Obwohl G. den Vorfall an zwei Stellen gemeldet hatte, sei intern jahrelang nichts passiert.

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Im Jahr 2015 landete Taylor G. ihren Traumjob. Sie heuerte bei der Online-Jobbörse Indeed als Account Managerin im New Yorker Büro an. Doch über ihrer Karriere liegt ein Schatten. Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen ihren Arbeitgeber. Einem Mitarbeiter wirft sie Vergewaltigung vor. Innerhalb ihres Unternehmens sollen ihre Meldungen ignoriert und verschleppt worden und die Personalabteilung untätig geblieben sein, berichtet Vice.

Noch im Monat ihrer Anstellung, Juli 2015, lud das Unternehmen die Belegschaft zu einem Training in Sachen beruflicher Orientierung. Dort sei sie eines Abends mit Kollegen auf Einladung der Firma von Bar zu Bar gezogen. Zurück im Hotel traf sie im Aufzug auf ihren Mitarbeiter S., der damals als leitender Angestellter für Indeed in Austin tätig war. Dieser hatte laut G. schon einige Tage zuvor versucht, mit ihr anzubandeln. Nachdem alle anderen Mitfahrer ausgestiegen waren, soll S. körperlich zudringlich geworden sein.

Vorfall im Hotel

Da sie betrunken und von der Situation schockiert war, habe sie sich zuerst nicht gewehrt, so die Beschreibung in der Klagsschrift. Anschließend habe er gefragt, ob er sie auf ihr Zimmer begleiten solle, was sie verneinte. "Das nächste, an das ich mich erinnere ist, dass er in meinem Bett auf mir lag und Sex mit mir hatte", beschreibt G. die weiteren Ereignisse.

Sie habe immer wieder das Bewusstsein verloren und ihn dazwischen – erfolglos – aufgefordert, aufzuhören und mehrfach erklärt, dass sie sehr betrunken sei. Am nächsten Tag sei sie verwirrt aufgewacht und war, bis auf ihre Unterwäsche, immer noch voll bekleidet. Im Mistkübel fand sie ein benutztes Kondom.

An Vorgesetzte anvertraut

Zwei Tage später, nach ihrer Rückkehr nach New York, besuchte sie ein Spital, wo sie mittels eines sogenannten "Rape Kits" – eine Sammlung an Tests zur forensischen Spurensicherung in Fällen sexueller Übergriffe – untersucht wurde. Zudem kontaktierte sie die Polizei in Stamford, dem Ort, an dem der Firmenausflug abgehalten worden war. Auch mit ihrer Schwester und ihrer Zimmer-Mitbewohnerin aus der Studienzeit sprach sie über den Vorfall.

Vor Gericht war sie damals nicht gezogen. Aus Angst, wie sie erklärt. Sie war gerade aus Cleveland nach New York gezogen, hatte kaum Ersparnisse und war zudem neu im Unternehmen. Als S. allerdings im folgenden Februar zu Besuch im New Yorker Büro war, erlitt sie eine Panikattacke und vertraute sich anschließend ihrer direkten Vorgesetzten W. an. Zudem wurde bei ihr kurz darauf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) diagnostiziert.

W. erklärte zunächst, dass etwas getan werden müsse, damit S. nicht vielleicht noch anderen Frauen gegenüber übergriffig werde und kündigte an, dass sie den Fall der Personalabteilung zwecks Untersuchung melden werde. G. erkundigte sich nach dem Prozedere in solchen Fällen. W. stellte dann plötzlich in den Raum, dass S. sich vielleicht ermutigt gefühlt habe, weil G. am gleichen Abend mit einem anderen Mitarbeiter geschmust hätte. "Ich finde diese Art zu denken nicht gut, aber das sind halt Jungs", ergänzte sie.

Frauen als Freiwild

G. bestreitet allerdings, sich an jenem Abend zuvor mit einem anderen Kollegen körperlich eingelassen zu haben. W. soll es zudem verabsäumt haben, der Personalabteilung Bericht zu erstatten. Gegen Frühjahr/Sommer habe sie ihre Erlebnisse auch einer anderen Führungskraft mitgeteilt. Doch auch diese sei untätig geblieben.

Sie berichtet zudem von einer hochproblematischen Firmenkultur. Besonders die Sales-Seite sei stark von Männern dominiert. Bei monatlichen Happy Hours werde eine ausufernde Trinkkultur gepflegt. Und Frauen würden implizit dazu angehalten, sich sexuell auf leitende Angestellte einzulassen, um ihre Karriere zu beschleunigen. Für Frauen gelte als Beförderungskriterium ihre Beliebtheit und Bereitwilligkeit, mit Kollegen und Vorgesetzten zu schlafen, sagt G. Es sei ein misogynes Umfeld, in dem Frauen als Sexualobjekte betrachtet würden. Jene, die dem nicht entsprächen, würden ausgegrenzt, entlassen oder zur Kündigung gedrängt. Auch sie sei mehrfach übergangen worden, während S. weiter aufgestiegen sei.

Schwere Gesundheitsfolgen

In den Folgejahren verschlechterte sich Gs Zustand als Folge der PTSD erheblich. Sie ersuchte das Unternehmen um Erleichterungen, darunter die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten. Dem Wunsch nach Homeoffice kam Indeed temporär nach.

Als sie um weiteres Entgegenkommen aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme bat, reagierte die Personalabteilung laut ihrer Schilderung im August 2019 mit einem Ultimatum. Sie solle entweder selber kündigen, werde entlassen oder dauerhafte Erwerbsunfähigkeit anmelden. G. heuerte daraufhin einen Anwalt an.

Im Februar kündigte Indeed eine Überarbeitung der internen Verhaltensregeln an, insbesondere mit Bezug auf romantische Beziehungen unter Kollegen. Man wolle sicherstellen, dass Beförderungen, Gehälter und andere berufliche Aspekte von diesen unabhängig bewertet werden, hieß es in einer Rundmail. Gleichzeitig wolle man aber nicht "irgendwen für Dinge diszplinieren, die davor vorgefallen sind." Gs Anwalt betrachtet dies als implizite Bestätigung für ihre Beschreibung der Firmenkultur.

Firma beurlaubt Beschuldigte

Während die von ihr Beschuldigten Mitarbeiter sich nicht äußern wollten, reagierte das Management von Indeed mit einer Stellungnahme. Man sei bestürzt gewesen, als man im November 2019 von den Vorwürfen erfahren habe. Obwohl der Vorfall rund fünf Jahre her ist, habe man die Beschuldigten beurlaubt. S. sei zudem nicht mehr im Unternehmen.

Die Darstellung der Firmenkultur weist man allerdings strikt zurück. Man sei "stolz" auf gelebte Inklusion und Beförderungen, die sich auf erbrachte Verdienste stützten. Gs Schilderung sei eine Beleidigung für die "tausenden Mitarbeiter, die ihre Karriere durch harte Arbeit und Resultate" vorangetrieben hätten. (red, 25.05.2020)