Strache und Gudenus (von links) auf Ibiza – im Bild ist auch J. H., der im Video den Begleiter der falschen Oligarchennichte mimt. Sein Anwalt äußert im STANDARD heftige Kritik an den österreichischen Behörden.

Foto: Spiegel/SZ

Er gilt als einer der besten und gefürchtetsten Anwälte Deutschlands: In seiner Karriere hat Johannes Eisenberg nicht nur die "taz" mitgegründet, sondern unteren anderen auch Julian Assange, den Chaos Computer Club, Mitarbeiter des Bundesnachrichtendiensts sowie zahlreiche Prominente und Politiker vertreten. In diese Riege reiht sich J. H. ein, der als Urheber des Ibiza-Videos gilt. In diesem ist er zumindest als Begleiter der falschen Oligarchennichte zu sehen. Deshalb ermitteln die österreichischen Behörden. Die Art und Weise, wie sie das tun, kritisiert Eisenberg im Gespräch mit dem STANDARD deutlich – gegen beteiligte Staatsanwälte und Richter hat er bereits Anzeigen eingebracht.

STANDARD: Sie vertreten einen der mutmaßlichen Urheber des Ibiza-Videos, der im Clip selbst zu sehen ist. Ist Ihr Mandant untergetaucht?

Eisenberg: Ich bestätige ausdrücklich nicht, daß mein Mandant an dem Video beteiligt ist. Mein Mandant ist ordentlich polizeilich gemeldet. Ich sehe nur nicht ein, dass er sein Gesicht in eine Talkshow hält und sein Erscheinungsbild preisgibt, um sich dann von Heckenschützen liquidieren zu lassen.

STANDARD: Gab es Morddrohungen?

Eisenberg: Wir haben in Deutschland erlebt, dass der Landrat Walter Lübcke erschossen wurde, dass eine jüdische Feier in einer Synagoge angegriffen werden sollte. Und wir wissen, dass Strache ein Idol der europäischen Rechten war – und das Video ein Super-GAU. Damit liegt eine Gefährdung für alle Beteiligten auf der Hand. Ja, es gab Morddrohungen.

STANDARD: Die österreichischen Behörden haben offenbar Schwierigkeiten, auf Ihren Mandanten zugreifen zu können.

Eisenberg: Wenn man mir mitteilt, was man von Herrn H. will, und ihn sehen möchte, dann werde ich das ermöglichen. Soweit ich weiß, muss sich aber auch in Österreich niemand selbst belasten, und jeder Beschuldigte darf schweigen. Wir werden darauf achten, dass Herr H. nicht an falscher Stelle zur Verantwortung gezogen wird.

STANDARD: Die heimischen Behörden wären so eine falsche Stelle?

Eisenberg: Ich richte einen zentralen Vorwurf direkt an die österreichischen Behörden – die ich nicht kenne, ich bin ja Berliner. Nach der Ausstrahlung des Ibiza-Videos wurden in absichtsvoller Form Nebenstraftatverdächtigungen entwickelt. Diese konstruierten Vorwürfe gehen zurück auf die Ermittlungshandlungen eines Polizeibeamten, der am Tag nach der Ausstrahlung des Videos Liebes- und Durchhalte-SMS an Strache geschickt hat.

STANDARD: Spielte dieser Polizist in der Soko Tape eine so wichtige Rolle?

Eisenberg: Er hat zum Beispiel jenen Zeugen einvernommen, der dann die Vorwürfe des Drogenverkaufs an drei Personen durch H. geäußert hat. Der Zeuge war zum Zeitpunkt der Vernehmung durch den Beamten wegen Verleumdung angeklagt, kam aber Ende Juni 2019 nicht zum Prozess und wurde volltrunken angetroffen. Nun hätte ich als deutscher Strafverteidiger erwartet, wenn jemand sagt, H. habe an drei Leute Betäubungsmittel verkauft, dass man diese angeblichen Kunden befragt, um die Vorwürfe zu überprüfen. Das ist nie geschehen. Ich habe Anfang 2020 diese Leute angeschrieben, jeder hat den Vorwurf von sich gewesen – einer sagt sogar, er habe H. zu dem genannten Zeitpunkt gar nicht gekannt.

STANDARD: Ihrem Mandanten wird vorgeworfen, Strache nach Erscheinen des Videos erpresst zu haben. Was sagen Sie dazu?

Eisenberg: Der Vorwurf ist völlig an den Haaren herbeigezogen – und geht auf denselben Beamten zurück. Herr Strache selber, aber auch seine beiden Anwälte sagen: "Wir wollten das Video nicht kaufen. Man konnte uns damit nicht erpressen." Sie wollten immer wissen, wie sie an H. herankommen, deshalb der inszenierte Videokauf über einen angeblichen Mittelsmann. Da frage ich mich ja auch: Was wollten sie eigentlich von H.? Die wollten ja wohl keinen Kaffee mit ihm trinken ...

STANDARD: Aber wozu sollten die heimische Behörden derartige Vorwürfe konstruieren, wie Sie es nennen?

Eisenberg: Mithilfe dieser Tatvorwürfe der Erpressung und des Betäubungsmittelhandels konnte man umfassende Ermittlungsmaßnahmen vornehmen, die beim Vorwurf der heimlichen Tonbandaufnahme nicht möglich gewesen wären. Man griff auf die sogenannte Europäische Ermittlungsanordnung zurück, in diesem Fall wohl so exzessiv wie noch nie zuvor.

STANDARD: Was ist darunter zu verstehen?

Eisenberg: Das funktioniert so: Ein österreichisches Ermittlungsorgan beantragt eine Maßnahme, die in Deutschland stattfinden soll. Ein österreichisches Gericht ordnet dann etwa an: eine Hausdurchsuchung in München. Telefonabhörung, massenweise Fluggastdaten- oder Telefondatenerhebungen aus Funkzellen et cetera. Diese Anordnungen schickt man anschließend als Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) auf vorgefertigten Formularen ohne Akten an die deutschen Behörden. Die prüfen nicht etwa selbst, ob der Tatverdacht begründet ist, sondern lediglich formal, ob eine sogenannte Katalogtat bezeichnet worden ist. Und dann sagen die: Jaja, Erpressung und Drogenhandel wäre hier theoretisch auch mit diesen Maßnahmen verfolgbar, also ordnet das deutsche Gericht die Maßnahme ebenfalls an. Die Maßnahmen laufen dann ohne weitere inhaltliche Prüfung durch. Das ist europäische Rechtshilfe.

STANDARD: Wie können Betroffene dagegen vorgehen?

Eisenberg: Der Betroffene erfährt davon zunächst nichts. Wenn er dann nach der Durchführung der Maßnahme sich bei dem zweitanordnenden deutschen Gericht beschwert, dann sagt das: Wir können dir da nicht helfen, wir handeln im Rahmen der europäischen Abkommen. Wenn, dann musst du dich in Österreich beschweren. Da haben sie aber diese Sachverhalte konstruiert, um die deutschen Behörden loszuschicken. Außerdem erklären die Österreicher: Das war gar nicht unsere Maßnahme, das müsst ihr in Deutschland beanstanden. Die EEA ist ein neues europarechtliches Strafverfolgungssystem, das entwickelt wurde von Strafverfolgern. Der Betroffenenrechtsschutz ist nicht entwickelt worden, der muss dringend nachgebessert werden.

STANDARD: Wie wurde das Instrument von österreichischen Behörden genutzt?

Eisenberg: Sie haben Autos in Deutschland angemietet, die zuvor von meinem Mandanten gemietet waren, und haben sämtliche Daten ausgelesen, also zu den Whereabouts des Autos, dessen Zielen in dem Navigationssystem und so weiter. Sie haben sogar meine persönlichen Wohnortdaten ermittelt, offenbar in der Überlegung, das Ibiza-Video könnte bei mir sein; da könnte man ja mal beim Anwalt privat die Wohnung durchsuchen – hat man dann zwar nicht umgesetzt, aber so war das Denken. Sie haben hunderttausende Daten aus Funkzellen erhoben, um ein Handy meines Mandanten herauszufiltern. Es hat sie irre gemacht, dass sie bis heute kein aktives Handy fanden, das sie abhören konnten. Der Mann soll ja Detektiv sein und weiß, wie man polizeifern kommuniziert.

STANDARD: Wegen dieser Maßnahmen gehen Sie nun juristisch gegen deutsche und österreichische Staatsanwälte, Polizisten und Richter vor?

Eisenberg: Wenn wir sagen, dass die von vornherein wussten, dass es weder eine Erpressung noch einen Betäubungsmittelvorwurf gab, der gerechtfertigt war; wenn die sich auf Lügner als Zeugen verließen, ohne Entlastendes zu suchen; wenn ein Ermittler mit affektiver Bindung zu Strache mitmischt und von Rachegedanken geleitet wird – dann muss man sich fragen, ob das noch ein Behördenhandeln unterhalb der Schwelle des offenen Missbrauchs und einer Straftat ist.

STANDARD: Dann gibt es ja noch den Vorwurf der Urkundenfälschung, weil Anwalt M. offenbar Gudenus falsche Kontoauszüge und Passkopien der angeblichen Oligarchin gezeigt hat.

Eisenberg: Ein absurder Vorwurf. Wir sagen: Das Vorlegen einer Kopie ist keine Urkundenfälschung. Denn dazu braucht es Täuschung im Rechtsverkehr. Die Schilderung von Gudenus selbst zeigt aber, dass die Kopien vorgelegt wurden, um die Bereitschaft zu sozialen Kontakten aufzubauen – also dem Treffen in der Finca.

STANDARD: Bestreiten Sie, dass die heimliche Aufnahme von Strache und Gudenus strafbar war?

Eisenberg: Das schlichte Aufnehmen ist in Spanien keine Straftat, wenn man an dem Gespräch selbst beteiligt ist. Außerdem gibt es eine Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft in Hamburg – für die Journalisten des "Spiegel" und die Überlasser des Videos an den "Spiegel"; in München für Journalisten der "SZ", und mittlerweile ein Urteil in Wien vom Obersten Gerichtshof (OGH), dass die Aufnahmen von öffentlichem Interesse sind und die Verbreitung daher gerechtfertigt ist.

STANDARD: Allerdings nennt der OGH die Herstellung des Videos rechtswidrig.

Eisenberg: Weil das Gericht davon ausgehen musste, dass es den Ibiza-Hintermännern nur ums Geld ging. Nur hat sich in diesem Verfahren der beschuldigte Anwalt M. nicht geäußert, das wird er dann wohl im Hauptverfahren machen. Das Gericht musste daher von dem einseitig von Gudenus vorgetragenen Sachverhalt ausgehen. Nach der mir bekannten Grundrechtslage ist der Schutz des Whistleblowers nicht davon abhängig, ob er damit auch Geldeinkünfte verbinden will – ohne dass ich einräumen will, dass das so war. Aber allein der Umstand, dass jemand Geld verdient – das machen Journalisten und Autoren und Wissenschafter ja auch.

STANDARD: Das Geld sollte der finanziellen Absicherung des Bodyguards dienen, der schon 2015 belastendes Material gegen Strache gesammelt hatte, heißt es. Was wissen Sie davon?

Eisenberg: Das ist nur in unserer Akte drinnen, weil einer der Anwälte von Strache oder Gudenus das hineingereicht hat.

STANDARD: Offenbar wandten sich Anwalt M. und Bodyguard R. 2015 an jenen Beamten, der jetzt die Soko Tape leitet. Was sagen Sie dazu?

Eisenberg: Ich weiß nicht, über welche Qualität von Polizeibeamten die Republik Österreich verfügt. Aber es wird wohl den einen oder anderen fähigen Kripo-Beamten geben. Daher wundert mich schon, dass dieser Mann die Soko leitet. Ihm war im März 2015 dargelegt worden, dass ein Zeuge aus dem Umfeld des Strache bereit war, zu massivem Untreueverdacht gegen Strache (weil der von Parteigeldern mittels gefälschter Belege den privaten Unterhalt seiner Familie bestritten haben soll) und zu Bargeldempfang des Strache Angaben zu machen, wenn ihm Zeugenschutz gewährt würde. Es wurde sogar mitgeteilt, wo Strache das Geld aufbewahrt haben soll, nämlich im Parlamentsbüro. Bei uns hätte es sofort Ermittlungen gegeben, wegen Untreue und Geldwäsche. Der Mann hat damals die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt. Und jetzt ermittelt er gegen den Anwalt M., der ihm diese Informationen damals angeboten hat. Es scheint doch so, dass die Falle des Ibiza-Videos erforderlich wurde, weil die Informationen des Anwalts nicht ausreichten, um Ermittlungen auszulösen. Das war also eine Art rechtsstaatliche Nothilfehandlung, geboren aus der Weigerung der österreichischen Strafverfolgungsbehörden, den Verdachtsanzeichen nachzugehen. Der Soko-Chef ermittelt gegen den Anwalt möglicherweise auch, um von seinem Versagen im Jahr 2015 abzulenken. Er hat es nicht für nötig gehalten, diesen Vorgang zum Inhalt unserer Ermittlungsakte zu machen. Wir wissen das nur, weil einer der Strache-Gudenus-Anwälte das in unsere Akte gebracht hat. Ich habe nicht den Eindruck, dass eine kritische Distanz zu Ermittlungshandlungen und Ergebnissen des Strache liebenden Polizisten seitens seiner Soko-Kollegen oder des Staatsanwalts oder der Gerichte festzustellen ist. Die Kritik wurde aus der Akte herausgehalten – uns ist das erst durch Berichterstattung des STANDARD bekannt geworden. Wir kannten das nicht, die SMS zwischen Strache und dem Polizeibeamten!

STANDARD: Von den österreichischen Behörden haben Sie offenbar keine allzu gute Meinung.

Eisenberg: Wenn ich mir die ersten Entscheidungen zum Video in unteren Instanzen anschaue, ist augenfällig, dass man unglaubliche Volten schlägt, um die Herstellung und Ausstrahlung zu kriminalisieren und Straches Verhalten zu entlasten. Da wird gesagt: "Der hatte ja kein Amt." Oder: "Auch ein Politiker hat Anrecht auf eine Privatsphäre." Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, dass ein Politiker das Recht haben soll, in der Privatsphäre korruptive Verabredungen zu treffen – und dass der, der in diese eindringt, dann die Straftat begeht! Da muss man rechtsblind sein und Grundrechte geradezu verachten!

STANDARD: Wie erklären Sie sich diese Vorgänge, auch in der Soko Tape?

Eisenberg: Ich habe immer gedacht, Österreich sei ein zivilisiertes Land. Aber entweder ist die FPÖ seit Jahrzehnten Staatspartei mit Einfluss auf Besetzungen von Entscheidungsstellen, oder das Ibiza-Phänomen war kein individuelles Phänomen von Strache, sondern ein weiter verbreitetes und ein akzeptiertes Verhalten. Straches Chuzpe wurde ja erst so sichtbar durch die Ton- und Bildaufnahmen, das sagte ja auch Ihr Bundespräsident. Jetzt sieht man: Nicht das schmutzige Nest wird ausgeräumt, sondern der Nestbeschmutzer wird verfolgt. Mich wundert, dass die politische Führung das hinnimmt. (Fabian Schmid, 22.5.2020)