Schauspielerin Caroline Peters über Schauspiel in Corona-Zeiten: "Wann habe ich das letzte Mal mit jemandem geknutscht auf der Bühne? Ich bin ja nicht 14."

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In der Komödie "Womit haben wir das verdient" ist die feministische Ärztin Wanda (Caroline Peters) mit dem Islam konfrontiert. Ihre Tochter Nina (Chantal Zitzenbacher) ist konvertiert.

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Wien – Als ihre pubertierende Tochter zum Islam konvertiert, gerät nicht nur das Weltbild der feministischen Ärztin Wanda aus den Fugen, sondern das gesamte Patchwork-Familiengefüge ins Wanken: Womit haben wir das verdient heißt Eva Spreitzhofers Culture-Clash-Komödie, die der ORF eineinhalb Jahre nach dem Kinostart am Freitag, 5. Juni, um 20.15 Uhr in ORF 1 zeigt – mit Caroline Peters in der Hauptrolle der Wanda. Die Schauspielerin spricht im Interview über politische Ignoranz in Corona-Zeiten, wie sie sich persönlich durchmanövriert und warum die Rolle der Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen einen besonderen Stellenwert hat.

STANDARD: Wie geht es Ihnen persönlich in der Corona-Krise?

Peters: Es ist ein Auf und Ab. Ich habe immer das Gefühl, ich bin bipolar. Mal ist man entzückt von diesen Nebeneffekten wie viel mehr persönliche Freiheit, unheimlich viel Zeit zum Erholen – und dann ist man wieder in Panik und Entsetzen über Erkrankungen im Freundes- und Familienkreis, was die Zukunft bringen soll, wie das wirtschaftlich jemals wieder aufgefangen werden soll oder wann die Theater jemals wieder aufsperren. Es geht mir sehr unterschiedlich damit.

STANDARD: Und es ist ein starker Kontrast zu Ihrem sonstigen Alltag, der in der Schauspielerei von Unregelmäßigkeit geprägt ist. Wie fühlt es sich an, so etwas wie einen Alltag zu haben?

Peters: Dieser Teil ist der angenehme Teil, ich hatte in meinem ganzen Erwachsenenleben noch nie so eine Phase – ich habe auch Lesungen im Internet gemacht, die das verstärkt haben – mit einem regelmäßigen Alltag. Von Montag bis Freitag mache ich am Vormittag um elf Uhr meine Lesungen, dann kommt das Wochenende, da machen wir Ausflüge, um genügend Luft und Sport zu haben – man schläft immer zu Hause, man isst immer zu Hause: Das sind mir völlig unbekannte Verhaltensweisen, die ich aber auch sehr angenehm finde. (lacht)

STANDARD: Haben Sie eine neue Leidenschaft entwickelt? Zum Beispiel für das Backen – wie viele andere auch?

Peters: Überhaupt nicht, das habe ich einen Tag probiert, das war ein Albtraum. Meine hausfraulichen Fähigkeiten haben sich nicht grundlegend erweitert, außer vielleicht das Kochen. Das findet jetzt nicht mehr so eventmäßig statt, sondern regelmäßiger. Es erfordert ja auch eine gewisse Vorausplanung, weil man einkaufen muss. Das hat sich vielleicht verbessert, ansonsten habe ich die Zeit auch dazu genutzt, um unsere Pflanzen auf dem Balkon zu hegen und die Ruhe zu genießen.

STANDARD: Mit der Ruhe ist es bald vorbei. Mit Ende Mai geht es Schritt für Schritt mit Kulturveranstaltungen los. Wie groß ist die Freude, dass es bald einen Re-Start gibt?

Peters: Die Freude ist sehr groß, sonst nimmt die Panik weiter zu, die man jetzt noch teilweise verdecken kann, indem man sagt: Ach, ist doch ganz herrlich, es gibt ja auch viele positive Seiten. Auch für die Zuseher ist das Theater eine wichtige Übung: dass man nicht vergisst, dass man mit anderen Menschen in einer größeren Gruppe in einem geschlossenen Raum zusammen sein kann. Wenn wir alle an einen Punkt kommen, dass wir dem so sehr entwöhnt sind, dass uns das in Panik versetzt, dann kann man sehr viele Institutionen unseres bisherigen gesellschaftlichen Lebens vergessen.

STANDARD: Die Kritik aus der Kulturszene war sehr massiv, auch an Kunststaatssekretärin Ulrike Lunacek, die mittlerweile zurückgetreten ist, dass es lange keinen konkreten Fahrplan gegeben hat. Teilen Sie diese Kritik?

Peters: Ich finde den Fahrplan von Frau Lunacek zu konkret. Ihre Vorschläge sind so detailliert, aber sehr weit von unserer Realität entfernt wie nur irgendwas. Ich habe nicht verstanden, warum etwa für die Gastronomie Maßnahmen mit den Betroffenen ausgearbeitet werden, das aber beim Theater oder der Oper nicht möglich sein soll. Hängengeblieben ist zum Beispiel der Vorschlag, dass ein oder zwei Schauspieler auf der Bühne sind, und unten sitzen ein bis zwei Betreuer. Wer im Leben ist jemals im Theater von irgendwem betreut worden? Warum haben diese politischen Sätze gar keine Anbindung an die Schauspielerrealität?

STANDARD: Im Theater ließe sich das ja so regeln, dass etwa nur jeder zweite Platz besetzt wird?

Peters: Ja, oder auf der Bühne. Ich höre immer den Satz: Bei euch geht das nicht, ihr könnt ja nicht einmal knutschen auf der Bühne. Ich sage dann: Ich habe auch bisher nicht in der Peepshow gearbeitet. Wann habe ich das letzte Mal mit jemandem geknutscht auf der Bühne? Ich bin ja nicht 14. Wir stellen ja Kunst her, die in einem künstlerischen Prozess erarbeitet wird, der sich Probe nennt und nicht Übe-Stunde oder betreute Stunde. Wenn der Prozess bestimmten Regeln folgen muss wie Abstand halten, dann werden wir das machen und einen künstlerischen Ausdruck finden, der für die Zuseher lesbar ist. Dass uns das so kategorisch abgesprochen wird, weil gesagt wurde: "Na, bei euch geht das ja alles nicht", das habe ich als maßregelnd und übergriffig empfunden.

Die größere Lösung muss auf der Zuseherseite gefunden werden: Wie kommen die alle rein? Wie kann man im Foyer Abstand halten? Was ist mit den Garderobenhaken und den Toiletten? Wie man das alles bedient und desinfiziert. Aber das wurde ja für die Gastro geregelt, es geht ja. Und warum sollen sich Abstand halten und ein künstlerisches Produkt herstellen ausschließen?

STANDARD: Halten Sie Kultur für systemrelevant?

Peters: Vor allem in einem Land wie Österreich, das sich stark als Kulturnation positioniert und das einen Riesenberg an Touristen mit seinem Kulturprogramm anlockt – und nicht nur mit Bergen und Seen. In der Wiener Gesellschaft beweist diese unglaubliche Anzahl an Theater- und Konzerthäusern, die jeden Abend ausverkauft sind, wie viele das regelmäßig konsumieren. Weil sie Leute treffen möchten, etwas zum Reden brauchen und weil sie anscheinend an dem Live-Erlebnis in einer Gruppe interessiert sind. Deswegen halte ich das für systemrelevant.

STANDARD: Was stattfinden dürfte, wenn auch in abgespeckter Form, sind die Salzburger Festspiele, bei denen Sie in die Rolle der Buhlschaft schlüpfen.

Peters: Darauf freue ich mich schon sehr. Jetzt hat auch die Beschäftigung mit dem Stück noch einmal neuen Sinn bekommen. Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt haben sich das 1920 ausgedacht. Die direkte Erfahrung aller Menschen in Europa waren um diese Zeit der Erste Weltkrieg und die Spanische Grippe. Die haben viel über den Tod nachgedacht und erzählen etwas darüber. Vielleicht haben das jetzt die Leute aufgrund der Corona-Krise im Hinterkopf und hören anders zu. Und da es heuer weniger Drumherum und wohl weniger Society-Events geben wird, gerät womöglich das Stück wieder mehr in den Mittelpunkt.

STANDARD: In Österreich hat die Rolle der Buhlschaft eine besondere Bedeutung. Welchen Stellenwert geben Sie ihr?

Peters: Ich erlebe das mit Erstaunen, wie groß die Bedeutung in Österreich ist. Bisher habe ich es eher aus deutscher Sicht betrachtet, aber wenn man das selbst erlebt, ist es schon noch einmal was anderes. (lacht) Ich finde das sehr beeindruckend, und es gibt mir das Gefühl, dass Österreich eine Kulturnation und Kultur systemrelevant ist. Es ist ein Thema, über das so viele Menschen sprechen können, denn letztlich ist es bloß ein Theaterstück. Hier hat es aber so einen weitreichenden Klang, was ein tolles kulturelles Phänomen ist.

STANDARD: Welche Auswirkungen hatte Corona wirtschaftlich für Sie? Sie betreiben ja im vierten Bezirk auch ein Postkartengeschäft. Gab es gravierende Einbußen?

Peters: Schon, es fehlen Einnahmen von vier Wochen, das merkt man bei allen Unternehmen. Wer das Geld nicht zurückgelegt hat, kann das jetzt auch nicht einholen. Unser Betrieb ist winzig klein, es gibt ihn ja auch erst seit zwei Jahren, sodass wir die Zeit sehr gut nutzen konnten, andere Tätigkeiten in den Vordergrund zu stellen. So haben wir zum Beispiel einen neuen Webshop gemacht, die Instagram-Seite aufgemöbelt, uns mit Marketingstrategien beschäftigt. Das haben wir vorher nicht getan, weil wir so mit dem Herstellen der künstlerischen Postkarten beschäftigt waren.

STANDARD: Haben Sie staatliche Unterstützung erhalten?

Peters: Wir sind durch alle Raster durchgefallen. Wir sind kein Härtefall, das trifft aber auf andere Kollegen auf der Straße sehr wohl zu. Und jene, die Hilfen bekommen, erhalten Kredite: Die müssen sie zurückzahlen. Mit Zinsen. Wie soll man das eigentlich schaffen?

STANDARD: Sie haben erzählt, dass Sie einen Webshop aufgebaut und Ihre Social-Media-Präsenz forciert haben. Also hat Corona bei Ihnen einen Digitalisierungsschub bewirkt?

Peters: Absolut, durch das Theater war ich vorher analog. Ich habe ein Smartphone und mache auch Sachen damit, aber für Social Media habe ich mich nicht erwärmen können. Und ich weiß auch, warum. Es schluckt wahnsinnig viel Zeit, die hatte ich vorher nicht. Es gibt auch so Nebeneffekte: Meine Augen sind sofort viel schlechter geworden. Ich musste gleich eine neue Brille besorgen. Es hat mir aber auch Spaß gemacht, diese Art des Kommunizierens, mein eigener Herr zu sein, das Programm und den Look zu bestimmen – etwa die Live-Lesungen auf Instagram. Das war eine sehr interessante Erfahrung, ohne Corona hätte ich die Zeit und die Muße dafür nicht gefunden.

STANDARD: Um gewisse Plattformen machen Sie aber einen Bogen, haben Sie gesagt –etwa Twitter, weil da der Ton so rau sei.

Peters: Ich habe den Eindruck, Twitter ist einzig und alleine dazu da, zu beweisen, dass man noch widerlicher als Donald Trump sein kann. Das ist so eine soziale Dynamik und ein Wettbewerb im aggressiven Aufsager raushauen, das ist mir wirklich unangenehm.

STANDARD: Wenn Sie Deutschland und Österreich vergleichen: Wer navigiert Ihrer Meinung nach besser durch die Krise?

Peters: Ich finde tatsächlich beide gut, auffällig ist aber, wie unterschiedlich die Bereitschaft ist, die Maßgaben umzusetzen. In Deutschland lässt sich Bayern gut mit Österreich vergleichen, der Rest verhält sich ganz stark diskutierend und abwägend. Bayern und Österreich handeln sehr stark nach den Maßgaben und diskutieren erst danach, ob das eine gute oder schlechte Entscheidung war, habe ich den Eindruck. Beides sind gültige Möglichkeiten, und vielleicht ist das eine Mentalitätsfrage. Die nördlichen Deutschen sind vielleicht zurückhaltender, zögerlicher als Bayern oder eben Österreicher.

STANDARD: Die folgen der Politik eher blind oder mit weniger Widerspruch?

Peters: Na ja, hier wird ja der Politik auch nicht blind gefolgt, ich fand es angenehm in Wien, und ich kann nur für Wien sprechen, da wir ausschließlich hier waren. Sehr viele Leute sind allen Sachen einfach so gefolgt, ohne groß zu streiten, vielleicht mit diskutieren, aber erst einmal macht man es. In Berlin scheint das viel mehr dem Einzelnen überlassen zu sein. Das macht es schwieriger, weil jeder für sich selbst entscheidet, ob er dem folgt oder nicht. Dann entsteht so eine Schulhofgruppendynamik: Wenn du dem gehorchst, bist du aber doof. Da habe ich mich in Wien freier gefühlt, als mir meine Geschwister in Berlin vorkamen, wenn ich mit ihnen gesprochen habe. Sie haben viel mehr sozialen Druck untereinander.

STANDARD: Der Film "Womit haben wir das verdient" kommt eineinhalb Jahre nach dem Kinostart ins ORF-Fernsehen. Hat sich Ihr Blick darauf verändert?

Peters: Nein, gar nicht. Das ist eine gut gemachte Komödie, von Eva Spreitzhofer fantastisch geschrieben, über die großen Herausforderungen des Patchwork-Zusammenlebens, vom Leben mit Teenagern und ihren radikalen Ansichten. Wenn man sich selbst für politisch und inhaltlich avanciert hält und mit den eigenen Youngstern konfrontiert wird, die dann hundertmal radikaler sind als man selbst, und wie man das dann moderieren soll, das sind wichtige Fragen. Denn eigentlich ist man ja stolz, dass sie sich politisch verhalten, aber in dem Falle geht es in eine Richtung, die eine feministische Mutter nicht für ihre Tochter möchte. Nämlich dass sie zu Hause eine Burka trägt.

Caroline Peters bei der Beratungsstelle.
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Man sagt ja gerne: Ach, es sind ja nur die Rechten, die so gegen Muslime sind. Nein, man kann auch feministisch und ehrbilligend sein und sagen: Bitte trag keine Burka, vor allem nicht bei mir in der Wohnung in meinem Badezimmer. Der Film ist lustig, spielerisch, beschäftigt sich aber mit einem wichtigen Thema. Wir leben ja mit mehreren Religionen in Europa, und wir müssen irgendwie miteinander klarkommen.

STANDARD: Wie halten Sie es mit der Religion? Spielt sie in Ihrem Leben eine Rolle?

Peters: Gar nicht, weder habe ich das Gefühl, mich besonders von der Kirche distanziert zu haben, noch ihr nahezustehen. Ich bin in den 80er-Jahren konfirmiert worden, meine Familie ist protestantisch. In der Zeit war man in Westdeutschland von Religion weit entfernt. Alle Schulkinder haben gesagt: Ich mache das nur wegen der Geschenke. Diesen Grund hat auch niemand infrage gestellt. Aus dieser Zeit kommt mein religiöses Erlebnis, nämlich gar keines.

STANDARD: Wie würden Sie reagieren, wenn in Ihrem Umfeld eine 16-Jährige zum Islam konvertiert und plötzlich ein Kopftuch trägt? Würden Sie Ihre Stimme erheben und versuchen, sie davon abzubringen?

Peters: Erheben würde ich meine Stimme nicht, ich würde aber sehr wohl viel herumdiskutieren. Ich würde das so wenig verstehen, auch aus der Sicht eines Menschen, der sich an gar keine Religion gebunden fühlt. Es stellt sich schon einmal die Frage, warum es überhaupt so wichtig ist, an eine Religion gebunden zu sein, dass man sein tägliches Erscheinungsbild dem zuordnen muss. Da geht es bei mir schon los. Und zum Zweiten würde ich ihr wirklich die Frage stellen: Hast du nicht das Gefühl, dass das total frauenfeindlich ist als Lebenskonzept? Und wenn du das Gefühl nicht hast, warum? In dem Punkt bin ich sehr deutsch: Ich würde nicht schnell handeln, aber es wahnsinnig diskutieren. (lacht) (Oliver Mark, 23.5.2020)