Verlassene Straßen während des Lockdowns in der Hauptstadt Kinshasa.

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Zu Hause bleiben wegen Corona? "Das ist unmöglich", sagt die Obsthändlerin Sifa Adisa. Sie muss jeden Tag auf dem Markt in der Großstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo Bananen, Orangen und Ananas verkaufen. Sonst kann sie weder Miete noch Brei für ihre beiden Kinder bezahlen. "Ich habe wenig Angst, krank zu werden", sagt sie. Aber Sorgen bereitet ihr, dass die Grenze zur ruandischen Nachbarstadt Gisenyi für Personen geschlossen ist.

Dort hat Adisa bis vor kurzem ihre Ware gekauft und nach Goma getragen. Nun dürfen Produkte nur noch in Lastwagen passieren, sodass sie Chauffeur und Diesel bezahlen muss. Sie verkauft das Obst daher doppelt so teuer wie früher. "Die Kunden machen das nicht lange mit", fürchtet Adisa.

Bruder im Lockdown

Seit das Coronavirus Mitte März mit Politikern, Entwicklungshelfern und Geschäftsleuten in den Kongo gekommen ist, ächzt die ohnehin schon arme Bevölkerung unter den teuren Preisen für Lebensmittel und Minibusse, dem üblichen Verkehrsmittel in der Stadt und auf dem Land. Lehrer, Professoren und alle, die in Restaurants gearbeitet haben, bekommen keinen Lohn mehr, denn Schulen, Universitäten und Gastronomiebetriebe sind geschlossen.

"Früher hat mein Bruder aus der Hauptstadt Kinshasa Geld geschickt, weil ich wenig verdiene", erzählt Mamie Simire. Sie arbeitet für 110 Euro im Monat in einem Schokoladenbetrieb. Aber der Bruder wohnt in einem Stadtteil, in dem anders als im übrigen Land Ausgangssperre herrscht. Der gute Job ist jetzt erst mal weg. Die Hilfe für Simire auch. Die meisten der 1455 Infizierten (Stand 18. 5.) leben in Kinshasa, einige wenige im Ostkongo. Wie viele Einwohner das Virus wirklich in sich tragen, weiß aber niemand. Die beiden Labors in Kinshasa kommen mit dem Testen nicht nach.

Nachfrage weggebrochen

"Ich weiß nicht, wie ich überleben soll", klagt Simire. Ihre fünf Kinder essen nur noch einmal am Tag. Sie fürchtet, dass es noch schlimmer kommt, falls ihr Chef Matthew Chambers den Lohn kürzt. Der Amerikaner hat die Produktion eingestellt. Niemand kauft mehr Schokolade. Seine Kunden, vor allem Entwicklungshelfer, verlassen den Kongo mit Sonderflügen. Weil der offizielle Luftverkehr eingestellt ist, kosten manche Tickets zwei- bis dreimal mehr als üblich.

Zahlreiche Ausländer flüchten, weil sie nicht in einem Land krank werden wollen, wo es für 84 Millionen Einwohner nur ein paar Dutzend Beatmungsgeräte gibt und kaum jemand körperliche Distanz hält. "Es könnte Hungerrevolten geben, wenn die Regierung eine strikte Ausgangssperre verhängt", warnt Chambers. Die nächtlichen Einbrüche nehmen in Goma zu, seit das tägliche Leben teuer geworden ist. Chambers hat vorsichtshalber das Tor zu seinem Betrieb mit einem Holzpflock und Felsbrocken verrammelt, und er verlässt das Haus nicht mehr.

Großer Schaden durch Gerüchte

Das Misstrauen zwischen Einheimischen und Ausländern steigt, besonders seit französische Forscher vorschlugen, Impfstoffe in Afrika zu testen. Das bestärkt jene Kongolesen, die glauben, das Virus existiere nicht und sei nur ein Vorwand für westliche Firmen, um Geld zu machen. Andere sind überzeugt, die Weißen hätten das Virus fabriziert, um die Schwarzen zu töten.

"Die Gerüchte richten großen Schaden an. Das haben wir auch bei Ebola gesehen", erzählt Pascal Muhindo Mapenzi. Er leitet ein Lokalradio in Oicha in Nordkivu. In der Provinz im Ostkongo grassiert seit beinahe zwei Jahren Ebola, und nun treten erste Corona-Fälle auf. Sein Radiosender versucht die Bevölkerung über die Krankheiten aufzuklären. "Aber die Leute haben andere Sorgen. Sie wären froh, wenn sie irgendwann schlafen könnten, ohne umgebracht zu werden", sagt er.

In Mapenzis Heimat wütet seit vielen Jahren eine Miliz, obwohl dort die weltgrößte Friedenstruppe der Vereinten Nationen stationiert ist. Seit Mapenzi geboren ist, kennt er nur Gewalt und Hunger. Aber im Moment hat er vor allem Mitleid mit den Europäern: "Es muss schlimm sein für sie. Sie sind es ja nicht gewohnt, dass ihr Leben bedroht ist." (Judith Raupp aus Goma, 19.5.2020)