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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron präsentierten einen Vorschlag, wie der Wirtschaftskrise in der EU beizukommen sei. Nun gibt es einen Gegenvorschlag.

Foto: Kay Nietfeld/Pool via REUTERS/File Photo

Anfang der Woche haben die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihren Vorschlag gemacht, wie die EU als Ganzes aus der Krise kommen könnte. Es braucht ihnen zufolge neben den Nothilfen auf nationaler Ebene gigantische EU-Investitionen, die die Nationalstaaten allein nicht aufbringen können: einen gemeinsamen "EU-Wiederaufbaufonds".

Politisch gesehen war der deutsch-französische Plan ein gewaltiger "Aufschlag". Denn Merkel und Macron haben mit jahrzehntelangen Tabus gebrochen: Es soll der EU-Kommission erlaubt werden, sich in bisher undenkbarer Höhe zu verschulden. 500 Milliarden Euro Fondsvolumen entsprechen nicht weniger als aktuell drei ganzen EU-Jahresbudgets von rund 150 Milliarden Euro. Das meiste EU-Geld geht heute regulär an Bauern und ärmere Regionen, nicht in Innovation und Start-ups.

Ablehnung der "sparsamen Vier"

Die Gelder aus dem Wiederaufbaufonds sollen nach dem Willen von Merkel und Macron in Form nicht rückzahlbarer Zuschüssen an EU-Krisenstaaten verteilt werden. Der Fonds würde auf den regulären EU-Budgetrahmen noch draufgesattelt.

Genau das war der Grund, warum die sogenannten "sparsamen Vier" in der EU – die kleinen Nettozahlerstaaten Niederlande, Österreich, Schweden, Dänemark – sofort ablehnend reagierten. Man sei nicht grundsätzlich gegen einen Wiederaufbauplan, lehne aber die Schuldenübernahme für andere ab. Und Hilfsgelder (vor allem an Spanien und Italien) sollten nicht als Zuschüsse, sondern nur als Kredit (rückzahlbar) vergeben werden.

Alternativplan liegt vor

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte in Absprache mit den anderen an, dass "die Vier" einen Gegenvorschlag präsentieren würden. Dieser Alternativplan liegt nun vor. Er wurde auch deshalb mit Spannung erwartet, weil die vier Länder ideologisch völlig verschieden regiert werden. In Dänemark und Schweden gibt es Linksregierungen unter Führung der Sozialdemokraten. Der niederländische Premier Marc Rutte ist ein exponierter Liberaler. Kurz steht einem türkis-grünen Kabinett vor. Die Niederlande und Österreich sind Kerneuropäer, bisher bei allen Integrationsschritten vorne mit dabei.

Die Ablehnung von Kurz, Rutte & Co fällt nun gar nicht so radikal aus, wie es zunächst geklungen hat. Denn auch im "Gegenkonzept" wird betont, dass ein gemeinsamer Wiederaufbaufonds eine zentrale Rolle spielen solle: "Wir schlagen deshalb einen temporären, einmaligen Nothilfefonds zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung und zur Widerstandsfähigkeit unserer Gesundheitssektoren für mögliche künftige Wellen vor."

Keine Gesamtsumme

Eine Zahl nennen sie nicht. Allerdings haben die vier andere Vorstellungen davon, wie der Topf gefüllt werden soll bzw. welche Rolle die nationalen Regierungen und ihre Finanzminister dabei spielen sollen: Die Nothilfe soll einmalig und auf zwei Jahre befristet sein und zusätzlich zu einem modernisierten Finanzrahmen und zu dem bereits beschlossenen Rettungspaket von 540 Milliarden Euro eingerichtet werden. "Wo wir aber nicht zustimmen können, sind jegliche Instrumente oder Maßnahmen, die zu einer Vergemeinschaftung von Schulden führen oder zu bedeutenden Steigerungen im EU-Budget", heißt es in dem Positionspapier.

Für den Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas (ÖVP), ist der Vorschlag der "Sparsamen Vier" den "Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen".

Das sieht das Konzept von Merkel und Macron jedoch gar nicht vor. Darin würde die Kommission Anleihen begeben. Aufgrund des Superratings, das die EU durch die Garantien ihrer Mitgliedstaaten hat, könnten so locker 500 Milliarden Euro aufgenommen werden, mit sehr langen Laufzeiten. Die Schulden müssten dann über die Jahre hinweg von der Kommission auch wieder bedient werden. Das soll nach Plänen der Kommission weniger durch Beiträge, die die Staaten nach Brüssel überweisen, als durch neue Eigenmittel der EU geschehen. Sprich Steuern, etwa über Klima oder Energieabgaben, womit sich auch inhaltlich in eine bestimmte Richtung steuern ließe.

Anderes Finanzierungsmodell bevorzugt

Kurz, Rutte, die Dänin Mette Frederiksen und der Schwede Stefan Lövfen würden ein anderes Modell der Finanzierung bevorzugen, wie man es bereits vor zehn Jahren bei den Eurorettungspaketen geschaffen hat: den ESM. Auch dieser wurde von den Eurostaaten garantiert, mit Grundkapital ausgestattet, und er hat jene hunderte Milliarden Euro auf den internationalen Finanzmärkten aufgetrieben, die ab 2011 an Griechenland, Irland, Portugal etc. vergeben wurden.

Die Mittel flossen aber in Form von (billigen) Krediten und waren mit strengen Reformauflagen verbunden – Geld, das die Nehmerstaaten über extrem lange Laufzeiten zurückzahlen müssen. So sollte das nach dem Willen der "sparsamen Vier" nun auch beim Wiederaufbaufonds laufen. Die Staaten, nicht die Kommission, wären also in der Vorhand bei Entscheidungen.

Insider in der Kommission, die an diesen Plänen seit Wochen tüfteln, weisen nun darauf hin, dass beide Positionen realistischerweise nicht zu 100 Prozent umsetzbar seien – sie dienten vielmehr als Einstiegspositionen für harte Verhandlungen.

Gefahr der Spaltung der Eurozone

Und das hat schlichte ökonomische Gründe: Da betroffene Staaten – hier insbesondere Italien – bereits jetzt sehr hoch verschuldet sind, würde es ihnen schwerfallen, immer noch mehr Kredite in den Staatsfinanzen zu verbuchen. Wenn ihnen die EU-Partner nur in Form von Krediten unter die Arme greifen würden, verschlechterte sich ihre fiskalische Position in der Eurozone. Die Spaltung der Eurozone würde vorangetrieben. Der Aufschwung würde gehemmt, was längerfristig natürlich aber auch auf die wichtigsten Handelspartner – vor allem von Italien und Frankreich – negativ durchschlägt: Im Fall von Italien sind das gerade Deutschland und Österreich, dessen Handelsbilanz besonders stark von Italien abhängt.

Daher ist es aus Sicht von Merkel und Macron vernünftig, wenn man für eine begrenzte Zeit eine Art echte gemeinsame Fiskal- und Wirtschaftspolitik macht, indem man Gelder als Zuschüsse in Krisenregionen schleust, die das in der Corona-Krise dringend brauchen. Da die Mitgliedsländer ihre EU-Beiträge nicht erhöhen wollen (oder können), überlässt man die Finanzierung der Kommission.

Zukunftsprojekte finanzieren

Angenehmer Nebeneffekt: Auf diese Weise lassen sich auch große EU-Zukunftsprojekte in den Bereichen Klimaschutz, Digitalisierung oder Gesundheit finanzieren, die man sich gemeinsam mit der Kommission und von der Leyen vorgenommen hat. In diesem Punkt gibt es sogar gemeinsame Interessen der widersprüchlichen Konzepte: Der Wiederaufbaufonds stünde allen Staaten offen, nicht nur Italien und Spanien. Wer entsprechend gute Zukunftsprojekte hat, könnte sich diese von der EU-Kommission finanzieren lassen.

Vor allem würde dies den Sparmeistern im Streit um den regulären EU-Budgetrahmen bis 2027 einen Vorteil bringen. Die Niederlande, Österreich und Dänemark drängen darauf, dass ihre Beiträge ins EU-Budget mit einem Prozent der Wertschöpfung, des BNP, begrenzt werden. Je großzügiger der Wiederaufbaufonds dotiert werde, desto weniger müsse man ins reguläre EU-Budget einzahlen, können sie dann argumentieren.

Das befürchten vor allem die mittel- und osteuropäischen Länder von Polen über Ungarn bis Bulgarien, die von Agrar- und Kohäsionstöpfen am meisten profitieren. Wenn nun über den Wiederaufbau wieder viel Geld nach Südeuropa, nach Italien und Spanien, fließt, könnten sie am Ende durch die Finger schauen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die Visegrád-Staaten unter Führung Ungarns demnächst noch ein eigenes Konzept präsentieren. (Thomas Mayer, 23.5.2020)