Bereit zum Verkauf, nur wollen muss diese Neuwagen noch jemand. Nach einem neuen Auto steht derzeit weder Konsumenten noch Unternehmen der Sinn.

Foto: Imago

War der Automarkt bereits im Vorjahr von Technologiediskussionen, Überkapazitäten und schwächelndem Absatz geprägt, brachte die Corona-Pandemie die Branche nun vollständig zum Erliegen. Das Virus hat die gesamte Autoindustrie infiziert und am europäischen Automarkt für einen historischen Rückgang gesorgt.

270.682 neue Pkws kamen im April in der gesamten EU auf die Straßen. Die Zahlen, die der europäische Herstellerverband ACEA am Dienstag präsentierte, legen Zeugnis von einer veritablen Vollbremsung ab. 76 Prozent weniger Neuwagen als im Vergleichsmonat ein Jahr davor wurden die Hersteller los. Dies sei der stärkste monatliche Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen, so der ACEA. Seit Jahresbeginn steht unter dem Strich ein dickes Minus von 38,5 Prozent.

Stillstand

In den besonders stark von der Corona-Krise gebeutelten Ländern Italien (minus 97,6 Prozent) und Spanien (minus 96,5 Prozent) fielen die Bremsspuren besonders tief aus. Auch Frankreich verbuchte mit einem Rückgang von 88,8 Prozent einen deftigen Absturz. Deutschland kam vergleichsweise glimpflich davon: Die Neuzulassungen gingen nur um 61,1 Prozent zurück. In Österreich waren die Autoverkäufe immerhin um knapp zwei Drittel niedriger als vor einem Jahr.

Die Gründe für den Einbruch liegen auf der Hand: Die Fließbänder bei den Autobauern – und damit auch bei den Zulieferern – standen im Großen und Ganzen still. Auch die Autohändler mussten ihre Pforten schließen.

Angezogene Bremse

Im Mai dürfte sich die Lage insofern etwas entspannen, als die meisten Länder ebenso wie Österreich die verfügten Beschränkungen wieder gelockert haben. Autobauer und Zulieferer fahren ihre Betriebe schrittweise wieder hoch. Gerhard Schwartz, Experte beim Beratungshaus EY Österreich, rechnet EU-weit mit einem Rückgang um etwa 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die Aussichten für das Gesamtjahr 2020 sind demnach eher düster: Mit einem Rückgang von mindestens 35 Prozent wird gerechnet.

Denn dass nun die Kunden wieder in Scharen in die Autohäuser strömen, davon geht Schwartz eher nicht aus: "Immer mehr Menschen machen sich Sorgen um ihren Job oder sind gar bereits arbeitslos – ein Neuwagenkauf steht da nicht zur Debatte." Aber nicht nur die Konsumenten stehen auf der Bremse. Schwartz rechnet auch bei gewerblichen Neuzulassungen mit weiterhin starken Einbußen. Umsatzeinbußen und die extreme konjunkturelle Unsicherheit zwingen naturgemäß auch viele Unternehmen zum Sparen. Gerade Autovermietungen, die in einigen Teilen Europas sehr wichtige Abnehmer von Neuwagen seien, würden kaum noch neue Fahrzeuge ordern, so EY-Mann Schwartz.

Harte Zeiten

Für die Automobilindustrie brechen damit aller Voraussicht nach noch länger und vor allem noch härtere Zeiten an, womit auch Rufe nach Konjunkturhilfen, wie etwa Verschrottungsprämien wieder laut werden. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer kam jüngst zu dem Schluss, dass Europa mehr als ein Jahrzehnt brauchen wird, um die Neuwagenverkäufe des Jahres 2019 wieder zu erreichen. Vor pauschalen Staatshilfen nach dem Gießkannenprinzip warnt Dudenhöffer. Das verzögere nur die Marktanpassung. Am Kapazitätsabbau in der europäischen Autoindustrie werde man wohl nicht vorbeikommen, so der Experte lapidar. (rebu, 19.5.2020)