Die Stadt glich einem Hochsicherheitstrakt und das wegen 20 Leuten, die in der katholischen Kathedrale in Sarajevo am Samstag eine Gedenkmesse für die Opfer der Massentötungen durch die Jugoslawische Armee 1945 abhielten. Die Sicherheitsvorkehrungen waren so scharf, weil sich auch Gegner der Veranstaltung in der Innenstadt versammelten. Die Gedenkmesse ist seit Jahren umstritten, weil sie von Rechtsradikalen und Geschichtsrevisionisten für ihre Propaganda genutzt wird.

Der bosnische katholische Kardinal Vinko Puljić wollte ursprünglich die Gedenkmesse in Bleiburg abhalten, wo jedes Jahr an die Ereignisse vom Mai 1945 gedacht wird. Doch nicht nur wegen der Pandemie war das dieses Jahr nicht möglich – die Diözese in Gurk hatte der kroatischen und bosnischen Bischofskonferenz im Vorjahr die Abhaltung der Messe nicht gestattet, weil es starke Bedenken gab, dass auch die katholische Kirche von den Rechtsradikalen und Geschichtsrevisionisten instrumentalisiert wird. Dieses Jahr hatten die kroatische und bosnische Bischofskonferenz bei der österreichischen katholischen Kirche gar nicht angesucht, ob sie eine Gedenkmesse in Bleiburg abhalten hätten können.

Schuld und Unschuld

Puljić betonte in seiner Predigt in der Kathedrale in Sarajevo, dass man "jedem unschuldigen Opfer den gleichen Respekt" schulde. "Es kann keinen Unterschied geben." Genau an diesem Punkt scheiden sich aber die Geister. Denn viele jener etwa 60.000 Menschen, die im Mai, Juni und Juli auf heutigem slowenischen Gebiet von Partisanen und dem Jugoslawischen Geheimdienst getötet wurden, waren nicht unschuldig, im Gegenteil, viele hatten zuvor Verbrechen insbesondere in Bosnien-Herzegowina begangen, manche jedoch waren tatsächlich unschuldig. Eine genaue Forschung zu diesem Thema wäre dringend nötig.

Die Massentötungen durch die Partisanen waren aber keine Kriegshandlungen, sondern Verbrechen, weil sie gegen die Genfer Konventionen verstiessen, die 1929 festlegten, dass Kriegsgefangene "jederzeit mit Menschlichkeit behandelt und insbesondere gegen Gewalttätigkeiten, Beleidigungen und öffentliche Neugier geschützt werden" müssen. Vergeltungsmaßnahmen an ihnen auszuüben sei verboten. Die Tito-Partisanen hielten sich aber gar nicht daran.

Heimwehren, Ustascha, Tschetniks

Bei den Opfern ihrer Verbrechen handelte sich vorwiegend um Angehörige der slowenischen und kroatischen Heimwehren und Angehörige der Ustascha-Miliz, sowie serbische und montenegrinische Tschetniks, also vorwiegend Soldaten die zu jenen rechtsnationalistischen Kräften gehörten, die mit den Nazis kollaborierten. Unter den Opfern waren aber auch Kosaken, Österreicher, Italiener und Zivilisten aus allen möglichen Orten. So waren etwa 50 junge Männer aus Ilidža, einem Vorort von Sarajevo, von den Richtung Norden abziehenden Ustascha-Truppen mitgenommen worden, wie Pilsel erzählt. Diese Leute wurden später ebenfalls von den Partisanen ermordet, obwohl sie unschuldig waren. Die allermeisten der getöteten Soldaten waren Vertreter des NDH-Staates, aber Leute aus der zweiten oder dritten Reihe. Die politisch Verantwortlichen und schlimmsten Verbrecher setzten sich – oft mit der Hilfe von katholischen Priestern – nach Argentinien ab.

Auch Rechtsradikale gedachten in Zagreb der Getöteten.
Foto: EPA/ANTONIO BAT

Der kroatische Theologe und Publizist Drago Pilsel kritisierte am Samstag die Predigt von Puljić. Dieser habe die Gelegenheit für eine Katharsis versäumt. Er habe zehnmal die Verbrechen der Partisanen erwähnt, aber kein einziges Mal die Verbrechen der faschistischen Ustascha, und er habe jene Leute unterstützt, die die Verbrechen des faschistischen NDH-Staates, der mit dem Nazi-Staat alliiert war, im Todeslager Jasenovac relativieren, wo vor allem Serben und Juden ermordet wurden.

Mythen jenseits von Fakten

Puljić blieb tatsächlich im Mainstream-Narrativ verhaftet, das in Kroatien in den 1990er-Jahren aufgebaut wurde. Zu Ende des Kommunismus wurde vermehrt begonnen, die Massentötungen durch Partisanen in Slowenien 1945 fälschlicherweise als einen Akt gegen das kroatische Volk darzustellen, obwohl diese Leute nicht wegen ihrer Ethnizität, sondern wegen ihrer Ideologie getötet wurden und obwohl viele der Getöteten gar keine Kroaten waren. Doch der neue kroatische Staat suchte nach einem Opfermythos. Solche Opfermythen – wie jener von der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 – werden in Südosteuropa überall von Nationalisten gesucht und bedient, obwohl sie oft nur ganz wenig mit historischen Fakten zu tun haben.

Die Abhaltung der sogenannten "Bleiburg-Messe" in Sarajevo am Samstag war aber keine Verherrlichung von Faschisten oder eine Rehabilitierung des Ustascha-Staates, wie das von manchen Gegnern der Veranstaltung dargestellt wurde. Doch aus anderen Gründen war die Messe trotzdem hochproblematisch. Denn sie war ein Affront gegen jene bosnischen Katholiken, die versuchen, den zunehmend radikaler werdenden kroatischen Nationalisten entgegenzuwirken.

Gespaltene Kirche in Bosnien-Herzegowina

Diese völkisch denkenden Extremisten verstehen sich nämlich nicht als Bosnier und vertreten rechtsradikale und separatistische Tendenzen. Die katholische Kirche in Bosnien-Herzegowina ist deshalb gespalten. Die nationalistische herzegowinische Fraktion, die eng mit der völkisch-nationalistischen Partei HDZ verbandelt ist, bekommt auch in der katholischen Kirche immer mehr Macht. Die bosnischen Franziskaner, die für das Zusammenleben aller Bosnier – der Muslime, der Orthodoxen und der Katholiken – einstehen, kommen angesichts dieser radikalen Kräfte in die Defensive. Die Messe hat dies vorgeführt.

Gefragt wäre ein klares Einschreiten des Vatikans, das dem extremistisch und rechtsradikalen Gebaren einiger kroatischer und herzegowinischer Vertreter der Kirche Einhalt gebieten sollte. Der Experte und Publizist Drago Pilsel meint, dass der Vatikan bereits versucht habe, der kroatischen katholischen Kirche ein Signal zu geben, dass diese endlich ihren Nationalismus aufgeben sollte. So wurde eine mögliche Heiligsprechung des im Krieg amtierenden kroatischen Kardinals Alojzije Stepinac vom Vatikan gestoppt.

Anerkennung der Verbrechen der Ustascha

Weiterhin fehlt aber ein Bekenntnis der katholischen Kirche in Kroatien zu den Verbrechen der Ustascha, etwa ein entsprechender Besuch in der Gedenkstätte in Jasenovac und ein Ende der faktenfernen nationalistischen Propaganda. So fanden die Massentötungen 1945 etwa keineswegs in Bleiburg statt, sondern auf Todesmärschen in Slowenien – viele Massengräber befinden sich rund um Maribor. Deswegen wird von vielen Experten und Historikern darüber nachgedacht, dass Gedenken dorthin zu verlegen, wo auch tatsächlich die Verbrechen stattfanden und dem Gedenken einen ökumenischen Rahmen zu geben, weil ja auch Orthodoxe getötet wurden.

Alle Leute, die damals – obwohl sie entwaffnet waren und als Kriegsgefangene galten – ohne jeglichen Gerichtsprozess massenhaft getötet wurden und in Massengräbern zu Hunderten verscharrt wurden – wurden in jugoslawischer Zeit kollektiv als Verbrecher gebrandmarkt. Im kommunistischen Jugoslawien durfte man über die Verbrechen der Partisanen nämlich nicht sprechen. Die deutsche Südosteuropa-Historikerin Marie Janine Calic schreibt dazu: "Weil der kommunistische Staat die Ungerechtigkeiten, die in seinem Namen begangen wurden, nicht anerkannte oder offenlegte, wurde das Erinnern an die Verbrechen, die in Bleiburg begangen wurden und die foibe (gemeint sind Kriegsverbrechen, die im und nach dem Zweiten Weltkrieg von den Partisanen gegen Italiener begangen wurden) historisch politische Zeitbomben."

Verbindung zum letzten Krieg in Bosnien-Herzegowina

Deshalb standen sich am Samstag weiterhin zwei ideologische Lager gegenüber: Einerseits die Anhänger der kroatischen völkischen Nationalisten, die die Verbrechen der Ustascha weder benennen, noch eine entsprechende politische Sensibilität entwickeln. Auf der anderen Seite stehen Vertreter des linken Spektrums, denen es oftmals darum geht, Nationalismus zu bekämpfen und die für ein Zusammenleben aller Bosnier (egal welcher Konfession) eintreten, von denen aber manche, die Verbrechen der Partisanen bagatellisieren oder nicht benennen wollen. Die Fronten sind deshalb so aufgeladen, weil die Geschehnisse rund um den Zweiten Weltkrieg immer wieder in den Zusammenhang mit den Kriegen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina in den 1990ern gebracht werden.

Während die einen drinnen in der Kirche der Opfer der Partisanen gedachten, riefen die anderen draussen: "Tode dem Faschismus". Beide redeten also offensichtlich aneinander vorbei. In Sarajevo fand übrigens im Jahr 1995 eine Messe zum Gedenken an die Opfer der Massentötungen durch die Jugoslawische Armee in der katholischen Kathedrale statt. Nur damals – nach dem Ende eines dreieinhalbjährigen Beschusses der Stadt durch die Armee der Republika Srpska– interessierte sich keiner dafür.

Antifaschistische Demonstration in Sarajevo.
Foto: Armin Durgut/PIXSELL via www.imago-images.de

Ein Ende der Instrumentalisierungen

Ein differenzierter Diskurs, der den historischen Fakten gerecht wird, könnte nun allenfalls durch eine Historikerkonferenz mit Experten aus allen betroffenen Staaten (Slowenien, Serbien, Kroatien, Montenegro, Italien, Österreich und Bosnien-Herzegowina) begonnen werden. Dann könnten kroatische Nationalisten die historischen Geschehnisse auch nicht mehr so leicht für ihre heutigen politischen Anliegen instrumentalisieren.

Die Kontroverse zeigt aber vor allem, wie schwer sich viele Mittel- und Südosteuropäer mit dm Umgang mit der Geschichte tun, weil überall Nationalisten an der Macht sind, die diese zu Manipulationszwecken nutzen. Der verstorbene Kardinal von Zagreb, Franjo Kuharić, formulierte die Herausforderung in der Region einmal so: "Die Hauptschwierigkeit der Frage besteht nicht darin, wie man um die Opfer der eigenen Gemeinschaft trauert und wie man die Schuld einer anderen Gemeinschaft erkennt. Kroaten und Serben, Katholiken und Orthodoxe, Muslime und andere stehen vor einer schwierigeren moralischen Frage: Wie kann man um die Opfer einer anderen Gemeinschaft trauern, wie kann man Schuld in der eigenen Gemeinschaft zugeben?" (Adelheid Wölfl, 17.5.2020)