Im Gastkommentar verweisen die Wissenschafter Jesus Crespo Cuaresma, Harald Oberhofer, Gerhard Schwarz und Michael Strassnig darauf, dass verstärkte Kooperationen mit der Wissenschaft und eine damit verbundene Neuausrichtung den Wert der amtlichen Statistik für die Gesellschaft erhöhen würde. Für die neue Führung gibt es Vorschusslorbeeren.

Der Apostel Thomas hatte Zweifel an der Auferstehung Jesu: "Erst muss ich seine von den Nägeln durchbohrten Hände sehen; ich muss meinen Finger auf die durchbohrten Stellen und meine Hand in seine durchbohrte Seite legen. Vorher glaube ich es nicht." Damit wurde der "ungläubige Thomas" zum ersten Empiriker des Christentums und Begründer einer langen wissenschaftlichen Tradition, die über Isaac Newton, Adam Smith und Michael Faraday bis zu Georges Lemaître reicht. Später ging der heilige Thomas nach Indien ans Ende der damals bekannten Welt, um überkommene religiöse Strukturen aufzubrechen, Brahmanen zu bekehren und neue Kirchen zu gründen.

Neues Statistikverständnis

Die Herausforderungen, vor denen Tobias Thomas, designierter fachstatistischer Generaldirektor der Statistik Austria, steht, erinnern ein klein wenig an die seines berühmten Namensvetters. Als Wissenschafter und habilitierter Ökonom ist er von Berufs wegen und aus Berufung Zweifler und auf der Suche nach der Wahrheit.

Auch er wird sich ans Ende der bekannten Welt nach Simmering begeben, um in der Bundesanstalt überkommene Strukturen aufzubrechen und ein neues Verständnis amtlicher Statistik in Österreich zu etablieren. Das ist zumindest die Hoffnung der Scientific Community, die in ihren Versuchen, mit der Bundesanstalt zusammenzuarbeiten, oft an Grenzen stößt, die in einer modernen, wissensbasierten Gesellschaft nicht mehr nachvollziehbar sind.

Progressive Achse

Verbündete für ein solches Vorhaben gäbe es auch in der Bundesanstalt einige. Vor allem junge, akademisch ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden gerne mehr mit der Wissenschaft kooperieren, weil es für sie herausfordernd und spannend wäre und es den Wert der amtlichen Statistik für die Gesellschaft erhöhen würde. Dies erklärt wohl auch die Unterstützung der Belegschaftsvertreter in der Findungskommission für Thomas.

Auch die Bestellung von Martin Kocher, IHS-Chef und Professor für Volkswirtschaft an der Universität Wien, zum Vorsitzenden des Statistikrats ist ein Fanal für die Neuausrichtung der Statistik Austria. Der Statistikrat, das fachliche Aufsichtsgremium der Bundesanstalt, hat sich schon bisher kritisch zu strukturellen und strategischen Schwächen der Statistik Austria geäußert.

Die Wissenschaft wünscht sich von der Statistikanstalt Kooperationen und Datenzugänge, die anderswo längst etabliert sind.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Kocher, expliziter Verfechter von "Evidence-based Politics" und des Zugangs der Wissenschaft zu Statistikdaten, wird hier wohl zusätzlichen Elan in die Diskussion bringen. Auch er hat als Mitglied der Findungskommission die Bestellung von Thomas zum fachstatistischen Generaldirektor unterstützt. Die beiden haben wohl ähnliche Vorstellungen zur Zukunft der Anstalt.

Dies alles lässt sich als Indiz für eine progressive Achse zur Neuausrichtung der amtlichen Statistik deuten, die von Teilen der Belegschaft und ihrer Vertreter über die Generaldirektion bis hin zum Statistikrat reicht. Auch im zuständigen Ressort, dem Bundeskanzleramt, hat sich der Wunsch, in der Bundesanstalt ein modernes Statistikverständnis zu etablieren, durchgesetzt, sonst wären die jüngsten Personalentscheidungen anders ausgefallen.

Beharrende Kräfte

Dennoch gibt es starke beharrende Kräfte in der Statistik Austria, die sich bisher noch immer durchgesetzt haben. Dies führt zu vielen Frustrationen und Irritationen innerhalb und außerhalb der Bundesanstalt. Wissenschafterinnen und Wissenschafter sehen zu Recht nicht ein, warum Kooperationen und Datenzugänge, die in anderen europäischen Ländern Standard sind und jährlich viele Hundert Male durchgeführt werden, in Österreich ein Ding der Unmöglichkeit sein sollen.

Demgegenüber sehen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesanstalt, die sich sehr engagiert um die Weiterentwicklung der amtlichen Statistik und die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft bemühen, aber durch die bestehenden Rahmenbedingungen ausgebremst werden, in der öffentlichen und politischen Diskussion fälschlich als Verhinderer und Blockierer dargestellt.

Zeitgemäße Statistikkultur

Die Zukunft der amtlichen Statistik in Österreich und der Bundesanstalt Statistik Austria kann nur in einer neuen und zeitgemäßen Statistikkultur liegen, die offen gegenüber der Gesellschaft und der Wissenschaft ist und diese als Partner versteht, mit denen gemeinsam das Maximum aus den statistischen Daten herausgeholt werden kann. Je zugänglicher die Daten insbesondere für die Wissenschaft sind, desto mehr neues Wissen und Nutzen für die Gesellschaft lässt sich aus ihnen gewinnen. Die Zeichen stehen günstig, dass Österreich jetzt endlich bereit ist, diesen Schritt zu gehen.

Der heilige Thomas bezahlte sein fortschrittliches Engagement in Indien mit dem Leben und wurde zum heute noch verehrten Märtyrer. Ein solch gravierendes Opfer wird der neue Generaldirektor der Statistik Austria nicht erbringen müssen, um als Held in die Annalen der österreichischen Wissenschaft einzugehen. Sein konsequentes und nachhaltiges Arbeiten für einen modernen Statistik- und Wissenschaftsstandort Österreich ist dafür völlig ausreichend. (Jesus Crespo Cuaresma, Harald Oberhofer, Gerhard Schwarz, Michael Strassnig, 19.5.2020)