Das Vorgehen der Tiroler Behörden in der Coronakrise sorgt weiterhin für Aufregung.

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Ischgl/Innsbruck – In der Causa Ischgl wartet das "Profil" mit neuen Vorwürfen gegen die Tiroler Behörden auf: Das Land bzw. die zuständige BH Landeck sollen einen Erlass des Gesundheitsministeriums von Ende Februar missachtet haben, wonach alle engen Kontaktpersonen von Corona-Infizierten per Bescheid für 14 Tage in Heimquarantäne zu schicken sind. Das Land wies jede Missachtung von sich und attackiert das Nachrichtenmagazin. "Zum wiederholten Mal" soll "Profil" verzerrte Darstellung publiziert haben, so das Land in einer Aussendung. Der zuständige "Profil"-Redakteur sagte auf Twitter, dass das Land Tirol dies bei seiner Anfrage nicht angegeben habe.

Die Heimquarantäne wäre laut dem Erlass unabhängig davon fällig gewesen, ob die betreffenden Personen Symptome zeigen oder nicht. Dies hätte somit alle engen Kontaktpersonen jener 14 Isländer betroffen, die nach ihrer Rückkehr aus Tirol positiv auf das Coronavirus getestet worden waren und über die die Tiroler Behörden am 5. März informiert wurden. Eben diese Unter-Quarantäne-Stellung sei aber nicht geschehen, so das "Profil" am Samstag in seiner Online-Ausgabe.

Streit um Erlass

Das Land Tirol argumentierte daraufhin, dass der berichtete Umgang mit Corona-Kontaktpersonen gemäß einer Mitteilung der Ages und des Ministeriums mit 5. März Nachmittag nicht mehr gegolten habe. Vielmehr sei ergänzt worden, dass ein solcher Kontakt "15 Minuten oder länger in einer Entfernung von weniger als 2 Metern" andauern muss. Bei Bekanntwerden der Namen der Hotels am 5. März seien die isländischen Gäste bereits seit mindestens vier Tagen abgereist gewesen. "Eine Befragung (der damals noch nicht einmal namentlich bekannten Isländer) und ein damit verbundenes Contact-Tracing zur Erhebung der Kontaktpersonen war daher nicht möglich", so das Land und unterstrich erneut, dass das Ergebnis der einen getesteten Hotel-Mitarbeiterin negativ ausgefallen sei und es bei anderen keine Hinweise auf eine Erkrankung gab.

Offen bleibt, ob überhaupt nach Mitarbeitern mit Symptomen gesucht wurde. Außerdem beschreibt "Profil" anschaulich, wie andere Bezirksbehörden bei Verdachtsfällen vorgegangen sind. Bei zeitgleichen Corona-Fällen im Salzburger Pongau und im Kärntner Bad Kleinkirchheim sei der Erlass sehr viel ernster genommen worden. Der Erlass sei laut "Profil" am 29. Februar vom Gesundheitsministerium direkt an die Büros der Landeshauptleute verschickt worden. Betreff: "Behördliche Vorgangsweise bei Kontaktpersonen". Wer in einem geschlossenen Raum näher als zwei Meter mit einem Corona-Infizierten zusammenkam, mit ihm ein Gespräch führte, ihm die Hand schüttelte oder ihn küsste, habe dem Erlass gemäß schon damals als "Kontaktperson mit hohem Infektionsrisiko" gegolten.

Auch Bund reagierte zu spät

Laut dem Nachrichtenmagazin reagierte jedoch auch der Bund in Sachen Ischgl zu spät. Drei Tage nach den ersten Warnungen aus Island, die an Tirol weitergeleitet wurden, seien weitere warnende Mails aus Dänemark und Norwegen eingegangen. Das Gesundheitsministerium verwies in diesem Zusammenhang auf den SKKM-Krisenstab (Staatliches Krisen- und Katastrophenschutz-Management) im Innenministerium.

In der zentralen Krisenkoordinationsstelle, in der Sicherheitsexperten, Ministeriumsvertreter und die Bundesländer jeden Tag konferieren, sei auch Tirol ein Thema gewesen. Die Lage dort sei "wie mit allen anderen Bundesländern in der täglichen Videokonferenz besprochen worden", so das Ministerium. Die Warnungen aus Skandinavien wurden den Recherchen zufolge zwar im Krisenstab vermerkt, aber zunächst noch keine Maßnahmen ergriffen.

Opposition entzürnt

Indes nahmen am Samstag die Oppositionsparteien Neos und Liste Fritz den "Profil"-Bericht zum Anlass, scharfe Kritik an den politisch Verantwortlichen in Tirol zu üben. Die Neos sahen sich in ihren "Vermutungen bestätigt". "Der viel gelobte 'Tiroler Weg' ist gescheitert und steht für Vertuschung", sagte Landessprecher Dominik Oberhofer in einer Aussendung. Die Liste Fritz ortete "dringenden Aufklärungsbedarf" bei Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). "Die Kernfrage: Hat er angeordnet, die Anweisungen des Gesundheitsministeriums zu missachten?", richteten Klubobfrau Andra Haselwanter-Schneider und Landtagsabgeordneter Markus Sint den Fokus auf den Landeschef.

Auch SPÖ und FPÖ schießen auf Landes- und Bundesebene aus allen Rohren gegen die politisch Verantwortlichen. "Landeshauptmann Platter steht nun massiv unter Druck. Das Behördenversagen wird immer deutlicher", meinte SPÖ-Chef Georg Dornauer. Dornauers Parteikollege und Nationalratsabgeordneter, Philip Kucher, nahm indes auch Schwarz-Grün im Bund und das Gesundheitsministerium ins Visier. Das Ministerium hätte zusätzlich zum Erlass von Ende Februar "aktiv werden müssen", kritisierte Kucher in einer Aussendung.

FPÖ prüft Anzeige

Die Bundes-FPÖ prüft laut eigenen Angaben eine Anzeige gegen das Land Tirol. FPÖ-Vizeklubchefin im Nationalrat, Dagmar Belakowitsch, kündigte die Prüfung einer Anzeige gegen das Land Tirol und seine Entscheidungsträger "wegen Körperverletzung oder Gemeingefährdung" an. Tirols FPÖ-Chef Markus Abwerzger sah Landeshauptmann Platter "immer mehr unter Druck" und einen "politischen Kriminalfall" heraufdröhnen.

In Tirol wird sich ab übernächster Woche auch eine Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes (OGH), Ronald Rohrer, mit dem Behördenvorgehen in Sachen Ischgl beschäftigen. Zudem steht noch eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft aus, ob ein Ermittlungsverfahren gegen Platter und andere eingeleitet wird – nach Einbringung einer Sachverhaltsdarstellung durch den Verbraucherschutzverein. (APA, red, 16.5.2020)