Auch Jordanien war wochenlang im Corona-Lockdown, zuletzt wurden die Maßnahmen wieder etwas gelockert. Für die angespannte Wirtschaftslage sind die Corona-Folgen ein weiterer Schlag.

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Es ist die Zeit der doppelbödigen Botschaften oder zumindest der Formulierungen, die Spielraum lassen. Ein "Spiegel"-Interview des jordanischen Königs Abdullah II., in dem dieser mit "sämtlichen Optionen" drohte, war der israelischen Tageszeitung "Haaretz" am Sonntag einen Leitartikel wert, um einmal mehr vor den Folgen israelischer Annexionen im Westjordanland zu warnen. Gleichzeitig wurde anderswo darüber gegrübelt, wie es der König gemeint haben könnte: "Falls Israel im Juli wirklich das Westjordanland annektiert ...", hatte er gesagt. Das wird auch sicher nicht passieren. War das nun einfach eine unpräzise Formulierung? Oder meint es König Abdullah halb so wild?

Jordanien – beziehungsweise Jordanien unter dem haschemitischen König – würde das 1994 geschlossene Friedensabkommen mit Israel nicht aufkündigen, zeigen sich Diplomaten überzeugt. Auch von israelischer Seite kommen besänftigende Signale: In seiner Antrittsrede betonte am Montag der neue Außenminister Gabi Ashkenasi, dass der Trump-Plan – der die Annexionen von etwa 30 Prozent des Westjordanlands vorsieht – "auf verantwortliche Weise und in Abstimmung mit den USA" vorangebracht werde, "während wir die Friedensverträge und die strategischen Interessen Israels schützen". Ashkenasi erwähnte den Frieden mit Ägypten und Jordanien explizit als "strategisch bedeutsam".

Keine Annexionsansage

Und keine direkte Annexionsansage – anders als es viele Medien verstanden – war auch folgende Passage in der ersten Rede des neuen alten Premierministers Benjamin Netanjahu: Es sei Zeit, "israelisches Recht (auf die jüdischen Siedlungen im Westjordanland, Anm.) anzuwenden". Diese Entwicklung ist aber nicht neu, sie ist seit ein paar Jahren im Gange: Dabei wird das Militärrecht, das für das Westjordanland gilt, für die israelischen Siedler nach und nach mit israelischem Recht ersetzt.

Was alles nicht heißen soll, dass Netanjahu es nicht ernst meint und dass in und mit Jordanien alles in Ordnung ist. Aber die Befürchtungen gehen eher in die Richtung, dass der Volkszorn nicht kontrollierbar ist und die haschemitische Monarchie destabilisieren könnte. Wie wichtig es für Israel ist, in Amman ein freundliches Regime sitzen zu haben, wird von israelischen Strategen immer wieder betont.

Abdullah befindet sich zwischen Hammer und Amboss. Mit dem Ende der Zweistaatenlösung muss er sich auch vermehrt vom – nicht neuen – Narrativ eines Teils der israelischen Rechten bedroht fühlen, dass die Palästinenser ohnehin schon einen Staat hätten, nämlich in Jordanien.

Pacht nicht verlängert

Der Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien wurde 1994 abgeschlossen, politisch ermöglicht durch den 1993 angelaufenen israelisch-palästinensischen Oslo-Prozess, der – so war es zumindest das Verständnis – zu einem palästinensischen Staat führen sollte. Zuvor hatte Hussein I., der Vater des jetzigen Königs, bereits gute inoffizielle Kontakte zu Israel gepflegt. Der Frieden, der in Jordanien nie populär war, wurde ab der zweiten Palästinenser-Intifada ab 2000 immer kälter. Als im Vorjahr das 25-jährige Jubiläum begangen wurde, war die Rede davon, dass die israelisch-jordanischen Beziehungen ihren "Tiefpunkt" erreicht hätten.

Das äußerte sich unter anderem darin, dass Jordanien die Pacht für zwei Enklaven im Jordantal, Tzofar und Naharayim, die von israelischen Bauern bewirtschaftet wurden, nicht verlängerte. Es kommt auch vermehrt zu Spannungen, die jordanische Verwaltung der islamischen Stätten in Ostjerusalem betreffend. Jordanien sieht seine diesbezügliche Rolle auch durch Formulierungen im Trump-Plan verletzt.

Mitten in der Krise

Der "Tiefpunkt" könnte aber noch unterschritten werden, verwirklicht Israel die Annexionspläne. Von einer Destabilisierung im Westjordanland wäre Jordanien direkt betroffen. Gerade dass Abdullah im Grunde kein Interesse daran hat, mit Israel zu brechen, könnte ihm bei einer Bevölkerung, von der mehr als die Hälfte Palästinenser sind – die zum Teil islamistischer Propaganda zugänglich sind –, Probleme bereiten. Jordanien leidet noch dazu unter großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die immer wieder zu sozialen Protesten führen. Die Corona-Krise ist nun ein weiterer Schlag. Auf die US-Finanzhilfe kann Jordanien nicht verzichten.

Das Land liegt sozusagen an einer wichtigen strategischen Kreuzung in der Region – mit den Nachbarn Syrien und Irak, wo sich im letzten Jahrzehnt der iranische Einfluss ausbreitet. Man ging stets davon aus, dass die USA bei einer Destabilisierung des haschemitischen Königreichs nötigenfalls direkt militärisch eingreifen würden. Aber diese Sicherheiten sind heute geschwunden. (Gudrun Harrer, 18.5.2020)