Jeden Donnerstag um 17.30 Uhr schnüren einige motivierte STANDARD-Kolleginnen und -Kollegen ihre Laufschuhe. Lisa läuft in Mautern in der Steiermark, Michael und Thorben joggen am Donaukanal, Andreas am Cobenzl, Nana auf der Prater-Hauptallee, David an der Alten Donau, Martin in der Seestadt Aspern – und ich mache mich nach Feierabend in Richtung Wienerberg auf den Weg.

Wir alle gehören zur STANDARD-Laufgruppe, die wir vor wenigen Monaten trotz – nun ja – recht bescheidener Nachfrage gestartet haben. Erst liefen alle gemeinsam entlang des Donaukanals. Mit dem Beginn der Corona-Krise und dem Rückzug ins Homeoffice wurden wir zur rein virtuellen Laufgruppe. Gelaufen wird seither ohne die anderen auf der jeweiligen Haus-und-Hof-Strecke, per Messenger stehen wir aber weiter in Verbindung.

Gemeinsam laufen ist derzeit schwierig – virtuell kann man sich aber gegenseitig motivieren.
Foto: iStockphoto/Pavel1964

Keine aufmunternden Worte

So eine rein virtuelle Laufgruppe hat durchaus ihre Vorteile: Wir müssen jetzt nicht mehr nach Redaktionsschluss auf der Suche nach unserem auf dem WC verschollenen Mitläufer unter neugierigen Blicken im Lauf-Outfit quer durch den Newsroom stiefeln. Es ist keine logistische Meisterleistung mehr nötig, wenn man in der Früh schon das Laufzeug für den Lauf nach dem Bürotag einpacken muss – und dabei die Laufsocken nicht vergessen sollte.

Dafür gibt es derzeit aber auch keine aufmunternden Worte, wenn der Wind sich beim Laufen – zumindest gefühlt – permanent gegen einen dreht, so wie es auf unserer STANDARD-Laufroute in Richtung Spittelau oft passierte. Und bei besonders schweren Beinen oder plötzlich einsetzenden Wetterkapriolen (Schnee im März am Wienerberg!) fehlen mentale Unterstützung sowie der Windschatten der anderen.

Stattdessen ist unsere Laufgruppe zu einer Whatsapp-Gruppe und einem Termin in unseren Outlook-Kalendern geworden. 15 Minuten vor dem Start kommt eine Erinnerung per Mail. Dann geht es los. Oder auch nicht. Mein "Ich musste heute leider stattdessen einen Marzipankuchen machen" wurde als Entschuldigung sogar akzeptiert. Es kam aber auch nur ein einziges Mal vor, ehrlich!

Ein Teil der STANDARD-Laufgruppe: Wer mag, schickt verschwitzte Selfies.
Fotos: Standard

Virtuelle Motivation

Das Sporteln mit digitaler Unterstützung wurde in Zeiten von Corona zum Megatrend. Viele Menschen, die sonst analog gemeinsam schwitzen, machen das jetzt virtuell. Der Sportpsychologe Jens Kleinert von der Deutschen Sporthochschule Köln findet diese digitalen Trainingsgruppen gut. Denn man bleibt sportlich eher motiviert, wenn man es gemeinsam mit anderen macht. "Wenn ich mich virtuell mit jemandem verabrede, ist durch diese soziale Verpflichtung die Wahrscheinlichkeit höher, dass ich auch tatsächlich Sport mache", erklärt Kleinert. Er kann sich auch vorstellen, dass Sportmuffel, die erst durch virtuelles Trainieren während Corona sportlich geworden sind, dabeibleiben.

Denn die Hürde, einer Laufgruppe beizutreten, scheint virtuell niedriger. Das hat sich auch in unserer STANDARD-Laufgruppe gezeigt, die noch nie mehr Mitglieder hatte als jetzt. Zugegeben: Ein Wachstum von 100 Prozent ist auch nur dann wirklich beeindruckend, wenn man das Ausgangsniveau nicht kennt.

Sogar Sportbewerbe verlegen sich in Zeiten von Corona in den virtuellen Raum. Der Wings for Life World Run fand vor einigen Wochen weltweit, aber rein virtuell statt. Läufer und Läuferinnen liefen mithilfe einer Handy-App auf einer Laufstrecke ihrer Wahl einem virtuellen Catcher-Car davon. Der große Vorteil: kein Gedränge beim Laufen. Der große Nachteil: kein Gedränge beim Laufen.

Atmosphäre fehlt

Denn auch wenn die langen Schlangen vor den Dixie-Klos kurz vor dem Start und rücksichtslose Überholmanöver bei Wettkämpfen oft nerven: Am Ende fehlt im virtuellen Raum "das leibhaftige Erleben des Wettkampfs", ist der Sportpsychologe Kleinert überzeugt. Darum sieht er in den virtuellen Sportevents nach Corona auch nicht unbedingt die Zukunft: "Das wird niemals das wahrhaftige körperliche Kräftemessen ersetzen", sagt Kleinert. "Das Sehen, Riechen, Spüren des Gegners macht den Sport aus."

Bei Wettkämpfen wie einem Marathon geht es ganz besonders um die Atmosphäre: Das Publikum, das Läuferinnen und Läufer anfeuert und Plakate schwenkt, Freunde und Familie, die an bestimmten Punkten der Strecke stehen, um aufmunternde Worte zu spenden. "Das kann einen Athleten schon sehr pushen", sagt Kleinert. Wobei der Jubel manche auch so sehr antreibt, dass Sportlerinnen und Sportler über ihre Grenzen hinausgehen – und sich überfordern.

Wie man mit der Wettkampfatmosphäre umgeht, sei individuell sehr unterschiedlich, sagt Kleinert. Neben der psychischen Komponente hat die Atmosphäre jedenfalls auch einen physiologischen Effekt. "Sie wirkt sich auf die Hormonausschüttung, das Herz-Kreislauf-System – und damit auch auf die Leistung aus", sagt der Sportpsychologe. Ganz ohne Wettkampfatmosphäre ist es für viele Sportler daher schwierig, eine Spitzenleistung zu erbringen.

Virtuelle Workouts

Auf die ersten großen Marathon-Großveranstaltungen nach Corona freuen sich viele daher heute schon. Was von der Corona-Krise aber bleiben könnte, sind die vielen virtuellen Workouts, die in den letzten Wochen in den Wohnzimmern des Landes erprobt wurden.

Und auch die Whatsapp-Gruppe mit den laufenden STANDARD-Kollegen und -Kolleginnen wird hoffentlich weiterhin aktiv bleiben: Darin schicken wir uns Bilder von pittoresken Laufstrecken (ja, Lisa, wir waren alle neidisch auf deinen Hausberg!) und verschwitzte Selfies nach einem Zehn-Kilometer-Lauf. Oder wir teilen einander einfach nur mit, dass wir den Lauf für heute geschafft haben. Dafür kommt immer mindestens ein "Thumbs up" zurück.

Und irgendwann läuft die STANDARD-Laufgruppe dann hoffentlich wieder gemeinsam nach Feierabend am Donaukanal. Das Handy werde ich dabei zu Hause lassen. Und ich freue mich heute schon darauf. (Franziska Zoidl, 19.5.2020)