Die ersten deutschen Fälle von Covid-19 traten bereits Ende Jänner bei einer Firma in München auf. Eine chinesische Geschäftsreisende, die ab dem 19. Jänner für drei Tage in Deutschland war, hatte sich in China mit Sars-CoV-2 infiziert und steckte bei Meetings vier Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto an. Die Folge waren insgesamt 16 bestätigte Fälle in vier Generationen, die als "Webasto-Cluster" bezeichnet wurde. Danach konnte die Transmissionskette vor allem durch Isolierung und Quarantäne der Betroffenen unterbrochen werden.

Rund drei Monate später veröffentlichten Wissenschafter um Andreas Zapf (Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) und Christian Drosten (Charité in Berlin) nun eine fast schon kriminologisch anmutende Analyse der 16 Patienten in Bayern und ihrer 241 Kontakte. Die Publikation in der Fachzeitschrift "The Lancet Infectious Diseases" vollzieht sämtliche Infektionen nach und schlüsselt minutiös auf, welche möglichen Übertragungswege und Ansteckungsraten es gab. Und daraus lassen sich auch einige allgemeine Schlüsse ziehen.

Patientin null und die Folgen

Der Anfang des ersten deutschen Clusters ist schnell erzählt: Patientin null hatte sich bei ihren aus Wuhan stammenden Eltern angesteckt, ehe sie aus Shanghai nach München flog. Bei ihrem dreitägigen Aufenthalt in Deutschland spürte sie zwar ungewöhnliche Brust- und Rückenschmerzen, aber noch keine einschlägigen Covid-19-Symptome. Die zeigten sich erst nach ihrer Rückkehr nach Shanghai. Wenig später wurde sie positiv auf das neue Coronavirus getestet. Zu der Zeit hatte sie bereits vier Kollegen in Deutschland und einen mitreisenden Kollegen angesteckt.

Bei Webasto erfuhr man am 27. Januar vom positiven Befund und suchte sofort nach möglichen Kontakten. Tatsächlich hatten, wie die Studie zeigt, nur zwei der vier in Deutschland infizierten Mitarbeiter tatsächlich sehr engen Kontakt zu Patientin null: Patient eins und Patientin vier. Zudem infizierten sich zumindest zwei der Webasto-Mitarbeiter nicht, die mit den Patienten eins und vier im gleichen kleinen Raum wie Patientin null waren.

Aufschlüsse über die Ansteckungen

Wie die weiteren Detailanalysen zeigen, war die Ansteckungsrate (engl. attack rate) bei jenen Fällen am höchsten, in denen ein Covid-19-Patient zusammen mit den anderen Bewohnern isoliert war, nämlich 75 Prozent. Eine Isolation außerhalb des Haushaltes senkte diese Rate auf zehn Prozent. In einem Fall fanden die Forscher eine Infektion eines Kontaktes, bevor sich Symptome zeigten, in vier Fällen fand die Übertragung wahrscheinlich am Tag des Symptombeginns statt – weitere Transmissionen können nicht eindeutig zugeordnet werden.

Rekonstruktion des ersten deutschen Covid-19-Clusters.
Grafik: Böhmer MM et al., The Lancet Infectious Diseases 2020

Die gute Nachricht: Von den 16 zumeist jungen Patienten (vier Frauen und zwölf Männer) haben alle die Krankheit gut überstanden. Zwei hatten Zeichen einer Lungenentzündung entwickelt, beim Rest verlief die Erkrankung mild.

Vergleiche mit anderen Clustern

Andere Clusteranalysen, die bereits publiziert wurden, bestätigen die neuen deutschen Erkenntnisse, die auch auf die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des Virus hinweisen: Wie auch beim Webasto-Cluster gab es bei im Detail analysierten Clustern in Südkorea und Frankreich a- bzw. präsymptomatische Fälle, die allem Anschein nach eine wichtige Rolle in den Transmissionsketten spielen und das Intervall der Ansteckungen auf eine Minimalzeit von bis zu zwei Tagen verkürzen können.

Das mache Sars-Cov-2 auch so heimtückisch etwa im Vergleich zu den Masern, erklärt Daniela Schmid, die Leiterin der Abteilung Infektionsepidemiologie der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages). Laut den österreichischen Clusteranalysen beträgt dieses Intervall bei Covid-19 im Schnitt nur etwa 4,5 Tage, bei den Masern hingegen sieben Tage. Man habe also bei Covid-19 "einfach wenig Zeit, die Kontakte in den Folgegenerationen ausfindig zu machen, bevor sie selbst zum Fall und damit zum Spreader werden".

Zum Vergleich: Der erste Cluster in Österreich, ausgehend von einem Patienten, der zuvor in Italien war.
Grafik: Ages / Der Standard

Schmid legte vergangene Woche Analysen der bisher rekonstruierten Fallhäufungen in Österreich vor und kam dabei mit ihrem Team auf 194 Cluster (Auswertungsstand 8. Mai). Dadurch konnten etwas mehr als 4.000 der damals noch knapp unter 16.000 bestätigten Fälle solchen Häufungen zugeordnet werden, also rund ein Viertel.

Die Lage in Österreich

"Die Regierung möchte am liebsten, dass ab sofort jeder kleinste Ausschlag in den Fallzahlen erfasst wird und einer Transmissionskette zugeordnet wird", so Schmid. Deutschland gelte dabei ein bisschen als Vorbild, weil es dort spezielle Scouts für das Contact-Tracing gibt. Mit den Österreichischen Strukturen sei das aber kaum möglich. Und realistisch betrachtet werde man wohl nie in der Lage sein, "jeden einzelnen Fall retrospektiv einer Häufung zuzuordnen".

Schmid hat aber auch positive Nachrichten zur aktuellen Covid-19-Lage in Österreich: Trotz der Lockerung der Maßnahmen nach Ostern seien die Verbreitungen des Virus noch nicht in die Freizeitaktivitäten zurückgekehrt. Es beschränke sich nach wie vor vorrangig auf die Pflegeheime und Klöster. Vor allem in der Schule gab es laut den bisherigen Analysen keine relevanten Übertragungen. (Klaus Taschwer, 16.5.2020)