Menschliche Siedlungen bieten für zahlreiche Vögel einen Lebensraum mit konstantem Nahrungsangebot, milderem Klima und guter Deckung. Oft sind die dort lebenden Wildvögel nur wenig scheu, und die Artenvielfalt ist für viele Bewohner eine Bereicherung. Die Qualität dieser Gebiete als Lebensraum für Menschen, Vögel und Pflanzen sowie die Einstellung der Bevölkerung zur Natur haben deshalb eine entsprechend große Bedeutung.

Eine Rauchschwalbe ganz nah.
Foto: Sylvia Marchart

Ein Himmel voller Schwalben

Vier Schwalbenarten sind in Österreich heimisch. In Städten und Dörfern sind vor allem Mehlschwalben (Delichon urbicum) und Rauchschwalben (Hirundo rustica) anzutreffen. Während Mehlschwalben ihre Nester vorwiegend unter Dachvorsprüngen bauen, nisten Rauchschwalben meist innerhalb von Gebäuden. Beide Schwalbenarten bauen ihre Nester aus mehreren Hundert Lehmkugeln, die an Fassaden und Wänden befestigt werden. Mehl- und Rauchschwalben lassen sich nicht nur äußerlich durch ihre unterschiedliche Gefiederfärbung unterscheiden. Auch ein genauerer Blick auf ihre Nester ist eine gute Bestimmungshilfe: Bei Mehlschwalben bleibt am Nest nur noch ein kleines Einflugloch frei. Im Nestinneren ist der Nachwuchs gut geschützt vor der Witterung. Die Nester der Rauchschwalben sind nach oben hin offen. Diese sind vor allem in Ställen oder Scheunen zu finden. Durch den vor Witterungseinflüssen geschützten Neststandort ist der Rundumblick für den Nachwuchs kein Problem.

Seit einigen Jahren sind vor allem die Bestände der Mehlschwalben rückläufig, die Ursachen dafür sind vielfältig. Nahrungs- und Nistplatzmangel sind nur zwei der Faktoren, die es dabei zu nennen gilt.

Mehlschwalben beim Nestbau.
Foto: stadtwildtiere.at / Sylvia Marchart

SchwalbenNESTwerk

Gemeinsam mit der Bevölkerung, unseren Citizen Scientists (=Bürgerwissenschafterinnen und -wissenschafter) möchten wir die aktuelle Bestandssituation von Mehl- und Rauchschwalben in Niederösterreich erfassen. Hierfür wird die Zahl besetzter und nicht-besetzter Nester beider Schwalbenarten ermittelt. Über die Anzahl der beobachteten Jungvögel im Nest wird in weiterer Folge der Bruterfolg erhoben. Längerfristig betrachtet, können die gesammelten Informationen dazu beitragen, Aussagen über Bestandsentwicklungen zu treffen. Vergleiche aktueller Bestandsdaten und Informationen über die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber den beiden Schwalbenarten am eigenen Haus und Hof bringen uns zudem wichtige Erkenntnisse über deren aktuelle Situation in den Gemeinden von Niederösterreich. Ebenso können wir eventuell bestehende Konflikte zwischen Bevölkerung und Schwalben ermitteln und Hilfestellungen zum Schwalbenschutz am eigenen Haus und Betrieb geben.

Dieses Forschungsprojekt der Österreichischen Vogelwarte – Außenstelle Seebarn / Vetmeduni Wien richtet sich vor allem an interessierte Privatpersonen, Betriebe, öffentliche Einrichtungen oder Reitställe mit mehreren Nestern von Mehl- oder Rauchschwalben. Interessierte zukünftige SchwalbenNESTwerker erhalten von uns detaillierte Informationen über die Brutbiologie der Schwalben, die es ermöglichen, selbstständig den Brutbestand der Schwalben zu ermitteln. Vorkenntnisse über diese fliegenden Glücksbringer sind daher nicht nötig. SchwalbenNESTwerker kontrollieren "ihre" Schwalbennester am eigenen Haus oder übernehmen – koordiniert durch uns – einen eigenen Standort, zum Beispiel einen Reitstall in ihrer Nähe in Niederösterreich. Besonders wichtig für das Projekt ist eine regelmäßige Kontrolle bestehender Nistplätze über mehrere Jahre hinweg. Dies ist notwendig, um etwaige Populationsschwankungen zu erfassen. Von der gemeinsamen Zusammenarbeit profitieren alle. Unser SchwalbenNESTwerk ermöglicht den direkten Austausch mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern sowie anderen Citizen Scientists. Und die gefiederten Flugkünstler erhalten die Aufmerksamkeit, die ihnen zusteht.

Durch den Zugang zu unserer Online-Datenbank, den wir unseren SchwalbenNESTwerkern nach Anmeldung zur Verfügung stellen, können Beobachtungen über die jeweilige Schwalbenart, zum Nestbau und der Anzahl des Nachwuchses eingetragen werden. Hierbei sind Fotobelege eine wertvolle Unterstützung. Alle eingetragenen Beobachtungen werden von uns auf Herz und Nieren geprüft. Dadurch ist es uns möglich, auch Meldungen ohne Fotonachweis für weiterführende wissenschaftliche Analysen heranzuziehen. Die gesammelten und analysierten Daten unserer SchwalbenNESTwerker ergeben eine Grundlage, um Lebensraum und Nistplätze der Schwalben in Städten, Agglomerationen und Dörfern zu schützen.

Ein Blick aus dem Mehlschwalbennest.
Foto: Sylvia Marchart

Die Zugänglichkeit zu privaten Gartenanlagen, Industriezonen und Gewerbebetrieben ist für uns Wissenschafterinnen und Wissenschafter oft nicht gegeben. Durch die Einbindung der Bevölkerung in wissenschaftliche Fragestellungen und Analysen eröffnen sich für uns neue Möglichkeiten, um Wildtiere in der Stadt und auf dem Land zu erforschen.

Ein wichtiges Ziel für uns ist, die Bevölkerung für die Natur vor ihrer Haustür zu sensibilisieren und damit ein gutes Zusammenleben zwischen Mensch und Wildtier zu ermöglichen. Natur- und Freiräume spielen für unsere Lebensqualität eine wichtige Rolle. Mit zunehmender Verdichtung der Siedlungsräume geraten jedoch genau diese Flächen und damit auch die Lebensräume der Wildtiere immer mehr ins Hintertreffen.

Junge Rauchschwalben im Nest.
Foto: Sylvia Marchart

Fliegende Glücksbringer

Schwerpunktmäßig haben wir 2019 gemeinsam mit der Bevölkerung in mehreren Gemeinden Niederösterreichs begonnen, die Bestände von Mehl- und Rauchschwalben zu erforschen. Die Auswertung erster exemplarischer Analysen in den Gemeinden Langenlois und Grafenwörth hat uns gezeigt, dass sich besonders viele Mehlschwalbennester an der Fassade einer Hauswand mit einem Abstand von weniger als fünf Metern zueinander finden lassen. Zudem bevorzugen Mehlschwalben bereits bestehende und intakte Nester gegenüber der Ausbesserung vorhandener Nester oder gar einem Nestneubau. Energetisch betrachtet ist die Nutzung bestehender Nester für Schwalben vorteilhaft, da ein Nestneubau gut und gerne auch zweieinhalb Wochen dauern kann. Erschwerend kommt dabei in vielen Gegenden der Mangel an Nistmaterial hinzu. Die zunehmende Versiegelung feuchter und lehmiger Bodenstellen, an denen sowohl Mehl- als auch Rauchschwalben ihr Nistmaterial sammeln, wirkt sich nachteilig auf den Nestbau aus.

Besonders interessant war für uns der Aspekt, dass über 50 Prozent der Befragten gerne wieder Schwalben am eigenen Haus oder im Hof brüten sehen würden. Nur ein geringer Anteil aller Befragten würde sich nach eigenen Angaben an Nestern von Mehl- und Rauchschwalben an Fassaden und Wänden auf dem eigenen Grundstück stören. Um den Schwalben zu ihrem eigenen Glück zu verhelfen, können ihnen passende Nisthilfen angeboten werden. Sogenannte Kotbretter unterhalb der Nester verringern Wandverschmutzungen. Besonders profitieren Mehl- und Rauchschwalben von natürlich strukturierten Gärten mit verschiedenen heimischen Pflanzenarten. Durch diese erhöht sich der Anteil der Insekten und damit auch das Nahrungsangebot der beiden Schwalbenarten.

Durch eine Ausweitung unserer Analysen auf weitere Gemeinden Niederösterreichs möchten wir eine flächendeckende Erfassung der Bestände von Mehl- und Rauchschwalben erreichen, um fundierte Aussagen über die Entwicklung dieser beiden Schwalbenarten in Niederösterreich treffen zu können. (Janette Siebert, 22.5.2020)