Barbara Holub und Paul Rajakovics, die das Kollektiv Transparadiso leiten, bezeichnen ihre Wohnung in der Wiener Leopoldstadt als einen aktiven, produktiven und unperfekten Ort. Entspannung finden sie anderswo.

"Ein bisschen haben wir aufgeräumt, aber nur ein bisschen. Wir haben, wie man unschwer sieht, ein Faible für die Fünfziger- und Sechzigerjahre, wobei wir die wenigsten Möbel, Lampen, Accessoires selbst gekauft haben. Meist haben wir die Dinge irgendwo auf der Straße gefunden, vor Hauseingängen, auf Baustellen, vor dem Sperrmüllcontainer.

Barbara Holub und Paul Rajakovics daheim. Die meisten Möbel haben sie irgendwo gefunden.
Foto: Lisi Specht

Und so kommen die Möbel aus Wien, Triest, Stuttgart, Chicago und Priš tina, wo wir einmal mit unseren Studierenden waren und wo uns beispielsweise ein Bürodrehstuhl in die Quere gekommen ist. Die hübsche Stehlampe im Eck stammt aus Stuttgart. Und den großen roten Teppich haben wir aus Kasachstan in einer karierten Ein-Kubikmeter-Eselstasche nach Wien mitgenommen. Das war das Honorar für einen Kuratorenworkshop, den wir in Almaty realisiert haben.

Die Möbel und Lampen und Drehstühle sind nie perfekt. Sie haben Flecken und Schrammen und müssen neu verkabelt werden, und am Ende ist immer noch irgendwas schief oder wackelt, oder das Kabel passt nicht zum Schirm, das gefundene Tischbein nicht zur gefundenen Tischplatte, und irgendwie ist das auch gut so. Mit dem Perfekten im klassischen Sinne können wir nicht wirklich etwas anfangen. Perfektion … was soll das sein? Perfektion hat etwas Klinisches, Langweiliges. Perfektion ist für uns kein absoluter Zustand, sondern eher ein relativer Prozess, ganz im Sinne der konkreten Utopie von Ernst Bloch.

Im Bild links zu sehen: das Puzzle-Kunstwerk "Geheimnisträger" aus Chicago.
Fotos: Lisi Specht

So gesehen ist die ganze Wohnung nicht perfekt, also nicht perfekt im ureigentlichen Sinne, aber sie ist perfekt für uns. Eingezogen sind wir vor knapp 30 Jahren, und damals galt die Leopoldstadt als ziemlich unattraktiver Arbeiterbezirk mit unsanierten Wohnhäusern und Prostituiertenvierteln, alles recht rough. Diese Zeiten sind längst vorbei. Das Grätzel ist gentrifiziert, das Wohnen rundherum ist unleistbar geworden. Vom alten Charme ist kaum noch was da, abgesehen von einem kleinen Tschecherl am Eck, wo man noch einen Gspritzten an der Theke trinken kann.

Die Wohnung hat 133 Quadratmeter und war nie eine klassische Familienwohnung, auch wenn hier unsere Tochter aufgewachsen ist, sondern eher eine Art Wohn- und Künstler-WG. Heute ist die Wohnung für uns eine Art Auch-Arbeitswohnung. Sie bietet viele unterschiedliche Charakterseiten – vom konzentrierten Arbeiten allein über Atelier, Werkstatt, Teamwork bis hin zu gemeinsamen Abendessen mit Freunden. Es ist eine sehr aktive und produktive Wohnung. Das Einzige, was wir hier nie wirklich gelernt haben, ist das Loslassen und Zur-Ruhe-Kommen. Das ist ein Zustand, den wir hier irgendwie noch nicht gefunden haben.

Seit 30 Jahren wohnen Barbara Holub und Paul Rajakovics in ihrer Wohnung, die sie als eine Art Wohn- und Künstler-WG bezeichnen.
Fotos: Lisi Specht

Aber vielleicht muss das auch nicht sein. Wahrscheinlich ist es so, dass wir diesen Zustand der Ruhe eher woanders finden – in einem Haus in der Steiermark, in unserer Atelierwohnung in Triest oder in irgendeiner unserer vielen Residencies irgendwo auf der Welt – in Amsterdam, in Chicago, in Judenburg. Wo auch immer es möglich ist, ziehen wir, während wir ein Kunstprojekt für eine bestimmte Stadt oder Region machen, für ein paar Monate an Ort und Stelle und lassen uns dann dort nieder. Der Weg dorthin, das stundenlange Autofahren über Landstraßen oder das Im-Zug-Sitzen, während an einem die Landschaft vorüberzieht, ist unser eigentlicher mobiler Ort der Ruhe. Wir kommen ins Plaudern, wir sinnieren über das Leben, wir entspannen uns.

Für die Zukunft träumen wir von einem kollektiven Wohnmodell, von einer großen Wohnung, von einem ganzen Haus, in dem wir mit Freunden und Kolleginnen wohnen und arbeiten könnten. Vielleicht werden wir uns diesen Wunsch in unserer Atelierwohnung in Triest erfüllen. Aber bis es so weit ist, träumen wir davon, dass wir im Vorzimmer endlich eine kleine Garderobe bauen. Wir reden schon seit zehn Jahren davon. Jetzt wird es Zeit, den Plan zu realisieren." (25.5.2020)