Dietmar Steiner war in seinem Fach eine Instanz. Das Architekturzentrum Wien leitete er 23 Jahre lang.

Foto: Heribert Corn

Auf dem Cover seines 2016 erschienenen Buchs "Steiner’s Diary" ist er, auf einem Holzgestell sitzend, direkt in die Kamera blickend, mit einer Zigarette im Mundwinkel zu sehen. Das Bild ist mehr als paradox, denn einerseits war "der Steiner", wie ihn alle nannten, kaum eine Minute ohne sein Tabakmarkenzeichen zu sehen, andererseits jedoch hatte der zeitlebens Getriebene kaum je eine Minute Zeit, Ruhe und Muße zu finden. Am Freitag ist der in und für die Architektur lebende Dietmar Steiner an den Folgen einer Herzoperation, von der er sich in den letzten Monaten nicht mehr erholte, 68-jährig in Wien verstorben.

Steiner, 1951 in Wels geboren, träumte als Kind davon, Konstrukteur von Formel-1-Autos zu werden, studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien und arbeitete viele Jahre bei Friedrich Achleitner und Rob Krier. Er leitete ein Büro für Architekturberatung und war Redakteur des internationalen Designmagazins "Domus" in Mailand, bei dem er sich die Skills für eine sowohl scharfsinnige Beobachtung als auch scharfe Zunge aneignete, die auch seine späteren Texte im STANDARD, im "Profil" sowie in zahlreichen Ausstellungskatalogen und Büchern prägte.

Pionier in heutigem Museumsquartier

Seine für Wien und Österreich größte Vermachenschaft jedoch geht auf das Jahr 1993 zurück. Gemeinsam mit der damaligen Kulturstadträtin Ursula Pasterk erarbeitete er ein Viersäulenmodell aus Präsentieren, Diskutieren, Publizieren und Archivieren, mietete sich im damals noch unsanierten Messepalast, dem heutigen Museumsquartier, ein und gründete das Architekturzentrum Wien. Bis heute ist das AzW, nunmehr unter der Führung von Angelika Fitz, die größte und wichtigste Architekturinstitution Österreichs.

"Es ist ein unglaubliches Glück, dass dieser Job und meine Person sich gefunden haben", sagte Steiner 2016 in seinem Abschiedsinterview mit dem STANDARD. "Ich bin wirklich dankbar dafür, dass mir damals die Chance geboten wurde, dieses Haus zu gründen und ein Wissenszentrum mit einer umfangreichen Sammlung und einem mittlerweile wirklich fundierten Archiv zu etablieren, das mittlerweile weit über Österreich hinaus bekannt ist und sich internationale Reputation erarbeitet hat."

"Wer heute Architektur macht, muss Jus studieren"

Steiner, der sich selbst als Fatalisten bezeichnete, erkannte in der österreichischen Baukultur der 90er-Jahre eine regelrechte Aufbruchstimmung, deren Rückenwind er sich als AzW-Direktor zunutze machte, während er die aktuelle Situation streng kommentierte: "Wer heute Architektur macht, muss von Jus und Wirtschaft mittlerweile mehr Ahnung haben als vom Bauen. Mit Architektur im klassischen Sinne hat das alles bald nicht mehr viel zu tun. Wo sind die Rebellen gegen das Imperium? Es braucht bitte mehr davon!"

"Steiner’s Diary", eine Art 400-seitiger Rückblick auf die österreichische Architektur sowie auf seine Rolle als baukultureller Mentor und Katalysator, ist in "sieben Tage" unterteilt. Vom Ruhen am siebenten Tag, an dem er in seiner Pensionierung sein Archiv sortierte und seinen umfassenden Vorlass vorbereitete, konnte keine Rede sein. Diese findet er nun, Rebell, wie er war, am achten Tag. (Wojciech Czaja, 15.5.2020)