Keine Zuschauer, keine Ballkinder, keine Linienrichter, nur ein Stuhlschiedsrichter. Am Montag starten in der Südstadt die Generali Austrian Pro Series, ein mit 151.750 Euro dotiertes Einladungsturnier. Belag ist Sand. Die 16 besten Tennisspieler und die acht besten Tennisspielerinnen aus Österreich machen mit. Mittendrin Dominic Thiem. Der 26-jährige Weltranglistendritte ist in Gruppe A engagiert, sollte am Montag gegen den Burgenländer David Pichler (ATP 479) beginnen, Regen verhinderte allerdings sämtliche Matches. Das Turnier beginnt nun am Dienstag. Um 16.00 Uhr (ServusTV) ist das Niederösterreicherduell Thiem vs. Lucas Miedler angesetzt.

Dominic Thiem kann wenigstens im kleinen Rahmen seinen Beruf wieder ausüben.
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STANDARD: Am Dienstag beginnen die Austrian Pro Series. Die Gegner sind nicht Novak Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer in Paris, sondern David Pichler, Sandro Kopp und Lucas Miedler in der Südstadt. Die Bälle müssen Sie selbst aufklauben. Freuen Sie sich trotzdem darauf, lautet das Motto "Besser als gar nix"?

Thiem: Es ist viel, viel mehr als gar nix. Das letzte Match ist ewig lang her, drei Monate, ein Wahnsinn. Es sind die Besten aus Österreich dabei, das ist auch hochkarätig.

STANDARD: Reden wir über Ihren Gemütszustand. Das letzte Match fand am 21. Februar in Rio statt, eine Viertelfinalniederlage gegen einen gewissen Herrn Mager. Dann kam Corona. Was ist Ihnen seither durch den Kopf gegangen, welche Phasen haben Sie durchlebt?

Thiem: Die Australian Open waren mit dem Finaleinzug unglaublich und anstrengend. Für Körper und Geist. Ich war in Rio richtig hin. In Los Angeles und Indian Wells war ich nicht wirklich erholt, hätte wohl ganz gut gespielt, aber die Absagen haben mir gar nicht so wehgetan. Dass weitere folgten, hat keiner realisiert. Dann war Miami Geschichte, wir sind heimgeflogen, und es wurde klar, dass die komplette Sandplatzsaison gestrichen wird. Die ersten eineinhalb Wochen daheim habe ich mich nicht ausgekannt. Ich war fit und gesund, bin in der Früh aufgewacht und hatte zum ersten Mal in meinem Leben kein Ziel vor Augen. Das war merkwürdig.

STANDARD: Empfanden Sie Selbstmitleid oder Zorn? Schließlich wurden all Ihre Träume auf unbestimmte Zeit verschoben.

Thiem: Ich war nicht wütend. Okay, ich kann meinen Beruf zurzeit nicht ausüben, aber ich hatte schon so viel Glück im Job. Selbstmitleid wäre komplett falsch. Ich habe die Situation akzeptiert, mich von Familienmitgliedern, die der Risikogruppe angehören, ferngehalten, befolgte Regeln, habe mir dauernd die Hände gewaschen. Ich versuchte, positive Sachen rauszuholen. Das Tennisleben ist ja sehr verrückt und schnelllebig. Ich habe das gemerkt, weil es auf einmal weg war.

"Vielleicht gibt es Geister-US-Open, vielleicht gehen wir zwei Wochen vor den Turnieren alle in Quarantäne."
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STANDARD: Hypothetische Frage: Glauben Sie, dass es heuer noch Turniere gibt?

Thiem: Vor ein paar Tagen hätte ich "Nein" gesagt. Jetzt kann ich es mir vorstellen. Sie haben ja auch gesagt, nur Urlaub in Österreich ist möglich, nun werden Grenzen geöffnet. Vielleicht gibt es Geister-US-Open, vielleicht gehen wir zwei Wochen vor den Turnieren alle in Quarantäne.

STANDARD: Beneiden Sie die Fußballer? In Deutschland wird wieder gespielt, in Österreich demnächst. Also wäre auch Geistertennis eine Option. Immerhin könnte man seinen Beruf wieder ausüben.

Thiem: Das Wichtigste bei Geisterspielen ist, dass die Leute daheim vor dem Fernseher wieder Live-Sport erleben. Für die Spieler ist es schon schwierig, aber doch alternativlos. Ich habe die deutsche Bundesliga verfolgt, wirklich getaugt hat es mir nicht. Aber es ist positiv, dass man Wettkampfatmosphäre spürt. Ganz gut wird es erst wieder mit Zuschauern.

STANDARD: Sie galten lange Zeit als Everybody's Darling, lieber Bua, idealer Schwiegersohn. Zuletzt wurden Sie verbal auffällig, Sie haben den von den "Großen Drei" – also Djokovic, Nadal und Federer – angeregten Hilfefonds für Spieler zwischen den Rängen 250 und 700 abgelehnt. Sie meinten sinngemäß, selber entscheiden zu wollen, wen Sie unterstützen. Es müsse keiner verhungern. Es folgten Shitstorms, Sie wurden auch von Kollegen kritisiert, man warf Ihnen mangelnde Solidarität und Gier vor. Der Thiem solle besser den Mund halten, so der Tenor. Wollen Sie die Dinge klarstellen?

Thiem: Klarstellen will ich eigentlich nichts, ich stehe zu dem, was ich gesagt habe. Das Problem war, dass eine Schlagzeile rausgenommen wurde, eine Verkürzung stattgefunden hat. Ich habe von Anfang an gesagt, dass sehr viele Spieler unterstützungswürdig sind. Aber ich war selber mehr als zwei Jahre auf der Future-Tour unterwegs. Da gibt es nicht so wenige, die nur herumhängen und es als schönes Leben ansehen. Das ist auch Fakt. Ich will selbst entscheiden, wem ich helfe. Ich unterstützte Spieler schon lange vor Corona, nenne aber keine Namen. Spenden ist Privatsache, eine Herzensangelegenheit. Das muss man nicht an die große Glocke hängen, nur um in der Öffentlichkeit toll dazustehen. Ich gebe Geld diversen Organisationen, die sich um Menschen, Tiere oder das Klima kümmern.

"Ich habe das Video nicht ganz angeschaut, es war sehr emotional, ist aber an den komplett falschen Adressanten gegangen."
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STANDARD: Sind Ihnen Shitstorms wirklich egal?

Thiem: Ja. Ich kriege auch welche, wenn ich Matches verliere. Das muss man als Sportler aushalten.

STANDARD: Es gab auch das Video der 21-jährigen Algerierin Ines Ibbou, der Nummer 620, auf Instagram. Natürlich haben Sie davor noch nie von ihr gehört. Ihre Worte rührten, sie ersuchte Sie, mehr Respekt zu zeigen. Tat das weh?

Thiem: Ich habe das Video nicht ganz angeschaut, es war sehr emotional, ist aber an den komplett falschen Adressanten gegangen. Es war eine Themenverfehlung. Das Einzige, was ich gesagt habe, ist, dass es Spieler gibt, die eine Unterstützung nicht verdienen. Dabei bleibe ich.

STANDARD: Zum Prinzipiellen: Fakt ist, vom Tennis können maximal 200 Spieler gut leben, ein paar Dutzend häufen ein Vermögen an. Natürlich, weil sie viel gewinnen. Vom Fußball leben weltweit zehntausende Spieler zumindest passabel. Okay, es ist ein Mannschaftssport, aber müsste man das System im Tennis nicht doch überdenken?

Thiem: Fußball muss man außen vor lassen, das ist mit Abstand die Sportart Nummer eins, die betreiben weit mehr Menschen als Tennis. Aber es passt bei uns einiges nicht zusammen. Dass die Allerbesten richtig gut verdienen, ist klar, das ist in vielen Sportarten so. Aber die Leute, die zwischen einhundert und dreihundert stehen, sind unglaublich starke Spieler. Es ist extrem schwierig, ein Challenger-Turnier zu gewinnen. Es kann nicht sein, dass man siegt und ein Minus erwirtschaftet. Weil man einen Trainer mitgenommen hat und ihn bezahlen muss. Da läuft viel falsch. Aber diese Schieflage soll und kann nicht der Thiem zurechtrücken, sondern müssen Verbände, Veranstalter und Funktionäre ändern.

STANDARD: Es gibt eine andere Baustelle, eine mit tiefen Gräben. Die im April 2019 erfolgte Trennung von Coach und Manager Günter Bresnik nach 17 gemeinsamen Jahren scheint von beiden Seiten noch immer nicht verarbeitet zu sein. Wäre es nicht an der Zeit, einen würdigen Schlussstrich zu ziehen?

Thiem: Ich bitte um Verständnis, aber ich möchte zum jetzigen Zeitpunkt nicht über dieses Thema sprechen.

Tennis darf wieder gespielt werden. Auch Golf ist erlaubt. Aber an ordentliches Handball- und Volleyballtraining ist nicht zu denken. Auch Schulsport ist gestrichen. Machen diese Regelungen Sinn? Darüber diskutierten wir bei "STANDARD mitreden" unter anderem mit Sport-Austria-Chef Hans Niessl, Karathe-Weltmeisterin Alisa Buchinger und Volleyballfunktionär Peter Kleinmann.
DER STANDARD

STANDARD: Die Verpflichtung von Thomas Muster zu Jahresbeginn in den Betreuerstab ist völlig in die Hose gegangen. Es war nicht zuletzt eine Idee Ihres Managers Herwig Straka, der ja mit Muster auch geschäftlich verbunden ist. Was haben Sie aus dieser Trennung, aus dieser Episode gelernt?

Thiem: Ohne Muster wäre alles genauso gelaufen. Ich bereue es nicht, es war definitiv einen Versuch wert, er ist eben die österreichische Tennislegende. Es hat halt nicht funktioniert, das war kein Drama. Ich wollte nicht zuwarten, darum erfolgte die Trennung noch während der Australian Open.

STANDARD: Ihr Vater Wolfgang Thiem will der große Macher im österreichischen Tennis werden. Mit einem Leistungszentrum in Alt-Erlaa und Traiskirchen macht er der Südstadt, also dem Tennisverband, Konkurrenz. Brechen Sie als folgsamer Sohn in irgendeiner Form mit dem ÖTV? Oder werden Sie im Daviscup, den Straka oft veranstaltet, zur Verfügung stehen?

Thiem: Ich sehe das entspannt, ich konzentriere mich auf meine Karriere. Ich bin froh, dass sich mein Vater auch um andere, etwa meinen Freund Dennis Novak kümmert. Ich breche mit niemandem. Will ich Daviscup spielen, spiele ich Daviscup. Einflüsse von außen hatte ich lange genug.

STANDARD: Noch eine hypothetische Frage: Würden Sie lieber über Turniersiege sprechen?

Thiem: Ja. Tennisspielen ist das, was ich am besten kann. Ich kann es kaum erwarten. Es geht jetzt leider noch nicht.

STANDARD: Kann man in dieser Zwangspause besser werden?

Thiem: Es ist für niemanden gut und schlecht. Ich war in Form, wurde vom Coronavirus ausgebremst. Nadal und Federer fehlt jedes Turnier, so viele haben sie aus Altersgründen nicht mehr, dafür können sie ihre Körper regenerieren. Tsitsipas und Medwedew drängten nach oben, sie hatten einen abrupten Abbruch. Ich versuche, mich zu verbessern, die Fitness passt.

STANDARD: Hassen Sie Corona?

Thiem: Nein, es hat auch ein paar gute Seiten, obwohl das blöd klingt. Die Umwelt erholt sich, vor Monaco schwimmen wieder Delfine. An diese Dinge sollte man auch ohne Virus denken. Das System war weltweit viel zu aufgeblasen, wir sollten künftig alles kleiner halten.

STANDARD: Apropos klein. Sind Sie Favorit gegen David Pichler?

Thiem: Ich denke schon. Aber ich habe seit drei Monaten kein Match gehabt. Und die Südstadt ist kein Heimvorteil mehr. Es werden coole Erinnerungen wach. Denn ich habe schon lange nicht vor null Zuschauern gespielt. (Christian Hackl, 25.5.2020)