Und dann war auf einmal wieder Schule: Am Montag ist rund die Hälfte der 700.000 Schülerinnen und Schüler an Volksschulen, AHS-Unterstufen, Neuen Mittelschulen (NMS) und Sonderschulen in die Klassen zurückgekehrt. Stellvertretend erzählen eine Schülerin, eine Mutter, ein Schulwart und ein Lehrer vom Neuanfang – mit Masken und strengen Hygieneregeln.

"Wir dürfen uns nicht mehr umarmen"

Es war eigentlich langweilig", sagt Emilie. Turnstunden zu Hause im Wohnzimmer und Lerngruppen via Bildschirm, das sei "ja eh toll" gewesen – aber so ganz allein ... "Jetzt freue ich mich schon auf meine Freundinnen und Freunde in echt", sagt Emilie (10). Am Montag hatte auch "Emmi" ihren ersten Unterrichtstag nach der "Corona-Auszeit" in der Grazer BIPS-Krones-Volksschule. Aber jetzt, wie sie so dasteht vor der Schule, ist die Vorfreude ein wenig aus ihren Augen gewichen.

Emilie hat sich schon auf die Schule gefreut, dann war sie aber auch traurig.
Foto: Walter Müller

Nichts ist mehr, wie es noch vor ein paar Wochen war. Alle tragen Mundschutz, es gelten neue strenge Abstandsregeln, vor dem Klassenzimmer wartet eine Lehrerin mit einem Desinfektionsmittel in der Hand, und plötzlich ist sie wieder da, die Angst vor dem Unbekannten, vor der Gefahr, vor der auch die Eltern immer gewarnt hatten.

"Mir ist schon etwas mulmig", sagt sie jetzt leise in den Mundschutz hinein. "Ich hatte auch zu Hause immer Angst vor einer Ansteckung, ich habe mir ständig meine Hände gewaschen, dass sie ganz rau wurden. Ich machte mir immer Sorgen, wenn meine Eltern einkaufen gehen mussten", sagt Emilie. Sie sei zumindest ständig in Kontakt mit den Freundinnen gestanden. "Wir haben Whatsapp-Gruppen gebildet und über Facetime geredet. Ich habe immer das Handy meiner Mama genommen, daher habe ich schon zu Ostern ein eigenes bekommen, statt zu Beginn des neuen Schuljahres im Herbst. Ich hatte auch Training in rhythmischer Sportgymnastik über Zoom. Nach Ostern hatten wir jeden Tag eine Stunde Unterricht, abwechselnd Deutsch, Mathematik und einmal in der Woche Englisch über Teams. Es war wie richtig Schule. Seit man wieder mehr rausgehen darf, habe ich auch schon ein paar Freundinnen und Freunde getroffen. Das war echt fein."

Aber etwas, wenn sie in ein paar Minuten wieder ihre beste Freundin sehen dürfe, mache sie ziemlich traurig: "Wir dürfen uns nicht mehr umarmen."

"Also das ist legendär"

Ob das mit dem kühlen Kopf auch bei Regenwetter funktioniert hätte? Des Schulwarts Albtraum wurde glücklicherweise nicht Realität. Aber auch bei besten Wettervoraussetzungen ist dieser Montag nach der Corona-bedingten Unterrichtspause für Michael Witasek nicht ohne: "So was hat’s noch nie gegeben", sagt der Mann, der in den vergangenen Wochen gemeinsam mit seinem Team "ausgetüftelt" hat, wie die große Rückkehr der rund 360 Volks- und rund 320 Mittelschulkinder am Standort Wien Schöpfwerk ohne Gedränge und unter Wahrung möglichst aller Vorschriften ablaufen soll. Deren gab es nicht zu wenig, ein ganzes Handbuch hat das Bildungsministerium gefüllt, auch wenn das für Herrn Witasek nur bedingt hilfreich gewesen ist. Das Ergebnis: "Wir haben fast den doppelten Mehraufwand" – bei gleichem Personalstand.

Michael Witasek ist seit 27 Jahren Schulwart. Der Montag nach der Corona-Pause war "legendär".
Foto: Karin Riss

Wenn "oben" fertiggewischt ist – Türschnallen, Lichtschalter, Tischplatten etwa –, ist "unten" dran: Dann werden die Böden gewienert, die – ein Schülertraum – jetzt hochoffiziell mit Straßenschuhen betreten werden dürfen. Danach geht’s wieder von vorne los. Wie praktisch, dass Herr Witasek, mittlerweile seit 27 Jahren im Dienst, seit sechs Jahren hier am Standort, gleich in der Schule wohnt. Um vier Uhr früh hat sich der 51-Jährige am Montag seine Brille aufgesetzt und kurz darauf eine letzte Inspektionsrunde durchs Haus gedreht. Er habe sich jetzt schon ein bissl auf die Kinder gefreut, sagt er – wie immer nach längeren Schulpausen.

Jetzt steht er oben auf den Stufen beim Schuleingang und beobachtet die eintreffenden Youngsters. Vor dem Zaun gibt es zumindest den Willen, Abstand zu halten, hinter dem Zaun gelingt das dann noch besser. Irgendwann muss Herr Witasek loslachen: "Also das ist legendär", sagt er begeistert, "Mittelschüler – im Gänsemarsch und mit Abstand! Das glaubt mir kein Mensch!" Also wird das Schulwarthandy gezückt und losfotografiert – für die Schulzeitung, zu Dokumentationszwecken.

Am Goethe-Gymnasium durfte im Gegensatz zu anderen Schulen am Montag Sportunterricht stattfinden, da es ein Sport-Realgymnasium ist
DER STANDARD

"Bei den Kindern überwiegt die Freude"

Um 11.30 Uhr endet der erste Schultag nach Corona in Wattens. Vor der Volksschule am Kirchplatz – das Betreten des Gebäudes ist schulfremden Personen derzeit untersagt – zieht Lehrer Klaus Lasser zufrieden Bilanz: "Bei den Kindern überwiegt die Freude, auch wenn es einige Wermutstropfen gibt." Nach neun Wochen Zwangspause tat es seinen Schülern gut, sich endlich wiederzusehen. Das E-Learning – Wattens ist eine E-Expert-Schule – habe zwar problemlos funktioniert, aber es sei auf Dauer kein adäquater Ersatz für normalen Unterricht.

Lehrer Klaus Lasser will seiner 4. Klasse noch einen gemeinsamen Abschied im Freien ermöglichen.
Foto: Steffen Arora

Traurig sind die Eleven in Lassers 4. Klasse hingegen, dass sie sich nun nicht mehr alle gemeinsam wiedersehen dürfen, bevor sie im Herbst an weiterführende Schulen wechseln: "Das ist schon bitter nach vier Jahren als Klasse. Ich versuche daher, für uns alle noch ein Treffen im Freien zu organisieren, bevor das Schuljahr endet", sagt der Lehrer.

Die strengen Regeln, die wegen des Virus nun den Schulalltag bis zu den Ferien prägen, haben die Schüler ohne Probleme umgesetzt. Die Wattener Volksschule hat nun drei Eingänge. Jeder Schüler bekommt einen zugeteilt. Dort werden die Kinder, die zwischen 7.15 und 8 Uhr kommen können, von einer Lehrperson erwartet. Sticker auf dem Boden weisen auf den Abstand hin, der auch vorm Eingang einzuhalten ist.

Mit Masken im Gesicht müssen die Kinder dann direkt in ihre Klassen. Dort wurden die Zweier- zu Einertischen und so arrangiert, dass dazwischen die nötigen Abstände eingehalten werden. Lassers 22-köpfige Klasse wurde geteilt, je elf Schüler dürfen pro Tag kommen. Erst wenn die Schüler am Tisch sitzen, dürfen sie die Masken abnehmen. In den Pausen müssen sie getragen werden, Körperkontakt ist den Kindern verboten.

Der Turnunterricht fällt vorerst komplett aus. Im Musikunterricht darf nicht gesungen werden, wegen der Aerosole, die das verbreitet. "Kurzfristig kriegen wir das schon hin", sagt Lehrer Lasser. Aber er hofft auf Rückkehr zur Normalität ab Herbst.

"Wir werfen alle Überstunden hinein"

Für Angelika Kimla ist dieser Montag nach all den Corona-Tagen kein besonderer Tag: Gut, ihr Sohn sitzt erstmals wieder in der Volksschule. Sie selbst ist zeitgleich arbeiten. Kimla ist Neurologin in einem Spital. Ihr Mann, ebenfalls Neurologe, ist zu Hause und kümmert sich um die Kinder, deren es vier gibt: drei Mädchen im Alter von sieben, 15 und 18. Und eben den zehnjährigen Sohn.

Angelika Kimla stand plötzlich ohne Großeltern für ihre vier Kinder da – also mussten die Überstunden abgebaut werden.
Foto: Karin Riss

Eine Familie auf Corona-Routinebetrieb: Schon als die Maßnahmen begonnen haben, hat sich das Elternpaar mit der Betreuung abgewechselt, die Kinder sind zu Hause geblieben. "Unser Vorteil ist: Mein Mann oder ich sind einfach weg, wenn wir arbeiten. Oder eben bei den Kindern. Da haben wir es leichter als Eltern, die im Homeoffice arbeiten müssen." Vor Corona hätten die Großeltern mitgeholfen. "Die sind natürlich komplett ausgefallen", sagt Kimla.

Wie das Homeschooling gelaufen ist? Durchwachsen, würde man wohl sagen: In der Volksschule sei alles fantastisch gewesen, sagt Kimla. Im Gymnasium weniger. Da habe es an der Koordination gefehlt und viel zu wenige Rückmeldungen gegeben. In den Nebenfächern gab es viel Engagement, aber wichtiger seien doch die Hauptfächer. Die 15-jährige Tochter hatte in Deutsch durchgehend Online-Unterricht samt Präsenzkontrolle. Andererseits habe sie seit März keine einzige Lateinstunde gehabt, und das im ersten Jahr mit diesem Fach. "Ich mache mir natürlich Sorgen, was meinen Kindern dann im Herbst abverlangt wird", sagt die Ärztin. Sie suche schon Programme für den Sommer, damit Versäumtes nachgeholt werden kann. Klar sei aber auch: "Ich kann zu Hause keinen vollwertigen Lateinunterricht bieten."

Den Hort besuchen die Kinder nicht. Dort seien die Zimmer so klein, dass die Corona-bedingten Auflagen zu hoch ausfallen würden: "Wir werfen für den Juni alle Überstunden der letzten Jahre hinein." Dass die Schulen starten, findet Kimla richtig – aber so? Es gehe sehr um Betreuung: "Dieses Angebot ist zu dürftig." (Steffen Arora, Peter Mayr, Walter Müller, Karin Riss, 19.5.2020)