Der Begriff des "politischen Theaters" ist eine Tautologie. Denn Theater setzt sich per se immer, wenn auch in unterschiedlichem Maß, mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinander – von globalen Konflikten bis hin zu Ehetragödien. Und dennoch ist der Terminus "politisches Theater" seit seinem Auftreten im Sog gesamtgesellschaftlicher Umbrüche in den 1960ern nie ausgestorben. Er dient heute wieder als Hilfsbegriff für eine Kunst, die dezidiert weltverändernde Ansprüche stellt. "Weltveränderung" ist nicht als künstlerischer Romantizismus abzutun, denn Veränderung gelingt in der Theaterarbeit der letzten zwei Jahrzehnte tatsächlich, aber eben im Kleinen.

Die Abstände zwischen den globalen Krisen werden immer kürzer. An dieser Erkenntnis geht das Theater nicht vorbei. Als eine Kunstform, die vergleichsweise rasch auf Umbrüche reagieren kann, ist sie in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Schauplatz für politische Manöver geworden. Die Spielpläne fokussierten umgehend auf die Migrationsentwicklungen, auf die MeToo-Bewegung, auf die Klimakrise – und zuletzt (es ist erst der Anfang) auf die Folgen der Covid-19-Pandemie.

"Bitte liebt Österreich!"

Florian Malzacher, Kurator und Dramaturg, hat die politischen Stoßrichtungen des zeitgenössischen Theaters in dem Band Gesellschaftsspiele aufgelistet: Repräsentation, Partizipation, Aktivismus, Versammlung und Identitätspolitik sind jene Handlungsfelder, die Bühnen heute vorantreiben – von Christoph Schlingensiefs Containeraktion Bitte liebt Österreich! (heuer 20-Jahr-Jubiläum) bis hin zu Mittelreich von Anta Helena Recke an den Kammerspielen München, einer Referenzarbeit in Sachen White-Supremacy-Kritik. Indiz für ein Theater mit starkem Veränderungswillen war schon das Genter Manifest von Milo Rau, das ein strukturelles Umdenken und reales Umgestalten forderte.

Politisch-ästhetische Verfahren untersucht in einem aktuellen Schwerpunkt übrigens auch der Interuniversitäre Forschungsverbund Elfriede Jelinek. Unter den Schlagworten "Störung", "Subversion" und "Dekonstruktion" diskutieren im Anschluss an den Volkstheater-Stream Urfaust/FaustIn and out am Donnerstag um 18 Uhr Wissenschafterinnen – u. a. Monika Meister und Karoline Exner – virtuell auf nachtkritik.de. (afze, 21.5.2020)