Jetzt hebt die Grüßerei wieder an. Vor Corona war auf der Hausstrecke noch eine seelige Ruh, inzwischen tummeln sich dort wieder Chopper, Supersportler und jede Menge Tourenbikes. Und in schöner Regelmäßigkeit nun auch wieder die Polizei. Die hat sogar einen Kasten aufstellen lassen, der mit einem freundlichen Blitzen grüßt. Die anderen, also außer der Polizei, die heben brav die Hand, wenn sie einem anderen Motorradfahrer begegnen. Warum? Keine Ahnung. Dieses Denken der individuellen Freiheit in der Gruppe will sich mir nicht erschließen. Wenn ich in der Gruppe unterwegs sein will, fahr ich Bus.

Die Motorradfahrer trauen sich wieder raus, und sie fühlen sich als geschlossene Gruppe, deren Teilnehmer sich bei Sichtung freundlich grüßen.
Foto: BMW

Die Polizei steht, wenn sie das tut, immer oben am Berg, misst amtlich den Topspeed auf einer der beiden Zwischengeraden. Die Feinde stehen auf beiden Seiten im Tal, präsentieren dort ihre neuen Bikes, das neue Tourengwand in Warnwestengelb oder das Rennleder mit Höcker und glänzend-neuen Knieschleifern. Bullen wie Biker stieren dabei immer wieder brav in die Gegend, auf der Suche nach anderen Motorradfahrern. Die Polizei nach den Schnellen und Lauten, die ihnen Geld abliefern sollen, die Parkplatz-Biker nach den Langsamen und Leisen, die sie dann auf der Strecke erst verfolgen und dann zu überholen versuchen. Es hat auf beiden Seiten ein bisserl was von einer Jagd. Mir macht allerdings nur selten jemand die Freude, mich herauszuforden. Das wild eingestürzte Leder dürfte mehr über mich aussagen, als mir lieb ist. Es verleiht einem anscheinend die Aura eines wilden Hundes – auch wenn man mit den erlaubten 70 an den Burschen vorbeizuckelt.

Heimspiel

Unlängst tat ich das mit der neuen BMW F 900 R, die ich nach der Präsentation vor einigen Monaten nun auch ausgiebig daheim testen durfte. Ein selten schöner Spaß, weil die nackerte Mittelklasse von BMW perfekt zur Haustrecke mit weiten, engen, hängenden und zumachenden Kurven passt. Alle 105 PS braucht man nicht für den 70er, erst recht nicht, wenn man ein Auto vor sich hat – ja, natürlich ist dort Überholverbot, was aber die meisten Zweiradfahrer eher wenig interessiert. Aber fein ist es trotzdem, dass BMW die 800er nun zur 900er machte – und damit deutlich schärfer. Zwei Fahrmodi sind serienmäßig verbaut – Rain und Road – wie auch ABS und die Automatische Stabilitätskontrolle ASC, die auch abschaltbar ist.

Die BMW F 900 R, unweit vom neuen Kasten mit dem Blitzlicht.
Foto: Guido Gluschitsch

Das Testbike hatte noch weitere Fahrmodi – BMW gibt der Presse eher selten die Brot-und-Butter-Ware – und auch sonst das eine oder andere Gustostückerl verbaut, wie die Traktionskontrolle DTC, das schräglagenabhängige ABS, Schaltassistent und sogar das neue Kurvenlicht. So kommt diese F 900 R auf stattliche 12.964 Euro. Der Einstiegspreis liegt deutlich niedriger und fängt bei 9.990 Euro an – und das Bike erfüllt seinen Zweck auch.

Die Konnektivität macht auch vor dem Motorrad nicht Halt. Aber man muss sein Telefon ja nicht verbinden – und darf trotzdem Drehzahl und Geschwindigkeit ablesen.
Foto: Guido Gluschitsch

Serienmäßig ist das 6,5 Zoll große TFT-Display verbaut, das auch diverse Konnektivitätslösungen bietet. Die muss man aber nicht nutzen, wie ich bemerkte, man kann auch einfach nur Motorradfahren und sich über die Vollständigkeit der Anzeigen freuen. Sehr gut ablesbar ist der Bildschirm witzigerweise immer – und ich hab mich echt bemüht, nach der Ausnahme zu suchen. Leider. Das Kastl ist einwandfrei.

Ziemlich arg ist der kurze Endtopf. Er hat einen guten Klang, ist aber nie laut und schaut ziemlich gut aus.
Foto: Guido Gluschitsch

Ein echtes kleines Leider ist mir aber dennoch aufgefallen. Das ist das Fassungsvermögen der 13 Liter großen Tanks. Da hätt ich mir noch drei, vier Liter mehr gewünscht. Die Tanks selbest sind aber schon ziemlich lässig. Sie sind aus einem leichten Kunststoff geschweißt, eine Weltneuheit, wodurch das Gewicht am oberen Ende des Motorrades reduziert wird und der Schwerpunkt tiefer liegt. Darum wird man sich das vermutlich auch nicht mit drei, vier Litern mehr Sprit im Tank wieder zusammenhauen wollen.

Die Knopferl am Lenker werden auch immer mehr. Mit Drehrad und Wippschalter surft man durch die verschiedenen Menüs, der Plastikgroßglockner dahinter ist das Bedienelement für den Tempomaten.
Foto: Guido Gluschitsch

Und was die Agilität angeht, da ist die F 900 R schon recht fein, und das trotz des fetten 180er-Hinterrreifens, der halt zudem noch gut ausschaut – überhaupt mit dem schwebenden Heck. Optisch ist dieses Motorrad sowieso eine Wucht. Sie schaut gefährlicher aus, als sie dann in Wirklichkeit ist. Die 105 PS aus dem Zweizylinder mit einer Kurbelwelle mit um 90 Grad versetzten Hubzapfen und über 270/450 Grad Zündabstand reißen dir nie die Arme aus und metern trotzdem ordentlich an. Es ist ein gelungenes Allround-Bike, sehr einfach zu fahren und ordentlich ausgestattet. Die F 900 R gibt es auch mit 48 PS für A2-Führerscheinbesitzer. Ein Grund, warum die R so fein zu fahren ist, liegt aber abseits des Motors.

Von hinten schaut sie noch mächtiger aus als von vorne. Da macht der dicke Hinterreifen schon was her.
Foto: Guido Gluschitsch

Oder sagen wir knapp drüber. An der Sitzposition nämlich. Mit 815 Millimetern Seriensitzhöhe muss man kein langer Lulatsch sein, um sich sicher zu fühlen, und für alle gilt: Man sitzt nicht auf dem Motorrad, sondern in dem Fall im Motorrad und ist herrlich integriert. Anfänger und Wiedereinsteiger können sie kinderleicht über den Lenker fahren, Geübtere werden ihre Freud daran haben, wie diese Naked auf Gewichtsverlagerung und Rastendruck reagiert. Sie gibt herrliches Feedback und damit sofort viel Selbstvertrauen, ohne dabei trügerisch zu sein. Doch durch die überraschend niedrige Sitzposition ist sogar das Knieschleifen im Kreisverkehr eine lustige Spielerei, wenn man das will. Das tun wir aber nicht, gell, weil sonst haben wir keine Hand zum Grüßen frei. Und das müssen wir jetzt wieder machen, vermutlich bis Oktober. (Guido Gluschitsch, 26.5.2020)