Im Grunde wäre es gut, wenn Österreich sich als so etwas wie der "siebente Gründerstaat" der Europäischen Union versteht. Dieses Bonmot hat Manfred Scheich geprägt, der geistige Wegbereiter des EU-Beitritts.

Der frühere Spitzendiplomat im Außenministerium war es, der ÖVP-Chef Alois Mock in den 1980er-Jahren von der Notwendigkeit der Annäherung an die damalige EWG überzeugte. Seinem Rat folgte auch SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky, als es 1986 darum ging, ob man die "Beitrittsperspektive" ins Regierungsprogramm aufnehmen solle.

Die Europäischen Union wurde von sechs Ländern gegründet, Deutschland, Frankreich, Italien und den drei Beneluxländern.
Foto: imago/Ralph Peters

Als studierter Ökonom wusste Scheich, wo der Platz eines kleinen, westorientierten, föderalen Industrielandes sein sollte, trotz Neutralität: im "Kern" der EU. Die Gemeinschaft wurde 1957 von sechs Ländern gegründet, Deutschland, Frankreich, Italien und den drei Beneluxländern. Mit ihnen war Österreich als "Siebenter" ab 1995 bei der Integration immer ganz vorne dabei – und hat enorm profitiert.

Das klingt wie ferne Geschichte, ist aber brandaktuell in Tagen, wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz nun mit drei kleinen Ländern einen "Gegenentwurf" zum deutsch-französischen EU-Wiederaufbauplan präsentiert. Dabei verlässt er als erster österreichischer Regierungschef die große Linie, die das Land seit fast vier Jahrzehnten fährt: weg vom Kern, hin zur Gruppe der "sparsamen vier".

Bei denen gibt der rechtsliberale niederländische Premier Marc Rutte den Ton an. Mit Dänemark und Schweden sind zwei Freihändlerländer an Bord, die nie zu Kerneuropa gehören wollten. Sie sind auch nicht in der Währungsunion. Kurz kann gewiss gute Argumente vorbringen, warum er bei gemeinsamen EU-Schulden skeptisch ist, darauf schauen muss, dass Zahlungen ins EU-Budget in Grenzen bleiben. Das ist seine Aufgabe. Viel wichtiger aber ist: Er muss aufpassen, dass Österreich nicht aus Kerneuropa ausscheidet, wo es zum eigenen Vorteil hingehört. (Thomas Mayer, 22.5.2020)