Im Büro des Wiener Bürgermeisters haben sie sich ganz genau gemerkt, was Sebastian Kurz im Wahlkampf 2019 bei einer Diskussion im Landestheater Salzburg sagte. Die Textstelle gilt dort als (weiterer) Beweis, dass die Türkisen nicht nur stimmungsmäßig einen Konflikt "bodenständige Bundesländer" gegen das "abgehobene Wien" schüren, sondern auch ganz real der Bundeshauptstadt finanziell schaden wollen.

Kurz führte bei der Veranstaltung, die von den Bundesländerzeitungen organisiert wurde, zunächst atmosphärisch aus: "Ich kann nur sagen, wenn ich draußen bei den Menschen bin, ist das Thema 'Ländlicher Raum' immer ganz oben auf der Agenda. Wir haben eine politische Struktur in Österreich, wo die meisten Spitzenpolitiker irgendwo in Wien, Innengürtel, leben, irgendwo innerhalb des Rings arbeiten, und die politischen Debatten sind vergiftet durch Twitter-Debatten, wo sich online auf Twitter nicht einmal hunderttausend Österreicherinnen und Österreicher beteiligen."

Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Das ist schon einmal eine schöne Captatio Benevolentiae des (Bundesländer-)Publikums: "Wenn ich draußen bei den Menschen bin" – also bei den echten Menschen, nicht bei den verwöhnten Großstädtern –, dann ist doch ein tiefer Graben zu den "Spitzenpolitikern", die "irgendwo in Wien, Innengürtel, leben". Bekanntlich lebt Kurz in Meidling, Außengürtel. Allerdings arbeitet er innerhalb des Rings, und er beteiligt sich auch heftig auf Twitter. Aber anscheinend will er sagen, dass die klare Luft des ländlichen Raums nicht durch Twitter-Debatten "vergiftet" wird.

Finanzausgleich

Aber dann kommt, was man im Wiener Bürgermeisterbüro mit einer gewissen Sorge betrachtet: "Ich glaube, das Wichtigste ist Fairness, was Investitionen betrifft. Schauen wir uns an, wie die Kulturförderungen laufen, Salzburg in allen Ehren, aber wenn wir vergleichen, wie viel da nach Wien läuft und wie viel in den Rest von Österreich, dann gute Nacht für die Bundesländer. Schauen wir uns an den Finanzausgleich, wie der aufgestellt ist, und ich möchte das beim nächsten Mal ändern. Ganz Österreich finanziert die Wiener U-Bahn und anderes, und Wien schafft es trotzdem, mehr Schulden zu machen als alle anderen Bundesländer. Also, da gibt es einiges, was man strukturell aufbrechen muss."

Der Finanzausgleich, den Kurz da im Wahlkampf anspricht, ist der Schlüssel, nach dem die Verteilung der gesamten öffentlichen Ausgaben und Einnahmen auf den staatlichen Ebenen vorgenommen wird. Das ist unendlich kompliziert, zum Teil unlogisch und reformbedürftig. Aber was Kurz da ankündigt, war eine Begünstigung der Länder auf Kosten Wiens.

Türkis ist seither in einer Koalition mit den doch recht stark in Wien verankerten Grünen. Durch Corona war auch keine Zeit, eine Umschichtung im Finanzausgleich durchzuführen.

Auf einer übergeordneten Ebene erinnert das ein wenig an die Zeiten der Ersten Republik, als "sich das von der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) dominierte Rote Wien und die von den Christlichsozialen bestimmte Bundesregierung sowie die sich ebenfalls fest in ihrer Hand befindlichen Bundesländer als feindliche Blöcke gegenüberstanden" (zitiert nach "Demokratiezentrum"). (Hans Rauscher, 19.5.2020)