Der Unmut über die Corona-Maßnahmen nimmt zu. Das merkt man in den sozialen Medien, auf der Straße oder im Freundeskreis.

Manche demonstrieren, andere schreiben Leserbriefe oder teilen ihre Meinungen via Facebook. Die meisten diskutieren nur mit Freunden oder grummeln leise vor sich hin: "Das ist alles übertrieben." Die große Mehrheit der Bevölkerung in Österreich sowie auch weltweit unterstützt die Corona-Maßnahmen und ist weiterhin bereit, massive Einschränkungen zu akzeptieren. Aber die Zahl der Skeptiker und Kritiker wächst von Tag zu Tag.

Ihre Motive und Argumente sind unterschiedlich, und politisch reicht das Spektrum von rechts außen bis ziemlich weit nach links. Die folgende Typologie der Corona-Skeptiker ist nicht vollständig, und bei den meisten Menschen vermischen sich mehrere dieser Muster. Aber viele der Unzufriedenen, Wütenden oder Sorglosen werden sich hier wiederfinden – und andere ihre Kollegen, Nachbarn oder Verwandten.

1. DIE RECHTSEXTREMEN

Die Verteidigung der Grundrechte gehört nicht zum Kernprogramm rechtsextremer Gruppen. Aber in der Corona-Krise mischen sich immer öfter Ultrarechte unter die Demonstranten und tun so, als kämpften sie für Demokratie und Pressefreiheit. Sie sehen die Krise als Chance, um Stimmung gegen den verhassten Staat, Spitzenpolitiker, die Mainstream-Medien und Muslime zu machen.

In Deutschland warnte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, in einem Interview in der Welt am Sonntag davor, dass "Rechtsextremisten das Demonstrationsgeschehen instrumentalisieren". In Österreich sind die Identitären mit ihrem Chef Martin Sellner bei Corona-Demos meist dabei, als sehr kleine Minderheit.

2. DIE VERSCHWÖRUNGSEXPERTEN

Bill Gates will angeblich Impfungen gegen das Coronavirus verkaufen oder alle mit Chips versehen.
Foto: AFP / Tobias Schwarz

War es einst George Soros, ist es nun Bill Gates, der angeblich hinter dem Coronavirus steht, weil er der Welt seine Impfungen verkaufen oder alle mit Chips versehen will. Oder es sind die neuen 5G-Masten, die das Virus verbreiten, weshalb sie häufig attackiert werden.

In der auf Facebook millionenfach verbreiteten Pseudo-Doku Plandemic heißt es, der angesehene US-Regierungsberater Anthony Fauci strebe samt globalen Eliten mit dem Virus und einer Impfung nach Reichtum und Macht. Die einen sehen im Virus einen Plan, einen Teil der Weltbevölkerung auszurotten, die anderen halten die Pandemie für eine große Lüge. Viele glauben beides. An Widersprüchen in ihren Theorien stoßen sie sich nicht.

3. DIE ALTERNATIVDENKER

Sie sind selbst Forscher oder von Wissenschaft fasziniert und folgen leidenschaftlich dem Prinzip, dass jede These hinterfragt und womöglich falsifiziert werden muss. Tatsächlich stellen sie jede Theorie infrage, selbst wenn es dazu einen weltweiten Fachkonsens gibt. Aus dieser Einstellung heraus sehen die einen den vom Menschen verursachten Klimawandel als Irrtum oder Lüge, die anderen nun die Gefährlichkeit von Covid-19.

Es ist nur eine Handvoll von Rebellen, die täglich hinausposaunt, Covid-19 sei nicht schlimmer als eine Grippe und alle Beschränkungen daher sinnlos. Aber die Thesen von Sucharit Bhakdi, Wolfgang Wodarg und Co stoßen im Internet auf sehr viel Widerhall.

4. DIE IMPFGEGNER

Seit 200 Jahren gibt es Impfungen, und sie haben mehr Menschen das Leben gerettet als jedes andere Arzneimittel. Dennoch lehnen viele Menschen Impfungen grundsätzlich ab. Impfgegner finden sich im rechten wie auch im linksalternativen Milieu, oft unter Akademikern. Diese misstrauen Konzernen im Allgemeinen und der Pharmaindustrie besonders.

Sie leben ökologisch, essen biologisch und glauben fest an die Homöopathie. Wissenschaftliche Erkenntnisse akzeptieren sie nur selektiv. Auch gegen Covid-19 wollen sie sich keinesfalls impfen lassen und sehen im Kampf gegen die Pandemie einen Versuch, sie dazu zu zwingen. Das lässt sie dann auch an der Gefährlichkeit des Virus zweifeln.

5. DIE FREIHEITSLIEBENDEN

In einer Kundgebung der FPÖ Wien wurde gegen den "Corona-Wahnsinn" protestiert.
DER STANDARD

Seit Ausbruch der Corona-Krise greift der Staat so stark in das individuelle Leben ein wie noch nie in Friedenszeiten, was viele Menschen empört. Sie wehren sich gegen die rigiden persönlichen Beschränkungen und sehen die Freiheit und Demokratie in Gefahr. Die Aussicht auf Corona-Apps, Immunitätspässe oder verpflichtende Registrierungen lässt sie erschaudern.

Wenn dann noch das Versammlungsrecht eingeschränkt und Demonstrationen von der Polizei gewaltsam aufgelöst werden, ist das Szenario der kommenden Diktatur perfekt. Auch Politiker und Parteien, die sonst die Staatsmacht gerne für ihre Zwecke einsetzen, spielen mit dieser Angst, so etwa die FPÖ mit dem "Corona-Wahnsinn".

6. DIE UTILITARISTEN

Jede Maßnahme hat Nutzen und Kosten, und Utilitaristen wägen das stets gegeneinander ab. Bei Corona geht es ihnen neben den wirtschaftlichen Folgen auch um indirekte gesundheitliche Schäden. Mediziner warnen davor, dass andere Krankheiten nicht behandelt werden oder psychische Leiden ansteigen. Und da viele Covid-19-Opfer betagt und krank sind, würden die Maßnahmen nur wenige gesunde Lebensjahre retten.

Vertretern dieser Ansicht wird oft fehlende Empathie vorgeworfen, etwa dem Grünen Tübinger Bürgermeister Boris Palmer, der erklärte: "Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären." Aber in weniger krasser Form wird dieses Denken weit geteilt.

7. DIE HEDONISTEN

Die Corona-Maßnahmen bedeuten Verzicht, und viele Menschen wollen einfach nicht auf Treffen mit Freunden, gemeinsamen Sport, Kultur oder Reisen verzichten. Sie halten das individuelle Risiko einer Covid-19-Infektion für gering und setzen darauf, dass sie selbst dann mit geringen Symptomen davonkommen würden.

Sie sind von keiner Ideologie motiviert, sondern wollen einfach das Leben weiter genießen und setzen sich daher, wo immer es geht, über die Regeln hinweg. Die stark sinkenden Fallzahlen in Österreich scheinen ihnen recht zu geben. Dass sich die Epidemie rasch wieder ausbreiten würde, wenn sich alle Menschen so verhielten, zählt für sie nicht.

8. DIE GENERVTEN

Das Maskentragen im Zug, beim Einkaufen, beim Friseur oder anderswo im öffentlichen Leben ist mühsam, und der Nutzen scheint eher fragwürdig.
Foto: APA / dpa / Jens Büttner

Die Kinder waren wochenlang zu Hause statt in der Schule oder im Kindergarten, das Homeoffice macht das Arbeiten schwer. Die Hüftoperation, auf die man so lange gewartet hatte, wurde wieder verschoben, die Mutter im Altersheim kann nicht besucht werden, und wenn es wieder möglich wird, dann nur 15 Minuten lang.

Das Maskentragen im Zug, beim Einkaufen, beim Friseur oder anderswo im öffentlichen Leben ist mühsam, und der Nutzen scheint eher fragwürdig. Viele Menschen haben im Prinzip nichts gegen die Corona-Maßnahmen, aber sie leiden im Alltag darunter und hinterfragen daher zunehmend ihren Zweck. Sie sind ja nicht grundsätzlich dagegen, aber fragen laut: Geht das alles nicht mit weniger Zwang?

9. DIE ENTTÄUSCHTEN

Zahlreiche kleine Unternehmer und Selbstständige haben zu Beginn der Maßnahmen dem Versprechen der Regierung vertraut, man werde ihre finanziellen Verluste zum Großteil ersetzen, koste es, was es wolle. Zwei Monate später ist Ernüchterung eingetreten: Die Hilfe blieb bisher vollständig aus oder sie war viel geringer als erhofft – und die bürokratischen Auflagen treiben die Antragssteller in den Wahnsinn.

Viele Angestellte etwa in der Gastronomie, die auf Kurzarbeit gehofft hatten, wurden stattdessen gekündigt. Für Millionen Österreicher bringt die Corona-Krise schwere finanzielle Einbußen, für manche wird sie zur Tragödie. Kein Wunder, dass sich viele dann fragen: War das alles notwendig?

10. DIE KURZ-KRITIKER

Nehmen wir an, Christian Kern wäre immer noch Bundeskanzler und Pamela Rendi-Wagner seine Gesundheitsministerin: Die meisten linksliberalen Wähler würden selbst die strengsten Corona-Maßnahmen mittragen. Auch Angela Merkel würden sie in Deutschland bereitwillig folgen. Aber Sebastian Kurz misstrauen viele, die an der Gefahr des Virus nicht zweifeln.

Sie werfen ihm Übertreibungen und Angstmache vor und haben ihm im Verdacht, dass er die Krise zum Ausbau der Macht nutzen will. Die Präsenz der Grünen beruhigt sie nur wenig. So wird auch in Kreisen, wo das Wohl der Unternehmer sonst nicht so viel zählt, vor den Schäden für die Wirtschaft gewarnt und eine raschere Lockerung gefordert. (Eric Frey, 24.5.2020)