Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig kritisiert die Terminologie von Innenminister Karl Nehammer.

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Die Diskussion in den letzten Tagen sei zwar ein "wenig aufgeregt" verlaufen, gestand Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ein. Bei seinen Appellen an die Stadt Wien handle es sich um keinen Vorwahlkampf. Vielmehr sei es so, dass sein Bedürfnis nach Wahlkampf in seiner Zeit als ÖVP-Generalsekretär "absolut gestillt" worden sei.

Dennoch richtete sich der Innenminister erneut explizit an die Bundeshauptstadt: Aufgrund der Tatsache, dass 60 Prozent aller Neuinfektionen seit Mai aus Wien kommen, müsse man einen "Wellenbrecher" in der Stadt errichten. Deshalb stelle er erneut ein "Hilfsangebot" an Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ): Zum einen Unterstützung des Contact-Tracings durch Polizeibeamte, zum anderen die Kontrolle von Quarantänemaßnahmen auch durch die Exekutive.

Ludwig geht in Offensive

Der zuletzt zurückhaltend agierende Ludwig ging danach in die Offensive: "Wenn die selbst ernannte Flex des Bundeskanzlers davon spricht, er muss Wien vor einem Tsunami bewahren, frage ich mich: Aufgrund welcher Indizien, aufgrund welcher Zahlen wird eine solche Terminologie verwendet?"

Ludwig könne sich nicht erinnern, dass Nehammer bei anderen Gebieten in Österreich mit 25 Fällen in den letzten 24 Stunden mahnend aufgetreten wäre. Er forderte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf, "für Ordnung in seiner Bundesregierung zu sorgen". Der Wiener Bürgermeister sprach von einer "durchsichtigen parteipolitischen Motivation". Es gebe eine "sehr gute Zusammenarbeit der Stadt" mit dem Gesundheitsministerium unter dem grünen Ressortchef Rudolf Anschober. Dieser versuchte sich wiederum als Streitschlichter und lud das Innenministerium zur nächsten Sitzung zum Thema "Niederösterreich/Wien-Cluster" ein.

Contact-Tracing meistens ohne Polizei

Wien ist nicht das einzige Bundesland, das das Contact-Tracing bisher ohne Exekutive schultert. Konkret nahmen nur Tirol, Oberösterreich und die Steiermark das Angebot bisher in Anspruch. Im Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) begründet man den Verzicht auf die Polizei damit, dass diese die Dauer des Contact-Tracings gar verzögern könnte. In Wien würde dieses von medizinisch geschultem Personal durchgeführt. Diese 172 Personen wüssten genau, welche Nachfragen sie stellen müssen. Sollte es mehr Bedarf geben, könne man in der Stadt zudem auf die 100-köpfige Abteilung für Sofortmaßnahmen zurückgreifen.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage, ob und wie die Polizei in Wien an Kontrollen von Quarantänemaßnahmen beteiligt ist. Nehammer präsentierte am Dienstag eine Österreichkarte, auf der Wien als weißer Fleck dargestellt wurde – weil nur dort die Unterstützung der Polizei in dieser Frage ausgeschlagen werde.

Wer kontrolliert wo?

Hacker hat eine andere Wahrnehmung der Situation: Wenn große Häuser unter Quarantäne gestellt werden, erhalte man sehr wohl die Unterstützung der Exekutive. Kontrolle der Heimquarantäne sei Aufgabe der Gesundheitsbehörden. Was diese betreffe, sei es zudem "illusorisch", dass Personen zuhause lückenlos kontrolliert würden, heißt es aus Hackers Büro. Personen in Quarantäne müssten aber täglich ein Gesundheitsupdate geben. Die Polizei Wien beantwortete eine Anfrage des STANDARD, welche Aufgaben sie nun genau wahrnimmt, nicht.

Zudem würden laut Nehammer Informationen darüber vorliegen, dass Mitarbeiter in den derzeit medial im Fokus stehenden Postverteilzentren dort tätig waren, obwohl sie eigentlich in Quarantäne sein müssten. Die Wiener Polizei geht einem Anfangsverdacht dazu nach, wie sie am Dienstagabend bestätigte. Um ein Ermittlungsverfahren handle es sich aber nicht. Das mögliche Delikt wäre laut Paragraf 178 StGB eine vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten.

Grundsätzlich ist das Verlassen der Wohnung untersagt, wenn man sich in behördlich angeordneter Quarantäne befindet. Laut dem Samariterbund, der alle Covid-19-Einrichtungen der Stadt Wien für Personen, die ihre Quarantäne nicht zuhause absitzen können, betreut, habe jedenfalls "mit hundertprozentiger Sicherheit" niemand eine solche unerlaubt verlassen. (Vanessa Gaigg, David Krutzler, Oona Kroisleitner, 19.5.2020)