Samstag am Wiener Naschmarkt: Schritt für Schritt kehrt Leben in die Gastronomie zurück.

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Der Weg zum ersten Essen im kleinen Freundeskreis außer Haus seit zwei Monaten treibt dem Personal eines Wiener Vorstadtbeisls die Schweißperlen auf die Stirn. Tische werden hektisch verrückt, Sessel desinfiziert, die Hände der Gäste sowieso. Kurz herrscht Verwirrung: Muss er die Ausweise verlangen, bevor er die Tische für die vier Erwachsenen zusammenschiebt?, fragt der Kellner seinen Vorgesetzten. Muss er nicht. Einen Kinderstuhl bringt er aus Hygienegründen aber nicht. Der Bezug lasse sich schwer reinigen, erläutert der Chef entschuldigend.

Der Schanigarten in Döbling ist an diesem Samstagabend nur sehr spärlich besetzt. Auf dem Yppenplatz und Naschmarkt geht's hingegen geschäftiger zu. Schulter an Schulter genießen etliche Wiener den ersten Wirtshausbesuch nach der behördlich verordneten Enthaltsamkeit. Auch in noblen Szenelokalen der Innenstadt schmelzen abends die Abstände. Beobachter vermissen hier zu gesetzter Stunde gesunde Distanz in Zeiten von Corona nicht nur unter feiernden Jugendlichen, sondern auch unter so manch politischer Prominenz.

Mario Pulker, Chef des Fachverbands der Gastronomie der Wirtschaftskammer, zieht über die ersten drei Tage des Neustarts seiner Branche nach dem Shutdown eine gemischte Bilanz. Quer durch Österreich seien vor allem Haubenlokale gut gebucht. Abseits des gehobenen Segments sehe es jedoch durchwachsen aus. Vor allem Betriebe in touristischen Regionen säßen weiter auf dem Trockenen.

"Liberaler als andere Länder"

Die Stimmung unter den Gästen sei gut, "ein jeder ist herzlich froh darüber, bei seinem Wirten wieder zusammensitzen zu dürfen". Pulker ereilen aber etliche Beschwerden über fehlende Disziplin unter den Besuchern. Er mahnt auch Lokalbesitzer entschieden zu Disziplin. Ein Rückfall in die Krise wäre verheerend. "Besser der eine oder andere Gast ist beleidigt, als wir sperren bald alle wieder zu." Große Hochzeitsfeiern sind trotz zahlreicher Anfragen im Übrigen weiterhin tabu.

Österreich agiere in seiner Verordnung für die Gastronomie ohnehin liberaler als andere Länder, betont Pulker. "Vieles wird der Eigenverantwortung der Unternehmen überlassen." Die Schweizer verlangten etwa eineinhalb Meter Abstand zwischen den Gästen, die Italiener zweieinhalb, die Spanier gar bis zu vier Meter. In Deutschland und Italien öffnen Cafés und Restaurants schrittweise und unter Auflagen ab heute, Montag.

Die Krise bleibt vorerst Stammgast.

Österreichs Wirte arbeiten beim Personal vielerorts mit Minimalbesetzung. Anfang Mai waren 35 Prozent ihrer Mitarbeiter in Kurzarbeit und 28 Prozent arbeitslos. Einen Job hatten allein 22 Prozent, während der Handel zugleich 53 Prozent seiner Belegschaft in Beschäftigung hatte. Die Gastronomie zähle zu den von der Krise am härtesten und nachhaltigsten betroffenen Branchen, sagt Pulker.

Im Café Frauenhuber herrschte gute Stimmung am Freitagmittag.
DER STANDARD

Kette an Zulieferern

An ihr hängt zudem ein Heer an Zulieferern. In der ersten Woche nach der Schließung brach allein der Absatz an Rindfleisch um ein Fünftel ein. Auch der Einzelhandel erhofft sich durch die Wiederbelebung der Wirte Aufschwung. Bisher blieb dieser aber der Wirtschaftskammer zufolge aus.

Fallen die Zahlen an Neuinfektionen durch Covid-19 weiter, plädiert Pulker für ein Ende der Maskenpflicht für Kellner. Viele klagten bei Stress unter ernsten Atemproblemen. Kochen ist im Übrigen schon jetzt ohne Mundschutz erlaubt. Es sei fast unmöglich, damit Saucen und Suppen zu verkosten, sagt Pulker, ganz abgesehen von der enormen Hitze rundum. "In den wenigsten Küchen gibt es eine Klimaanlage." (Verena Kainrath, 18.5.2020)