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Unscheinbares Haus, aber oft in den Schlagzeilen: die Gasfirma Burisma.

Foto: Reuters /Valentin Ogrienko

Wird Joe Biden nächster US-Präsident? Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Amtsinhaber Donald Trump, von Biden zuletzt ironisch als "President Tweety" bezeichnet, gibt in der Corona-Krise keine gute Figur ab. In Umfragen liegt der Herausforderer nicht nur landesweit, sondern auch in den Swing States, die Hillary Clinton 2016 verlor, rund fünf Prozentpunkte vor dem 73-jährigen US-Präsidenten.

Doch Bidens Kandidatur weist selbst einige Schwächen auf, die ihn daran hindern könnten, im Herbst zur Nummer 46 bei den US-Präsidenten aufzusteigen. Da ist zum einen sein Alter: Mit 77 Jahren ist er sogar noch älter als Trump, der ihn so konsequent als senil ("sleepy Joe") zu porträtieren sucht. Da sind zum anderen aber auch einige im Raum stehende Vorwürfe, die das Image des früheren Vizepräsidenten belasten. Anschuldigungen sexueller Belästigung und Vergewaltigung und Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit seinem Sohn Hunter Biden und dem ukrainischen Gasförderer Burisma.

Fast vergessen: Trumps Impeachment

Die Ukraine-Affäre hat schon einmal einen Skandal ausgelöst, als Trump versuchte, von Kiew belastendes Material über Hunter Bidens Tätigkeit im Burisma-Verwaltungsrat zu erpressen und dafür sogar ein Impeachment-Verfahren aufgebrummt bekam. Die leidige Geschichte ist für Biden damit nicht aus der Welt. Nun hat der ukrainische Parlamentsabgeordnete Andri Derkatsch mit mitgeschnittenen Telefonaufzeichnungen die Vorwürfe gegen Biden erneuert.

In den Aufnahmen, die von Anfang 2016 stammen, sind Stimmen zu hören, die dem ukrainischen Ex-Präsidenten Petro Poroschenko, Joe Biden sowie dem ehemaligen US-Außenminister John Kerry gehören sollen. Die Qualität ist schlecht, und nicht immer ist überhaupt alles zu verstehen, was gesagt wird. Brisant ist der Inhalt trotzdem: Diskutiert wird die Ablösung des damaligen ukrainischen Generalstaatsanwalts Wiktor Schokin, der zu jener Zeit Korruptionsermittlungen gegen Burisma leitete, und von Premier Arseni Jazenjuk.

"Eine starke Motivation"

Laut Derkatsch geht es um Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine durch das Weiße Haus und Hochverrat durch Poroschenko. Zu hören ist beispielsweise Kerry, der Schokins Entlassung fordert, "weil er die Reform zur Säuberung der Generalstaatsanwaltschaft blockiert". Kerrys ehemaliger Wahlkampfmanager Devon Archer war ebenfalls im Burisma-Verwaltungsrat. Poroschenko seinerseits soll Biden versichert haben, dass er Schokin, "obwohl es weder Korruptionsvorwürfe noch Angaben über illegale Handlungen gegeben hat", zum Rücktritt aufgefordert habe.

Biden wird mit der Aussage zitiert, eine Milliarde Dollar an die Ukraine freizugeben, wenn Poroschenko eine neue Regierung und einen neuen Generalstaatsanwalt bestelle, woraufhin der ukrainische Präsident antwortet: "Eine sehr starke Motivation" – und seinen Kandidaten Juri Luzenko vorstellt, den er aber bereit sei fallen zu lassen, wenn das Weiße Haus ihn nicht als Generalstaatsanwalt haben wolle. Am Ende bekam Luzenko tatsächlich den Posten.

Information alt, Aufnahme neu

Wirklich neu ist die Information, dass Biden und Kerry den Rücktritt Schokins lobbyiert haben, nicht. Biden selbst hatte 2018 auf einer Panelsitzung des Council on Foreign Relations erklärt, dass er – unter anderem mit der Freigabe der angesprochenen Milliarde Dollar – Druck gemacht habe, um die Entlassung durchzudrücken. Der frühere US-Vizepräsident hatte das stets mit dem hohen Maß an Korruption in der Ukraine begründet, gegen die Schokin nichts unternommen habe. Diese hatten auch andere, etwa EU-Staaten und der IWF bemängelt, die damals ebenfalls auf Schokins Entlassung drängten.

Trotzdem wird das Thema durch die Veröffentlichung der Aufnahme im Wahlkampf wieder heiß. Das Trump-Lager wird die Vorlage sicher für weitere Angriffe auf Biden nutzen, zumal die lukrative Anstellung von Bidens Sohn beim Gaskonzern Burisma und der anschließende Einsatz der US-Regierung gegen einen ukrainischen Staatsanwalt, der gegen das Unternehmen ermittelt, den Beigeschmack von Nepotismus und Interessenkonflikten behalten.

Poroschenko spricht von Fälschung

In der Ukraine zieht die Veröffentlichung ebenfalls Kreise. In der Rada haben sich Abgeordnete der regierenden Partei "Diener des Volkes" für Ermittlungen ausgesprochen, um die Echtheit der Aufnahmen zu prüfen und ein eventuelles Vorgehen gegen Poroschenko zu evaluieren. In Poroschenkos Partei "Europäische Solidarität" wurden die Mitschnitte als "gefälscht" bewertet. Sie dienten dem Ziel, "die Ukraine zu diskreditieren und sie künstlich in den US-Wahlkampf hineinzuziehen". Der Autor Andrej Derkatsch sei bekannt für "seine Beziehungen zu Russland".

Tatsächlich war Derkatsch zumindest von 1990 bis 1993 an der Akademie des russischen Geheimdienstministeriums eingeschrieben. Später hatte er aber auch in der Ukraine politische und wirtschaftliche Ämter inne, war auch jahrelang in der Janukowitsch-treuen "Partei der Regionen", die er erst nach dem Sturz des Präsidenten verließ. Seit 2017 trat er mehrfach mit Vorwürfen gegenüber Biden auf. (André Ballin aus Moskau, 20.5.2020)