Italiens Finanzpolizei (Symbolbild) wurde fündig.

Foto: EPA / Sergio Pentoriero

Unter den angeblichen Bedürftigen befinden sich bekannte Clan-Mitglieder, vom Mitläufer bis zum Paten: allesamt verurteilte Mafiosi, die ihre Strafe abgesessen hatten – und dann, kaum aus dem Gefängnis entlassen, beim Staat die hohle Hand machten. Zum Teil waren bei ihnen bei der Verhaftung Luxusautos, Yachten, Villen und andere Millionenvermögen beschlagnahmt worden.

Insgesamt sind in der Provinz von Reggio Calabria 101 'Ndrangheta-Mitglieder identifiziert worden, die zu Unrecht das staatliche Grundeinkommen bezogen haben, teilte die italienische Finanzpolizei am Dienstagabend mit. Sie hätten gesamthaft bereits 516.000 Euro kassiert.

Grundeinkommen für Italiens Escobar

Der Prominenteste unter den mafiösen Scheinbedürftigen ist Alessandro Pannunzi, der Sohn von Roberto "Bebé" Pannunzi. Vater Pannunzi war lange Zeit einer der größten Kokain-Makler Europas gewesen: Vom Medellin-Kartell in Kolumbien hatte er monatlich bis zu zwei Tonnen des Stoffs bezogen. Wegen seiner exzellenten Beziehungen zu den südamerikanischen Drogenbaronen wurde Pannunzi in seiner Heimat auch der "Pablo Escobar Italiens" genannt. Später führte der Sohn Alessandro die Drogengeschäfte weiter.

Er saß ebenfalls mehrere Jahre im Gefängnis, wurde aber 2018 wieder freigelassen. Und ging, wie die Finanzpolizei nun aufdeckte, kurz darauf zum Sozialamt, um das Grundeinkommen zu beantragen. Das Grundeinkommen war in Italien im März 2019 eingeführt worden; es handelte sich um das wichtigste Wahlversprechen der Fünf-Sterne-Protestbewegung im Wahlkampf von 2018. Beantragen kann die staatliche Hilfe, wer weniger als 9.360 Euro Jahreseinkommen hat; die Pensionsversicherung überweist in diesem Fall einen Höchstbetrag von 500 Euro plus maximal 280 Euro in Form von Mietzuschuss. Die Bezieher sind verpflichtet, sich bei Arbeitsvermittlungszentren zu melden.

Kontrollen infrage

Derzeit erhalten laut Angaben der Rentenversicherung rund 1,1 Millionen Einzelpersonen und Familien das Grundeinkommen; der durchschnittliche Betrag inklusive Mietzuschuss beläuft sich auf 496 Euro. Dass zahlreiche Mitglieder der berüchtigtsten – und reichsten – 'Ndrangheta-Clans von Reggio Calabria in den Genuss des staatlichen Grundeinkommens gekommen sind, wirft natürlich ein ungutes Licht auf die Kontrolltätigkeit der zuständigen Ämter. Nicht zuletzt auch deshalb, weil verurteilte Straftäter grundsätzlich kein Anrecht auf diese Form der staatlichen Hilfe haben: Ein Blick ins Strafregister hätte genügt, um die mafiösen "Bedürftigen" bei der Behandlung der Gesuche auszusortieren. Offensichtlich hat sich auch niemand die Mühe gemacht, die von den Antragstellern angegebenen, lächerlich tiefen Phantasie-Einkommen näher zu überprüfen.

Die von der Rentenversicherung versäumten Kontrollen hat nun die Finanzpolizei bei 500 großen und kleinen 'Ndrangheta-Fischen nachgeholt – und dabei die oben erwähnten 101 mutmaßliche Sozialbetrüger identifiziert. Der vermutliche Missbrauch wurde umgehend abgestellt, die Mafiosi angezeigt. Der Pensionsversicherung obliegt es nun, die zu Unrecht ausbezahlten Grundeinkommen wieder zurückzufordern. Für die betreffenden Beamten ist dies keine angenehme Aufgabe, wenn man sich das massive Droh- und Gewaltpotenzial der 'Ndrangheta-Clans vor Augen hält. Die kalabresische 'Ndrangheta ist Italiens gefährlichste, brutalste und reichste Mafia-Organisation; ihr Jahresumsatz mit Drogen- und anderen illegalen Geschäften wird auf 60 Milliarden Euro geschätzt. Die Clans haben Ableger in der ganzen Welt. (Dominik Straub aus Rom, 20.5.2020)