sprach sogleich von einer "neuen Staatssekretärin", die nachfolgen werde – also von einer Frau, wie es die Geschlechterparität der Grünen vorsieht.

In ihrem knapp gehaltenen Rücktrittsstatement ging Lunacek nicht im Detail auf Gründe ein, deutete aber an, dass es ihr nicht gelungen sein dürfte, mehr finanzielle Mittel für die Kultur herauszuschlagen: "Ursprünglich", so Lunacek, "wollte ich heute die weiteren Öffnungsmöglichkeiten für Veranstaltung sowie neue finanzielle Hilfen verkünden, Letzteres ist nicht gelungen." Über die Öffnungen sprachen in einer weiteren Pressekonferenz kurz darauf Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Vizekanzler Werner Kogler. Ulrike Lunacek blieb nicht viel mehr, als Rückschau zu halten auf ihr politisches Leben, in dem es in der Spätphase vor allem turbulent zuging.

Glücklos im Krisenmanagement

Die über Jahre anerkannte Europapolitikerin verwaltete gemeinsam mit der Tiroler Grünen-Chefin Ingrid Felipe nach dem unvorbereiteten Rücktritt Eva Glawischnigs 2017 eine absehbare Wahlniederlage. Im Wahlkampf blieb Lunacek damals blass, die Wahl entwickelte sich zum Desaster. Die Grünen verfehlten die Vierprozenthürde und flogen aus dem Nationalrat. Lunacek zog sich weitgehend aus der Politik zurück.

Um den Scherbenhaufen kümmerte sich der heutige Vizekanzler Werner Kogler. Der führte die Grünen nicht nur zurück in den Nationalrat, sondern gleich in eine Koalition mit der ÖVP – und holte Lunacek als langjährige Weggefährtin in die Regierung. Dass ihre Expertise zwar in Europa- oder Frauenfragen, nicht aber in der Kulturpolitik lag, kümmerte Werner Kogler, formal Kulturminister, wenig. Als Lunacek "am Silvesterabend", wie sie in der Rücktrittsrede sagte, zusagte, fand sie dennoch Gefallen an der Aufgabe. Sie sei "eine Frau, die immer schon Mut zu Neuem gehabt hat", da gehöre es auch dazu, "manchmal ein Risiko einzugehen".

In ihrer Rede bedauerte Lunacek, dass sie die kulturpolitischen Vorhaben aus dem Regierungsprogramm, vor allem das Bestreben der Grünen nach mehr sozialer Gerechtigkeit im Kulturbetrieb, nicht mehr umsetzen konnte. Nach Corona sei "nur noch Krisenmodus gewesen". Obwohl man "Konkretes angekündigt und viele Gespräche geführt" habe, "musste ich feststellen, dass ich mit meinen Stärken keine positiven Effekte mehr erzielen konnte und mir keine Chance mehr gegeben wurde", so Lunacek.

Dabei habe gerade die Krise aufgezeigt, wie sehr die Kulturbranche unter prekärer Beschäftigung leide. "Es wurde ein lange negiertes Problem offengelegt, über Jahrzehnte wurden prekäre Bedingungen von der Politik ignoriert." Ironischerweise scheiterte die 62-Jährige nun gerade selbst an der Aufgabe, diese Nöte zu lindern.

Wer Ulrike Lunacek nachfolgen wird, weiß man erst kommende Woche. Sicher ist nur: Es wird eine Frau.
Foto: Heribert Corn

"Kritik ist das Salz der Demokratie"

Nach ihrem Rücktritt freue sie sich jedenfalls schon, Kulturveranstaltungen bald wieder als Konsumentin besuchen zu dürfen. Dank gab es "für die heftige Streitkultur – Kritik ist das Salz der Demokratie". Aber auch einen Seitenhieb auf die Satiriker unter diesen Kritikern verkniff sie sich nicht: "Vielleicht gehe ich dann zu Stermann/Grissemann oder Lukas Resetarits – und werde schauen, ob ich an deren Programm genauso viel Kritik finde wie sie an meinem."

Die Reaktionen aus der Kulturszene waren geteilt, schon als erste Rücktrittsgerüchte aufkamen: Viele befanden, dass mit einem Personalwechsel der Branche nicht geholfen sei, sondern es vielmehr am Bekenntnis der gesamten Bundesregierung zu treffsicheren Kulturhilfen mangle. Der Ruf nach einem eigenständigen Kulturministerium mit entsprechendem Gewicht und einem Corona-Rettungsschirm war schon immer laut.

Werner Kogler, der Anfang nächster Woche die Nachfolge bekanntgeben will, bedankte sich bei Lunacek: "Sie hat bei allen Auf und Abs immer wieder großartige politische Arbeit geleistet." Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer lobte Lunacek als "engagierte Feministin und Vorkämpferin für ein vereintes Europa". Von SPÖ und Neos gab es Anerkennung und Respekt für die Entscheidung, die Oppositionsparteien wollen nun aber vor allem Kanzler Kurz und Vizekanzler Kogler in die Pflicht nehmen, der Kulturbranche durch die Krise zu helfen. (Stefan Weiss, Jan Michael Marchart, Theo Anders, 15.5.2020)