Vor der Kathedrale kommt es seit Tagen zu Protesten gegen das Gedenken.

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Fast alle sind dagegen: die wichtigsten Parteien in Sarajevo und Banja Luka, aber auch die jüdische Gemeinde und die orthodoxe Kirche. Am Samstag wird der bosnische katholische Kardinal Vinko Puljic trotzdem eine Messe für Opfer des Zweiten Weltkriegs in der Kathedrale in Sarajevo abhalten. Anfang März hatten die kroatische und die bosnische Bischofskonferenz beschlossen, dass Puljic die Messe anlässlich des Gedenkens an die Massentötungen 1945 in Bleiburg feiern sollte – doch dies ist wegen der Pandemie nicht möglich.

Fragt man in der zuständigen Diözese in Gurk nach, so erfährt man, dass die Kirche in Österreich aber gar nie von Puljic gefragt wurde, ob er diese Messe in Bleiburg abhalten kann. Es gab "aus bekannten Gründen (Corona) keine Anfrage seitens der Kroatischen Bischofskonferenz", so die Diözese zum STANDARD. Freilich hatte Kardinal Christoph Schönborn bereits im Vorjahr darauf hingewiesen, dass die Entscheidung kirchenrechtlich allein bei der Diözese Gurk und nicht bei der kroatischen Bischofskonferenz liege. 2019 hat die Diözese das Ansuchen der kroatischen Bischofskonferenz abgelehnt.

Instrumentalisierung

Das Gedenken in Bleiburg ist seit Jahren umstritten, weil Rechtsradikale die Veranstaltung instrumentalisierten und faschistische Symbole des Ustascha-Staates trugen. In Sarajevo wird nun gegen die Messe demonstriert – man fürchtet Revisionismus und die Stärkung kroatischer politischer Extremisten.

Die jugoslawische Armee tötete auf Auftrag des Geheimdienstes im Mai, Juni und Juli 1945 etwa 60.000 Personen, darunter Slowenen, Kroaten, Bosnier, Montenegriner, Serben und Kosaken – die meisten auf heute slowenischem Territorium. Viele dieser Leute gehörten Heimwehren, Ustascha und Tschetniks an und waren Kollaborateure der Nazis – manche waren Zivilisten.

Der Experte Drago Pilsel fordert, dass man in Kroatien nicht mehr kollektiv von "unschuldigen Opfern" sprechen sollte, denn einige der Getöteten waren durchaus an Verbrechen beteiligt. Er schlägt vor, dass das Gedenken in Macelj an der slowenisch-kroatischen Grenze stattfinden sollte, wo es Massengräber gibt; und er fordert, dass die katholische Kirche endlich auch der Opfer der Ustascha, etwa im KZ Jasenovac, gedenkt. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 16.5.2020)