Barbara Hammer erforscht mit der Kamera Cape Cod – "A Month of Single Frames" wurde in Oberhausen mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.

Foto: Kurzfilmtage Oberhausen

Wie groß die Sehnsucht nach Bewegtbildern ist, lässt sich manchmal auch an einem leeren Bildschirm ablesen. Und zwar dann, wenn einem höflich für sein Interesse gedankt wird, aber "leider ist der Server usw.". Zu Beginn der ersten Onlineausgabe der Kurzfilmtage Oberhausen ging einmal nichts: Zu viele Zugriffe brachten das System zum Absturz.

Fünf Tage später konnte Festivalleiter Lars Henrik Gass, der diese Ausgabe als Experiment betrachtet hatte, allerdings zufrieden Fazit ziehen: In rund 60 Länder seien Festivalpässe verkauft worden, der Andrang habe alle Erwartungen übertroffen. Das weise in die Zukunft, so Gass. Mit einer virtuellen Erweiterung lassen sich neue Zuschauerschichten erobern, ökologisch nachhaltiger ist es obendrein.

Ästhetische Mannigfaltigkeit

Oberhausen, das älteste Kurzfilmfestival der Welt, hält von jeher dem künstlerischen Ansatz die Treue. Das mag in Zeiten der Isolation für viele ein zusätzlicher Anreiz gewesen sein. In einem einzigen Wettbewerbsprogramm kann man mühelos Ländergrenzen überwinden und dabei auch noch ästhetisch zwischen dem Innenleben eines Rittersterns (Amaryllis – a Study, Jane Parker) und wabernden Videolandschaften wechseln, die zu einem Musikstück von António Pinho Vargas (Six Portraits of Pain, Teresa Villaverde) eine eigene surreale Welt entwerfen.

Big Sky Documentary Film Festival

Oder man ist bei einer nächtlichen, mysteriösen Zusammenkunft von Menschen dabei, die am Glastonbury Tor, dem "Herzen" Englands, die Sonnwendfeier begehen. Fergus Carmichaels A Thin Place ist eine kluge Allegorie im stark verdichteten Doku-Format: Inmitten der Brexit- und Covid-19-Wirren bebildert er die Suche nach einem Neubeginn, der in diesem Fall mehr wie ein Ritual vergnügter Neo-Hippies erscheint.

Dass man nach solchen Transzendenz-Erlebnissen und vielen voraufgezeichneten Gesprächen mit Filmemachern (sehr verdienstvoll!) immer wieder auf die Festivalmenüseite zurückgespült wird, daran musste man sich freilich erst gewöhnen. Unweigerlich vermisst man nach den Programmen das direkte Gespräch. Das anvisierte Binge-Watching scheiterte an der Erkrankung der Begleitperson. So blieb man allein vor seinem Monitor sitzen.

Im Kurzessay Aquí y allá passierte es dann aber doch, dass sich die Medien umgarnten, denn Melisa Liebenthal nutzt Google Earth, um die Migrationsgeschichte ihrer Familie nachzuzeichnen. Von ihrem Studienort zoomt sie sich nach Argentinien, auch China wird angeflogen, wohin der jüdischstämmige Vater einst geflohen war. Die Unschärfen – je näher man dem Ort kommt, umso größer – kommentieren dabei auf schlüssige Weise Liebenthals unmögliche Wiederaneignung der Vergangenheit.

Die Isolation filmen

An die Möglichkeiten, die in einer sozialen Isolation schlummern, muss man hingegen in A Month of Single Frames denken. Lynne Sachs hat darin das Filmmaterial ihrer 2019 verstorbenen Kollegin Barbara Hammer, einer bedeutenden feministischen US-Avantgardistin, das diese während eines Aufenthalts in einem Häuschen am Cape Cod anfertigte, zur Hommage montiert.

Ohne Strom und nur mit Außendusche ausgerüstet, scheint Hammer hier die Landschaft als lyrisches Material zu entdecken, immerzu vermittelt über ihre Kamera. Die Schönheit dieses mit dem Hauptpreis ausgezeichneten Films liegt in seiner Lust an der filmisch-poetischen Veränderung der Welt – eine Erfahrung, die man wiederum nur zu gern mit anderen geteilt hätte. (Dominik Kamalzadeh, 20.5.2020)