Günter Rhomberg vermisst ein Kulturministerium von Rang.

APA/Hans Punz

Die Kulturschaffenden in Österreich haben nach nur wenigen Monaten ihre politische Vertreterin verloren. Das hat auch strukturelle Gründe, sagt Günter Rhomberg. Nach vier Jahrzehnten als Kulturmanager stellt er, heute Vorstand der Privatstiftung Theater in der Josefstadt, einen Kompetenzschwund fest.

STANDARD: Wie ordnen Sie Ulrike Lunaceks Rücktritt ein?

Rhomberg: Von der Regierungsspitze wird seit Jahren nicht vermittelt, dass es sich beim Kulturbereich um eine essenzielle, wichtige staatspolitische Aufgabe handelt. Wenn das nicht ist, kann eine Staatssekretärin nicht viel bewegen. Es fehlt – seit Jahren – ein eigenes Ministerium. Es ist auch eine Tradition, bis hinein in die Landesregierungen – ich beobachte das seit 40 Jahren –, dass bei Regierungsumbildungen die Kultur immer das letzte Ressort ist, das man zuteilt, wenn man noch irgendwo Platz findet. Das ist ein Grundproblem. Mit Ulrike Lunacek hatte ich gute Gespräche. Sie war offen, aber noch nicht eingearbeitet und jetzt überfordert. Aber auch Werner Kogler ist die falsche Besetzung für die Kultur. Dazu kommt die mediale Übermacht der Türkis-Schwarzen. Die Strukturen waren also von vornherein so angelegt, dass nicht viel Positives passieren konnte.

STANDARD: Fehlen kompetente Kulturpolitiker?

Rhomberg: Es braucht einerseits Politiker, die glaubwürdig die Kultur vertreten. Und zwar so, dass sie auch in der Bevölkerung für Kultur Stimmung erzeugen können. Das verlangt man in der Wirtschaft ganz selbstverständlich. In der Kultur scheint das unwichtig zu sein. Aber: Es kommt auch auf die Chefs an. Bruno Kreisky etwa hat als Kanzler einen Aufbruch gebracht. Er hat die Freiheit des Denkens angeregt. Er hatte gute Mitstreiter, etwa Fred Sinowatz, der als Kulturminister ausgezeichnet war. In den 1980er- und 1990er-Jahren wurde dem Kulturressort noch Bedeutung beigemessen, siehe Rudolf Scholten mit Kanzler Franz Vranitzky. Der Chef bestimmt, welchen Stellenwert ein Ressort hat. Scholten konnte viel bewegen, weil er wusste, Vranitzky stützt ihn. Ab Viktor Klima ging es bergab. Er erklärte die Kultur zur Chefsache, und schon sein Auftritt als Kulturminister bei den Bregenzer Festspielen war überaus peinlich. Die nächste Fehlbesetzung war Franz Morak ...

STANDARD: Trotz sechs Milliarden Euro Wirtschaftsleistung gilt Kultur landläufig als lästiges Subventionsempfängerressort. Ein Kommunikationsproblem?

Rhomberg: Definitiv. Politiker bilden die Meinung bei den Wählern mit. Wenn man keine Lobby hat, funktioniert das aber nicht. Kulturminister Josef Ostermayer war eine Ausnahme, aber leider zu kurz im Amt.

STANDARD: Und die Regierung Sebastian Kurz?

Rhomberg: Kanzler Kurz und Finanzminister Gernot Blümel sind für die Kultur eine schlechte Besetzung, da beide keinerlei Affinität zur Kultur haben. Blümel war als Minister kein einziges Mal bei uns im Theater in der Josefstadt. Ich habe nun 13 Kulturminister und -ministerinnen erlebt, aber bei Blümel habe ich über Monate keinen Termin bekommen. Das ist lächerlich. Wir haben dann ohne ihn Budgets beschlossen und Verträge verlängert. Niemand hat sich interessiert.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die nun verlautbarten Lockerungen?

Rhomberg: Uns wird Planbarkeit versichert, aber in Wahrheit sind wesentliche Fragen offengeblieben. Denn wenn die Abstandsregel bleibt, kann nicht gespielt werden! Und man kann maximal ein Viertel der Raumkapazität nützen, 70 Zuschauer in der Josefstadt, 500 im Großen Festspielhaus in Salzburg. Das ist eine Perspektive. Aber was heißt das künstlerisch? Und wirtschaftlich? Wer bezahlt die leeren Plätze?

STANDARD: Salzburg soll abgespeckt stattfinden.

Rhomberg: Wie soll das gehen? Werden Sitzplätzen verlost? Und wenn die Gewinner nicht anreisen können? Es sind Kartenerlöse in Millionenhöhe, die hier fehlen würden. Wenn die Regierung sagt, die Festspiele im Jubiläumsjahr sind uns so viel wert, dass wir die Entschädigung zahlen, dann ist das löblich, aber das verlangen dann mit Recht auch alle anderen.

STANDARD: Was wäre kulturpolitisch nun dringend notwendig?

Rhomberg: Der Kanzler hat die Gesamtverantwortung. Wenn ihm Kultur ein Anliegen wäre, könnte er gute Stimmung machen. Ist sie ihm aber offenbar nicht. Die zweite zentrale Figur ist Finanzminister Blümel, der sich versteckt, der aber enorm viel Geld verwaltet und der sich in der ganzen Zeit noch kein einziges Mal zur Kultur geäußert hat. Und das, obwohl er sie als Minister sogar zu vertreten hatte. In so einer Lage kann Lunaceks Nachfolgerin, egal wie talentiert sie ist, gar nichts ausrichten.

STANDARD: Ist es eine neoliberale Ideologie, die das Kulturressort derart an den Rand gedrängt hat?

Rhomberg: Es ist sicher auch der Zeitgeist, der da wirkt. Aber es fehlt offenbar an politischen Persönlichkeiten, denen Kultur tatsächlich ein Anliegen ist.

STANDARD: Frankreich hat ein starkes Kulturressort, auch Deutschland. Warum spiegelt sich die Bedeutung der "Kulturnation" Österreich nicht in der Politik?

Rhomberg: Kunst und Kultur polarisieren. Moderne Kunst ist zudem schwer zu vermitteln. Das Image – Stichwort "Staatskunst" – ist einfach schlecht. Die nächste Ebene sind die immer mehr beschnittenen Medien. Wenn wir die Kultur dem Boulevard überlassen müssten, dann wären wir geliefert. Auch das müsste man als Politiker zur Sprache bringen. Wir haben so eine Wahnsinnsvergangenheit, da muss doch mehr bleiben als ein paar Schlagworte.

STANDARD: Warum gibt es keinen Aufschrei?

Rhomberg: Es fehlt an Mut, und man muss unabhängig sein. Auch die Bundestheater halten sich bedeckt. Klar, die Republik wird nicht in Konkurs gehen. Man will sich nicht in der Öffentlichkeit äußern, zumal die Message-Control von oben alles unter Kontrolle haben will. Da soll niemand eigene Gedanken äußern, das ist ein bedenkliches Klima, denn Kultur meint ja eigentlich Freiheit.

STANDARD: Die Regierung Kurz ist deshalb so weit entfernt von einem Bekenntnis zur Kultur, weil Kunst zu viel Freiheit bedeutet?

Rhomberg: Ja. Kultur ist riskant. Die Regierung aber will Kontrolle.

STANDARD: Was sagen Sie zur Absage der Bregenzer Festspiele?

Rhomberg: Die Absage ist die richtige Entscheidung – wenn man die Bestimmungen der Regierung ernst nimmt. Es ist sogar sehr verantwortungsvoll in Hinblick auf den Einnahmenausfall. Ich bin gespannt, wie das die Salzburger Festspiele lösen. (Margarete Affenzeller, 17.5.2020)