Die überbordende Schönheit der "prachtblütigen" Mai-Natur wird in ihrer Vitalität und Schönheit vor dem Leser/der Leserin ausgebreitet.

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Vorweg – ich habe Karel Hynek Máchas Mai des Öfteren gelesen, selten jedoch so aufmerksam und vergnüglich wie in der Übersetzung von Ondřej Cikán. Als Übersetzer weiß ich nur zu gut, was für Herausforderungen mit der lautmalerischen Dimension romantischer Lyrik einhergehen; diesen gewagten und seinerzeit nahezu revolutionären Duktus, Rhythmus, die Inversionen, Metaphorik und Co zu einer adäquaten Komposition zusammenzufügen (auch in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um einen, wenn nicht gar um den Meilenstein tschechischer Literatur handelt) bringt jeden an seine Grenzen. Dass es sich auch um eines der am öftesten übersetzten Werke der tschechischen Dichtung handelt, macht die Aufgabe erfahrungsgemäß nicht einfacher.

Máchas Mai ist nicht nur das Hauptwerk tschechischer Romantik, es markiert zugleich die nationale Wiedergeburt, beschwört und formt das Tschechische als Literatursprache, es ist bis heute Pflichtlektüre in der Schule (nahezu jeder Tscheche/jede Tschechin kann Verse daraus zitieren) und gilt in vielerlei Hinsicht als unübersetzbar. Die poetisch-epische Schilderung, die in ihrer Vitalität und Schönheit vor dem Leser/der Leserin ausgebreitet wird, bezeugt die unbändige und immerwährende Kraft der Natur, an der sich der Mensch erfreuen kann (und darf).

Sie ist zugleich ein Spiegelbild bzw. eine Entsprechung menschlicher Stimmungslagen und Lebenskrisen. Wo sich zum Berg die Wasser neigen, wo sich zum Berg die Wasser schmiegen, blickt müd das Mädchen nach den Weiten, erfahren wir im ersten (von insgesamt vier) Gesängen, durchbrochen von zwei Intermezzi. Der Autor selbst hat (wie wir im von Ondřej Cikán wunderbar gestalteten Anhang erfahren) festgehalten, dass die Handlung des Gedichts nicht als Hauptsache angesehen werden darf; die Form steht über dem Inhalt, was ich im Übrigen seit Jahren predige, wo doch die hohe Kunst der Literatur in der Handhabung der Sprache liegen muss.

Schwung des Schwerts

Nur so viel zum Inhaltlichen: Die Liebende (Jarmila) wartet vergeblich auf den Liebenden (Wilhelm), doch kann dieser das Stelldichein nicht einhalten. Seiner harrt der Tod, da er längst im Gefängnis auf die Hinrichtung wartet (für einen durchaus pikanten Mord), sein Herz in feuchter Niederung. Die Welt verging – umsonst das Sehnen. Der Schwung des Schwerts, es blitzt dem Mörder ins Genick.

Wie Jarmila inhaliert er förmlich die (in seinem Fall durchs vergitterte Fenster) überbordende Schönheit der "prachtblütigen" Mai-Natur. Zuletzt, fast schon als Epilog, gesellt sich der Dichter Mácha selbst in sein Gedicht, gleichsam im romantischen Gleichklang mit seinen Protagonisten – und auf Spurensuche. Erkennst du den Pilger, der über Wiesen spät nach einem Ziel eilt.

Außerordentlich sind auch die Illustrationen des Bühnenbildners Antonín Šilar, der mit seinen Spiegelungen (die an Rorschachtests erinnern) weitere, visuelle Deutungsräume öffnet. Jedenfalls, Komik ist Tragik in Spiegelschrift, denn der Mensch bleibt mit seinen entzündlichen Emotionen, den Ängsten, Sehnsüchten, Begehrlichkeiten und Wollüsten ein Spielball des eigenen Handelns – und steht sich oft genug selbst im Weg. Fazit: Ein lustvolles Drama, ein großer Wurf, Mácha-Baby! (Michael Stavarič, 24.5.2020)