Auf Initiative von Hannes Androsch ist dieser Tage ein reichhaltiges, 400 Seiten langes Buch über die "Österreichische Sozialdemokratie seit 1889" (Brandstätter-Verlag) erschienen. Angesichts der "atemberaubenden Pionierarbeit" (Heinz Fischer) in dem Vierteljahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg und der "sozialdemokratischen Hegemonie" in den 13 Jahren der Kreisky-Ära kann man die Stagnation der SPÖ bei 15 bis 17 Prozent in den letzten Umfragen nur als einen dramatischen Niedergang dieser einst so großen Bewegung betrachten. Dass sich für die Parteivorsitzende bei der "Kanzlerfrage" nur neun Prozent der Befragten aussprechen, für Bundeskanzler Sebastian Kurz dagegen 46 Prozent (im April sogar 55 Prozent!), ist ein weiteres Zeichen dafür, dass es der SPÖ lebensgefährlich schlecht geht.

Die SPÖ-Parteizentrale in Wien.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Ob die Grünen als eine moderne progressive Partei die führende Mitte-links-Position anstelle der SPÖ schnell einnehmen können, ist nach den Umständen des – zum Teil erzwungenen – Rücktritts ihrer einzigen international angesehenen Spitzenpolitikerin, Ulrike Lunacek, eher zu bezweifeln.

In Ibiza- und Corona-Zeiten, mit der Angst von Millionen vor der Zukunft, sollte eine sozialdemokratische Partei eigentlich gefragt sein. Zu hören war sie aber bis vor kurzem kaum – und wenn, meist mit Misstönen. Seit der verlorenen Wahl 2019 dominiert das "muntere Intrigieren vieler gegen viele und etlicher gegen eine" (so der Mitherausgeber Wolfgang Maderthaner). Die SPÖ stand dann Anfang Mai doch mal im Mittelpunkt des Interesses. Das war aber keine gute Nachricht für die Partei, weil das Interesse nicht mit jenen Ideen zu tun hatte, wie nach der Corona-Krise Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur rasch wiederbelebt werden könnten, sondern ausschließlich mit den parteiinternen Kleinintrigen.

Stabilisierte Instabilität

Die Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner, die erst 18 Monate vor ihrer Wahl zur Vorsitzenden der SPÖ beigetreten und vor dem chaotischen Abschied des katastrophal gescheiterten Christian Kern noch nicht einmal für den Parteivorstand nominiert war, konnte bisher mit den immer wieder pathetisch beschworenen sozialdemokratischen Werten weder die verlorenen Wähler zurückgewinnen noch die gähnende konzeptionelle Leere verschleiern. Man kann lange darüber reden, ob das auch damit zu tun hat, dass an Frauen in der österreichischen Politik andere Maßstäbe angelegt werden als an Männer. Dass 46.579 SPÖ-Mitglieder, also rund ein Drittel aller Mitglieder, bei der Befragung der Parteivorsitzenden ihr Vertrauen gaben, bedeutet trotz Rendi-Wagners Begeisterung nicht mehr als eine stabilisierte Instabilität ihrer Position.

Wie dem auch sei, man muss an die Feststellung des aus Ungarn 1919 nach Wien geflüchteten sozialdemokratischen Denkers und Redakteurs der "Arbeiter Zeitung", Zsigmond Kunfi (1879–1929), erinnern: "In der Geschichte gilt nicht das Gefühl und nicht das Gewissen, nicht das Motiv und nicht die Hingabe an eine Idee – in der Geschichte gilt das Resultat." Abgesehen von Kärnten, Burgenland und wahrscheinlich von Wien, befindet sich die SPÖ derzeit in den anderen Bundesländern und erst recht auf Bundesebene in einer fast hoffnungslosen Position. (Paul Lendvai, 19.5.2020)