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Bill Gates ist derzeit der Hauptfeind für viele Verschwörungstheoretiker.

Foto: Michael Sohn / AP

Die Corona-Krise bringt manches hervor, was man über die eigene Verwandtschaft lieber nicht gewusst hätte: Wenn immer mehr Links auf verschwörungstheoretische Artikel und Videos in der familiären Whatsapp-Gruppe gepostet werden, steigt auch in besonnenen Naturen schnell einmal ein gewisses Gefühl der Panik auf. Immerhin ist es emotional einigermaßen belastend, zusehen zu müssen, wie Menschen, zu denen man eine gewisse emotionale Nähe pflegt, immer mehr in abstruse Gedankenwelten und pseudowissenschaftliche Argumentationen abdriften.

Wie reagieren?

Dies wirft natürlich die Frage auf, wie man mit so einer Situation umgehen soll. Denn zusehen, wie immer mehr Diskussionsteilnehmer von der Unvernunft angesteckt werden, ist für die meisten wohl keine Lösung. An einer Antwort versuchen sich die Ökonomin Katharina Nocun und die Psychologin Pia Lamberty in einem gemeinsamen Buch, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. "Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen" heißt das Ende Mai in den Handel kommende Werk. In einem Vortrag bei der Online-Variante der Re:publica-Konferenz gaben sie aber bereits einen ersten Einblick.

Zunächst: Der Umstand, dass all das jetzt verstärkt über Whatsapp-Gruppen kommt, sei kein Zufall, betonen die beiden. Das habe schlicht mit einer Änderung an anderer Stelle zu tun. Google habe – nach jahrelanger Kritik – endlich Änderungen bei seiner Videoplattform Youtube vorgenommen, die der viralen Verbreitung entsprechender Clips auf der eigenen Plattform entgegenwirken. War es jahrelang so, dass besonders umstrittene Videos vom Algorithmus implizit bevorzugt wurden, da sie dazu geeignet sind, die Nutzer länger auf der Plattform zu halten, hat Google dieses Verhalten für solch problematische Inhalte mittlerweile verändert.

Messenger statt Youtube

Dies führt wiederum dazu, dass sich die Verschwörungstheoretiker nach neuen Plattformen für die Verbreitung ihrer Falschnachrichten umgesehen haben. Und dabei sind Messenger die optimale Wahl: In die privaten Gruppen hat üblicherweise auch der Softwarehersteller selbst keinen Einblick, es gibt also keinerlei Eingriffsmöglichkeiten oder Kontrolle. Das ist aus einer Privatsphärenperspektive auch gut so, bietet aber gleichzeitig das perfekte Umfeld für Verschwörungstheorien aller Art. "Dark Social" nennt sich dieses Phänomen. Neben Whatsapp gehört Telegram zu den wichtigsten Verbreitungsplattformen.

Die virale Verbreitung dieser Inhalte übernimmt dann kein Algorithmus, sondern die Nutzer selbst. Und dieses Konzept "funktioniert", wie eine Untersuchung des Netzaktivisten Josef Holnburger zeigt. Dieser hat sich 250 Telegram-Kanäle angesehen und war dabei unter anderem auf einen namens "Corona Fakten" gestoßen. Dieser Kanal hatte zwar damals selbst nur 1.759 Abonnenten, die dort geposteten Videos wurden aber so gut weiterverbreitet, dass sie allein auf Telegram bis zu 69.000-mal betrachtet wurden.

Unheilige Allianz

Was diese Untersuchung auch zeigt: Die Zahl solcher Kanäle ist in den vergangenen Wochen geradezu explodiert, und dabei habe sich eine "unheilige Allianz" gebildet, die derzeit auch auf den Straßen vieler europäischer Großstädte zu sehen ist. Impfgegner protestieren Seite an Seite mit anderen Verschwörungstheoretikern und Neonazis.

Genau diese Allianz macht auch Giulia Silberberger Angst, die sich auf Verschwörungstheorien und ihre Proponenten spezialisiert hat. Im Jahr 2014 hat sie den Negativpreis "Goldener Aluhut" erfunden, der jedes Jahr für besonders abstruse Verschwörungstheorien vergeben wird. Derzeit habe sie jedenfalls alle Hände voll zu tun. Mit einem kleinen Team versuche sie Menschen zu helfen, in deren Umfeld jemand in solche Gedankenwelten abgerutscht ist.

Offene Fragen bieten Angriffspunkt

Ihr Tipp: Man müsse sich vergegenwärtigen, woher das Ganze kommt. Rund um das Coronavirus gebe es derzeit aus einer wissenschaftlichen Sicht noch viele offene Fragen, dies sei für die Verbreiter solcher Theorien natürlich der perfekte Nährboden. Stemmen sie sich sonst gegen einen breiten wissenschaftlichen Konsens, können sie jetzt die Lücken mit ihren abstrusen Erzählungen auffüllen. Und das ist auch der Grund, warum das jetzt bei so vielen, sonst doch so "normalen" Menschen greift: Die Onkels und Tanten, die so etwas verbreiten, würden zum Teil wirklich versuchen, ihre Lieben vor vermeintlichen Verschwörern wie Bill Gates zu "beschützen". Andere wiederum würden schlicht nach Aufmerksamkeit suchen, da sie einsam seien.

Auch Katharina Nocun hält wenig davon, auf Verschwörungstheorien mit der geballten Macht an Faktenchecks zu reagieren. Dies führe nur zu Abwehrhaltungen. Besser sei es, in solchen Gedanken verfangene Personen zu ermutigen, weitere Fragen zu stellen. Etwa wie es denn sein könne, dass prominente Verschwörungstheoretiker wie der vegane Koch Attila Hildmann oder der Sänger Xavier Naidoo den Verschwörern so einfach auf die Schliche kommen können. Entweder seien die Verschwörer also gar nicht so mächtig, wie immer behauptet werde – oder es stimme hier etwas ganz anderes nicht. (red, 24.5.2020)