Ich weiß nicht einmal, wie der Feuerwehrmann heißt. Denn auf der Homepage der Freiwilligen Feuerwehr Hadersfeld steht ein anderer Name bei der Telefonnummer. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich Danke sagen möchte.

Bei dem Feuerwehrmann, der meine Nachricht abgehört hat und sofort ausrückte. Und mir mehr als den Tag nur rettete: Klar, er hat mein aus eigener Blödheit verursachtes Problem gelöst. Aber da ist noch etwas: Er hat – ohne es zu beabsichtigen und ganz selbstverständlich – auch eine Geschichte erzählt. Über sich selbst – und das, was Menschen ausmacht: Empathie.

Denn auch wenn der Feuerwehrmann aus Hadersfeld meinte, "dafür sind wir schließlich da", glaube ich, dass nicht viele Leute wegen eines im Wienerwald ausgestreuten Wohnungsschlüssels tatsächlich "ausgerückt" wären. Aber der Reihe nach.

Foto: thomas rottenberg

Hadersfeld kam vergangene Woche hier kurz vor. Der Ort liegt oberhalb von Greifenstein im Wienerwald und ist klein. Es gibt zwar ein Ortsschild, aber schon im Gemeindebüro (in der Feuerwache) ist nur einmal pro Woche jemand: Hadersfeld gehört zur Marktgemeinde St. Andrä-Wördern.

Hadersfeld liegt abseits. Hier kommt nur durch oder vorbei, wer genau hier durchkommen will – und das sind, mit einer Ausnahme, im Grunde nur jene Menschen, die hier wohnen: Um nach Wien oder nach Klosterneuburg zu fahren, ist der Weg unten, die Donau entlang, kürzer, schneller und bequemer. Und wer zum Weißen Hof, einem großen Rehabilitationszenrum, will, reist in der Regel über Klosterneuburg an.

Foto: thomas rottenberg

Trotzdem – oder gerade deshalb – ist Hadersfeld in der Wiener (Renn-)Radfahrergemeinde weltberühmt. Denn auch wenn kaum jemand nach Hadersfeld muss, führen Straßen hierher. Die von Greifenstein hier herauf ist knapp drei Kilometer lang und mäandert sich angenehm steil durch den Wald: Rund 250 Höhenmeter liegen zwischen der Abzweigung von der B14 unten und der Feuerwache oben.

Und weil hier kaum Autos fahren, "gehört" sie den Radfahrern: Der Donauradweg unten ist flach und bretteleben. Zwei-, drei- oder viermal Hadersfeld kann schon was – auch und gerade dann, wenn man nicht Marco Pantani heißt.

Foto: thomas rottenberg

Natürlich kann man rund um Wien auch sonst traumhaft schöne Hügeltouren machen. Der Wienerwald ist zwar kein Hochgebirge, aber wellig genug, dass da ordentlich Höhenmeter zusammenkommen. Und steil wird es manchmal auch.

Der Vorteil von Hadersfeld ist aber – abgesehen davon, dass hier kaum Autofahrer unterwegs sind, die Seitenabstände, die ihre Penislänge überschreiten, für menschenrechtswidrig halten –, dass man hier auch schön mit System "hügeln" kann: Wenn man sich selbst "dreimal Hadersfeld" oder etwas Ähnliches als Aufgabe stellt, geht es in der Regel darum zu üben, die eigenen Kräfte einzuteilen – und halbwegs gleichmäßig unterwegs zu sein.

Foto: thomas rottenberg

Das ist beim Radfahren nicht anders als beim Laufen: Bergauf ist nicht nur anstrengender, sondern auch anders. Natürlich auch wegen der höheren Anstrengung, aber das allein macht es nicht aus: Wer je am eigenen Leib erlebt hat, wie anders sich schon Nichtsteigungen wie beispielsweise in Wien jene zwischen Urania und Schwarzenbergplatz anfühlen, wenn man nicht nur ganz locker trabt, wird das bestätigen: "Hügeln" sollte man üben (nein, natürlich nicht, wenn man wirklich nur Ring-"Steigungen" läuft. Aber der Kahlenberg zum Beispiel …)

Foto: Thomas Rottenberg

Abgesehen davon ist "hügeln" – die meisten Trainingspläne sprechen von "Hügelintervallen" – aber auch ein super Training, um zu lernen, wie man sich die eigenen Kräfte einteilt. Probieren Sie es aus: Laufen Sie 20-mal eine sanfte Rampe hinauf. Etwa zwischen Albertina und Burggarten. Einen der Wege runter zum Ufer auf der Donauinsel oder zum Treppelweg am Donaukanal: 150 Meter reichen – aber versuchen Sie, immer gleich schnell zu sein. Was beim ersten Mal locker ist, wird beim dritten Mal spürbar. Beim zehnten Mal flucht man – und beim 20. Mal wollen Sie heulen oder sterben. Aber: Das bringt und kann was. Und: Sie lernen.

Am Rad gilt das genauso – nicht nur am Mont Ventoux. Auch bei harmlosen Ausflügen mit der Familie gibt es immer einen, der beim ersten Anstieg wegzieht – und als Letzter (schiebend, mitunter heulend) oben ankommt. Weil er (es ist meistens ein er, schon kleine Buben sind da beratungsresistenter als Mädchen) sich selbst abgeschossen hat.

Foto: thomas rottenberg

Hadersfeld ist genau deshalb super: Unten, bei Greifenstein, gibt es sogar eine weiße Linie. Ich bin hier sogar schon mal in ein Rennen reingestolpert. Dann kommen ein paar Serpentinen. Oben, bei der Ortstafel, ist wieder eine weiße Linie. Aber angehalten, aufeinander gewartet und umgedreht wird in der Regel ein paar Meter weiter, bei der Feuerwache (manche Leute fahren auch noch den Schupfer durch den Ort bis zu einem Marterl). Bei der Feuerwache gibt es mittlerweile einen geschotterten Parkplatz und ein Bankerl.

Foto: thomas rottenberg

Und wenn während der Fahrt hinauf das Telefon geläutet hat, nimmt man das dann hier oben als Ausrede dafür, nicht gleich weiter- oder wieder runterzufahren – sondern eine Rückrufrunde zu machen: Es ist Freitag, kurz nach acht Uhr morgens – da kommen die ersten dienstlichen Anrufe und Mails. Außerdem will man die gerade im Test befindliche neue Uhr (die Polar Grit X) auch gleich fotografieren – die zählt schließlich die Anstiege automatisch mit.

Das Handy ist natürlich genau dort, wo auch das Taschentuchpackerl mit den Ausweisen, den Wohnungsschlüsseln und dem Geld ist: in der einzigen Tasche mit Zipp. Man will das Zeug schließlich nicht versehentlich ausstreuen, wenn man einen Riegel oder sonst was aus dem Trikot fischt – und tut beim Handyrausziehen dann natürlich genau das.

Foto: thomas rottenberg

Das Gute an so einem Deppenfehler ist, dass man dann, wenn man eineinhalb Stunden später nach einer traumhaft schönen Heimfahrt ohne Schlüssel vor der Haustür steht, relativ rasch weiß, wo einem das Missgeschick passiert ist. Hoffentlich. Passiert sein muss.

Und man dann eben, weil der Nachbar mit dem Ersatzschlüssel zum Glück noch beim Frühstück sitzt, rasch die Nummer der Feuerwehr Hadersfeld vor sich hat – und anruft. Obwohl man dort noch nie einen Menschen gesehen hat, könnte ja zufällig wer dort sein. Und wenn der nett ist, schaut er mal rüber zur Bank. Weil vielleicht … Aber: Da hebt keiner ab. Mailbox. Sch… – aber: selber schuld.

Foto: thomas rottenberg

Doch noch während ich mich ärgerte und überlegte, wie sinnvoll oder unsinnig es wäre, noch einmal nach Hadersfeld zu fahren, läutete das Telefon: der Feuerwehrkommandant von Hadersfeld. Er habe die Nachricht abgehört und sei "natürlich" sofort los, um zu suchen. Tatsächlich sei da neben dem Mistkübel bei der Bank ein Taschentuchpackerl gelegen. So, als hätte ein Spaziergänger es unachtsam danebengeworfen: Die Müllabfuhr, aber auch manche Wanderer, hätten es wohl einfach entsorgt – und gar nicht bemerkt, dass da noch Ausweise, Geld und Schlüssel drin sind.

Foto: thomas rottenberg

Ich fragte, wo und wann ich das Zeug denn abholen dürfe, in der Feuerwache sei ja wohl niemand. Er lachte: Nein, dort sei niemand – aber "ich hab' Ihre Sachen ins Kastel vom Defi gelegt. Der ist vorne." Nicht nur nicht verschlossen, sondern auch nicht verplombt. Auf dem Land geht so was eben noch. "Sie können also jederzeit kommen – aber bitte lassen S' den Defi da."

Ich bat ihn, den grünen Schein aus dem Packerl rauszunehmen. Und gegen einen anderen zu tauschen. Für die Kaffeekasse. Oder die Spendenbox. Er lehnte ab: "Nein, nein, das passt schon. Dafür sind wir schließlich da."

Foto: thomas rottenberg

Ich bin dann wieder nach Hadersfeld gefahren. Zum vierten Mal an diesem Tag – aber zum allerersten Mal nicht mit dem Rad. Und – es gibt ja keinen Grund, über Greifenstein zuzufahren – über Klosterneuburg. Mein Ausweis-Taschentuch-Schlüssel-Packerl lag genau dort, wo der Feuerwehrmann gesagt hatte.

Die Feuerwache war zu: weit und breit keine Menschenseele. Rein aus Neugierde schaute ich zum Mistkübel: Der war komplett leer. Rundherum lag nix am Boden. Der Feuerwehrmann war allem Anschein nach der Müllabfuhr knapp zuvorgekommen – jeder andere hätte wegen eines solchen Nichtnotfalls vermutlich irgendwann später, im Laufe des Tages, bei der Wache vorbeigeschaut. Wenn überhaupt.

Foto: thomas rottenberg

Ja, diese Geschichte ist banal. Verlorene Schlüssel und Ausweise und verschmissenes Geld sind blöd – aber kein Weltuntergang.

Aber darum geht es nicht. Es geht darum, Danke zu sagen. Nicht nur für die Schlüssel beim Defi.

Denn solche vermeintlichen Nebensächlichkeiten sind wichtig. Das weiß ich – und das wusste auch der Feuerwehrmann. Er rückte aus, weil es einen Unterschied macht, ob man auch bei Banalitäten hilft – oder einfach mit den Schultern zuckt: "Dafür sind wir schließlich da," sagt der Mensch – nicht seine Uniform.

Epilog: Ich bin dann über die Radstrecke heimgefahren. Es war mittlerweile etwa elf Uhr. Auf der Straße im Wald sah ich kein einziges Auto – aber gut ein Dutzend Radfahrerinnen und Radfahrer auf dem Weg zur Feuerwache: Das ist Hadersfeld. Nichts Außergewöhnliches – aber doch Besonderes. (Thomas Rottenberg, 20.5.2020)

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Foto: thomas rottenberg