Premier Netanjahu muss ich wegen Vorwürfen der Korruption ab Sonntag verantworten.

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Benjamin Netanjahu hatte alles versucht, um diesen Moment zu verhindern: Seinen Auftritt vor dem Richtersenat, der über Schuld und Unschuld in drei Korruptionsanklagen entscheiden muss. Am Sonntag um 15.30 Uhr beginnt der lang erwartete Strafprozess an einem Jerusalemer Bezirksgericht.

Sein letztes Manöver war am vergangenen Mittwoch abgewehrt worden: Netanjahus Anwälte hatten den Antrag gestellt, dem ersten Verhandlungstag fernbleiben zu dürfen. Die Richter lehnten es ab: Es sei unvermeidlich, dass der Angeklagte mit eigenen Ohren hört, was ihm angelastet wird. Zumal er ja auch selbst entscheiden muss, ob er sich schuldig oder unschuldig bekennt.

Die Vorwürfe wiegen schwer. Betrug, Untreue und Bestechlichkeit werden dem Langzeitpolitiker angelastet. Allein für Bestechlichkeit drohen bis zu zehn Jahre Strafe. Hier sieht es die Anklage als erwiesen an, dass Netanjahu sich für gesetzliche Regelungen stark gemacht hat, die dem Telekom-Gigangen Bezeq nutzten – im Tausch gegen freundliche Berichterstattung auf der Bezeq-eigenen Internetplattform Walla.

Erstmals amtierender Politiker angeklagt

Es ist nicht das erste Mal, dass ein hochrangiger israelischer Politiker wegen schwerer Verbrechen vor Gericht steht. Es ist aber das erste Mal, dass ein amtierender Politiker betroffen ist, noch dazu ein Regierungschef.

Viele, so auch Yuval Shany vom Israel Democracy Institute, sind der Meinung, dass Netanjahu von sich aus hätte zurücktreten müssen. "Sonst wird man sich bei allem, was er als Politiker unternimmt, fragen, ob es nur ein Ablenkungsmanöver von seinem Gerichtsverfahren ist", so Shany.

Der Premier dachte nicht an einen Rücktritt, im Gegenteil: Er ließ sich seine Position an der Regierungsspitze sogar durch ein neues Gesetz einzementieren. Sein Koaltiionspartner Benny Gantz half ihm dabei – zum Teil auch aus Angst, dass sonst keine Regierung zustande kommen und das Land auf die vierten vorgezogenen Neuwahlen in Folge zusteuern würde.

330 Belastungszeugen

Sollte sich Netanjahu nicht schon am ersten Verhandlungstag schuldig bekennen – was als eher unwahrscheinlich gilt – steht dem Gericht ein monströses Beweisverfahren bevor. Die Anklage hat über 330 Belastungszeugen befragt und wird die meisten von ihnen auch vor Gericht hören wollen. Spannend werden vor allem die Aussagen der Kronzeugen. Es handelt sich um frühere enge Mitarbeiter Netanjahus, die zum Teil selbst in die mutmaßlich kriminellen Machenschaften verwickelt waren und wegen ihrem Beitrag zur Aufklärung eine schonende Behandlung bekommen.

Genau hier werden die Anwälte Netanjahus einhaken: Sie werden behaupten, dass die Kronzeugen nicht aus freien Stücken gegen den Premier ausgesagt haben, sondern sich dazu gezwungen sahen. Damit stehe die Objektivität der Anklage unter Zweifel, das Grundrecht auf ein faires Verfahren werde verletzt. Es wird erwartet, dass die Anwälte am ersten Prozesstag diverse Anträge stellen, die vor allem einen Zweck haben: das Beweisverfahren so weit wie möglich nach hinten zu verschieben.

Aus heutiger Sicht starten die Zeugenbefragungen im September. Sollten die Anwälte mit ihren Einsprüchen erfolgreich sein, könnten sie sich aber auch auf das kommende Jahr verschieben.

Attacken gegen Generalstaatsanwalt

Im Vorfeld des Prozessauftakts kam es wieder zu schweren Attacken gegen den Anklageführer, Generalstaatsanwalt Avichai Mendelblit. Der von Netanjahu einst ins Amt gesetzte Konservative wurde nach seiner Anklageerhebung zur Hassfigur der israelischen Rechten. Auf Pro-Netanjahu-Demonstrationen wird sein Konterfei als hässliche Fratze herumgetragen, und fällt sein Name in einer Rede, antwortet die Masse mit einem lauten Echo aus Buh- und "Schande!"-Rufen.

Der Hass wird von munter angestachelt, auch von höchster Seite. Einer der neu bestellten Minister aus dem Netanjahu-Lager behauptete etwa vor wenigen Tagen, Mendelblit sei ein verkappter Krimineller. Der Hetze zeigt Wirkung: In den vergangenen Wochen habe er regelmäßig Morddrohungen erhalten, sagte Mendelblit gegenüber Medien. Ein Ermittlungsverfahren ist im Gange. (Maria Sterkl, 24.5.2020)