Nachhaltigkeit entsteht nicht, indem man Freiheitsrechte einschränkt und die Wirtschaft vor die Wand fährt, so der Nachhaltigkeitsforscher Fred Luks.

Bekämpfe jede Krise, fordert die Bewegung Fridays for Future. Darauf kann man sich leicht einigen. In der Frage des Wie gehen allerdings die Meinungen auseinander.
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Viele Menschen, die den Umbau der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit herbeiwünschen, sehen die Krise als Möglichkeit, dass "wir" jetzt endlich nachhaltig und achtsam werden und unser Leben zukünftig entschleunigt und klimaneutral organisieren. Nach der Krise, so kann man lesen, halten wir mehr zusammen, sind liebevoller – einfach besser. Diese Krise, wird uns verkündet, ist eine Chance. Jetzt wird alles gut. Wirklich?

Der Pessimismus ist bekanntlich der einzige Mist, auf dem nichts wächst. Dasselbe gilt freilich für den Optimismus: Auf ihm wächst auch nichts – vor allem keine bessere Welt. Pessimismus ist faul, weil das schlechte Ende als unausweichlich gesehen wird. Das ist eine nervige und unproduktive Einstellung. Sehr produktiv ist allerdings auch der Optimismus nicht. Der Optimist glaubt daran, so formuliert es der französische Philosoph Gabriel Marcel, dass "die Dinge ‚sich einrichten‘ müssen". Wenn angesichts des Krisendurcheinanders viele Menschen glauben, dass die Dinge sich jetzt gut richten werden, bremst genau diese passive Einstellung womöglich eine Wende zum Besseren.

Prinzip Hoffnung

Deshalb erfordert die Lage keinen Optimismus, sondern echte Hoffnung. Wer hofft, ist mit der Lage unzufrieden, will etwas ändern und weiß, dass man mit seinen Bestrebungen scheitern kann. Hoffnung ist eine aktivistische Haltung. Dass man eine gute Krise nicht verschwenden soll, gilt auch in diesen Zeiten. Das wird aber nur dann gelingen, wenn wir nicht fröhlich-naiv das Post-Corona-Paradies erwarten, sondern uns engagieren und über die Zukunft streiten.

Für viele ist das Management der aktuellen Krise ein Modell für die Bewältigung anderer Probleme. In der Tat zeigen die letzten Wochen, dass Politik handeln kann, wenn der Wille dazu vorhanden ist. Wo lange Zeit argumentiert wurde, der Staat sei in einer globalisierten Welt nur sehr bedingt handlungsfähig, erweist sich nun, dass er sehr schnell sehr tief in Gesellschaft und Wirtschaft eingreifen kann. In bemerkenswerter Weise wurde auf die (Natur-)Wissenschaft gehört.

Auch Hoffnung basiert auf Wissen, denn: Wer die Welt verändern will, sollte sie möglichst gut verstehen. Und gut heißt: möglichst breit und interdisziplinär. Dass das heutzutage kein einzelner Mensch schaffen kann, ist bekannt. Wenn wir an einer besseren Zukunft basteln wollen, sollten wir uns als Gesellschaft sicher nicht ausschließlich der Expertise hochspezialisierter Fachleute anvertrauen, sondern versuchen, die Komplexität der Lage in den Blick zu bekommen.

Der "Corona-Effekt"

Wer glaubt, Klimaerwärmung, Artensterben und andere (nicht nur ökologische) Probleme ließen sich im "Corona-Style" aus der Welt schaffen, irrt gewaltig. Das Argument, dass sich doch jetzt die Natur erholt, ist an Plattheit kaum zu unterbieten. Natürlich sinken Emissionen, wenn die Wirtschaft abstürzt – beim Ende des Sowjetimperiums nannte man das den Gorbatschow-Effekt. Die optimistische Vorstellung, nun gebe es einen "Corona-Effekt", übersieht die demokratiepolitischen und ökonomischen Kosten des Corona-Krisenmanagements.

Nachhaltigkeit entsteht nicht, indem man Freiheitsrechte dauerhaft einschränkt und die Wirtschaft vor die Wand fährt. Illiberale Nachhaltigkeit ist gar keine. Für den dringend notwendigen Umbau der Wirtschaft braucht man vor allem sehr viele sehr gute Ideen, wie diese Wirtschaft gerechter und umweltverträglicher werden kann. Der Glaube, die Transformation zur Nachhaltigkeit werde durch die aktuelle Krise und ihr Management beschleunigt, ist naiver Optimismus.

Gründe zur Hoffnung gibt es dennoch. Entschlossene Politik ist sicher auch ohne Angstrhetorik und dauerhafte Freiheitsbeschränkungen möglich. Und dass Politik die Erkenntnisse der Wissenschaft berücksichtigt, ist großartig – solange dabei Breite, Komplexität und prinzipielle Fehlbarkeit wissenschaftlichen Wissens beachtet werden. Ideen für eine innovative, nachhaltige und gerechte Wirtschaft gibt es jede Menge. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann eine Wirtschaft nachhaltig florieren.

Bequeme Selbstberuhigung

Dass dies auch nach der Krise nicht automatisch passiert, zeigt schon der Streit über die Frage, wie der Wirtschaft wieder auf die Beine geholfen werden kann. Nachhaltiges Wirtschaften kommt nicht ohne vehementes Engagement und Streit um die besten Lösungen in die Welt. Ähnliches gilt für die Frage, ob sich die Arbeitsbedingungen für die Heldinnen und Helden der Krise verbessern – oder ob es bei symbolischem Applaus bleibt, der nichts kostet und den Betroffenen nichts bringt. Auch hier ist Optimismus völlig deplatziert, Hoffnung dagegen notwendig und möglich.

Ja, die Krise kann eine Chance sein – aber nur dann, wenn wir nicht einem fröhlich-naiv-faulen Optimismus anhängen. Diese bequeme Form der Selbstberuhigung wird die Welt nicht verbessern. Was wir brauchen, ist Hoffnung – denn nur Hoffnung motiviert Engagement. Und dieses Engagement wird dringend gebraucht: zivilgesellschaftlich und wissenschaftlich, unternehmerisch und politisch. (Fred Luks, 22.5.2020)