Es ist ein ungewohntes Bild der Salzkammergut-Idylle: Die Straßen von St. Wolfgang sind menschenleer, und selbst im Weissen Rössl ist die Operetten-Fröhlichkeit seit Wochen dahin. Die Chefin des Hauses hat im großen Wintergarten Platz genommen. Nachdenklich schweift der Blick von Gudrun Peter über den Wolfgangsee.

STANDARD: Wie sehr sehnen Sie den 29. Mai herbei?

Peter: Wir sind Gastgeber aus Leidenschaft. Natürlich sehnen wir daher die Wiedereröffnung dringend herbei. Mir geht es persönlich unglaublich ab, Gästen Freude zu bereiten. Wenn man diesen Job gerne macht, dann ist das ein bisschen eine Sucht. Ein leeres Haus ist auf kurze Zeit zwischendurch für mich total entspannend. Aber nach drei Wochen wird es schwierig. Die Einzigen, die sich gar nicht freuen, sind meine Kinder, weil sie im Hotel nicht mehr Rollschuhlaufen können.

Für Rössl-Chefin Gudrun Peter ist St. Wolfgang ein "uralter heidnischer Kraftplatz". Sie hat die Welt gesehen, aber letztlich keinen schöneren Platz gefunden.
Werner Dedl

STANDARD: Sie wollten ja eigentlich Ihr Haus am 23. März aufsperren, die rund 100 Betten standen bereit. Dann kam der Lockdown. Wie haben Sie diese Phase erlebt?

Peter: Das Wichtigste ist natürlich die Gesundheit von Menschen. Das beschäftigt uns ja ohnehin täglich im Hotelalltag. Und selbstverständlich geht die Gesundheit der Menschen vor ...

STANDARD: Das klingt jetzt nach einem Aber.

Peter: Kein Aber. Das Abwägen ist die Frage. Ist das schwedische Modell das bessere, ist es der österreichische Weg? Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich bin nur eine blöde Wirtin. Keine Ärztin, keine Virologin, keine Wissenschafterin. Ich kann für mein großes Ganzes reden, aber ich bin nicht die WHO. Aber ich glaube schon, dass der Lockdown der einzig richtige Weg war. Anhand diverser Corona-Partys hat man ja gesehen, wie unvernünftig die österreichische Bevölkerung mitunter ist.

STANDARD: Aber zurück zur eigentlichen Frage – wie haben Sie als umtriebige Geschäftsfrau diese herausfordernde Zeit erlebt?

Peter: Man muss schon sagen, dass es nicht immer leicht war. Vor allem geht es ja auch darum, den Mitarbeitern Hoffnung zu geben – das ist ja das ganz große Thema, Wir sind ja aktuell 70 Mitarbeiter. Ein Teil davon ist in Kurzarbeit, aber es sind alle bei uns geblieben.

STANDARD: Holt man eigentlich den monetären Totalausfall wieder auf? Hat man da eventuell als weltweit bekanntes Traditionshaus einen gewissen Vorteil?

Peter: Die Frage an sich zeigt mir schon, wie wenig Verständnis in der breiten Masse der Bevölkerung für Tourismus vorhanden ist. Eine Bluse – oder ein Fahrrad, das ich jetzt in den fünf Wochen nicht verkauft habe, ist nach diesen fünf Wochen immer noch so gut, dass man es verkaufen kann. Vielleicht nicht mehr ganz so der neuste Schrei, und es haben sich die Einkommenssituationen vieler Menschen verändert. Aber die Bluse ist immer noch die Bluse.

Das Bett, das vom 1. auf den 2. April frei war, kann ich deswegen aber nicht an einem anderen Tag, wo das Haus voll wäre, mehr verkaufen. Unsere Leistung ist nicht lagerbar. Ich kann an einem anderen Tag nicht mehr verkaufen. Wenn der letzte Platz im Haus belegt ist, dann kann ich nicht mehr Umsatz machen. Aufzuholen ist es daher nicht. Diese drei Monate März, April, Mai sind einfach komplett verloren. Alleine im April hätten wir schon eine halbe Million Euro Umsatz gemacht und im Mai dementsprechend mehr.

Das war immer schon klar, dass ich nicht in die Politik gehe. Ich bin viel zu ehrlich, und dieses Geschlängel in der Politik geht für mich gar nicht.
Werner Dedl

STANDARD: Haben Sie die rigorose Vorgehensweise der Regierung verstanden? Es gab ja auch insbesondere aus dem Bereich der Hotellerie viel Kritik.

Peter: Natürlich war und ist das schwierig. Wir haben lange gewusst, dass wir am 29. Mai aufsperren dürfen, nicht aber, unter welchen Vorgaben. Das Schwierigste für mich ist, dass die Gäste anrufen und wissen wollen, wie die aktuelle Situation aussieht. Motto: "Die Regierung hat es zwar noch nicht verlautbart, aber ihr werdet es wohl schon wissen". Aber es ist ja toll, dass wir zumindest einen Termin haben.

STANDARD: Aber was ist an konkreten Hygienemaßnahmen in einem Hotel vorstellbar? Droht die Salzkammergut-Herzlichkeit nicht unter der Maske verlorenzugehen?

Peter: Man kann ja nicht aus. Eine Vorgabe ist eine Verordnung. Aber Arbeiten nach Corona wird ein anderes sein als Arbeiten vor Corona. Das ist unbestritten klar. Aber wir wissen, wie es im Gastronomiebereich geregelt ist. Das ist bei uns beim Frühstück oder Abendessen nicht anders. In den Zimmern selber ist der Gast ja ohnehin meist ohne Betreuung. Was noch spannend wird, ist der ganze Wellnessbereich. Was uns aber am allermeisten beschäftigt, ist das Thema der Reisefreiheit. Bei uns ist zwar der österreichische Gast der Nummer-eins-Gast. 35 Prozent Österreicher, 25 Prozent Deutsche und 13 Prozent Briten. Und man sieht, da fehlt noch viel. Der Rest kommt aus der ganzen Welt. Aus bis zu 70 Nationen.

Da wäre es natürlich für die Kalkulation spannend zu wissen, ob die Grenzen geschlossen sein werden. Ich brauche nur einen Zeithorizont. Wenn jetzt die Regierung sagt, dass vor dem 1. August nicht mit deutschen Gästen zu rechnen ist, dann kann ich zumindest die deutschen Gäste anschreiben und sagen: "Bitte, gebts eure Zimmer zurück." Dann habe ich die Zimmer für den Verkauf an Österreicher. Aktuell habe ich das Problem, dass manche Zimmerkategorien ausgebucht sind. Nur weil ich als Wirtin glaube, dass der Amerikaner nicht kommen wird, kann ich dem Gast nicht sagen, ich überbuche jetzt. Das war noch nie unsere Philosophie. Ich bin meinem Stammgast gegenüber im Wort. Der hat im Vorjahr schon gebucht, und dem kann ich nicht einfach absagen.

STANDARD: Weckt dieser hörbare Unmut über die aktuelle politische Arbeit in Ihnen nicht auch die Lust, selbst in die Politik zu gehen. Immerhin war Ihr Vater Helmut Peter politisch viele Jahre höchst aktiv.

Peter: Nein, nein und nochmals nein. Das war mir immer schon klar, dass ich nicht in die Politik gehe. Ich bin ganz die Falsche für dieses Metier. Ich bin viel zu ehrlich, und dieses Geschlängel in der Politik geht für mich gar nicht. Ein Berater und lieber Freund der Familie hat einmal zu mir gesagt: "Gudrun, ziel doch einmal eine Handbreit daneben, es trifft immer noch ins Schwarze." Aber ich kann nicht weniger direkt sein.

STANDARD: Sie sind die fünfte Rössl-Wirtin der Familie. War eigentlich immer schon klar, dass Sie das Hotel übernehmen werden?

Peter: Ja. Das war immer klar. Als Kinder haben wir immer den Film nachgespielt. Und ich hab immer gesagt, ich spiel nur mit, wenn ich die Rössl-Wirtin spielen darf. Da war ich, glaube ich, sechs oder sieben. Diese ganze Phase "Wenn ich groß bin, werde ich Krankenschwester" ist spurlos an mir vorübergegangen.

STANDARD:Die Frauen haben über Generationen in der Familie Peter immer eine wichtige Rolle gespielt. Was hat man richtig gemacht?

Mir war das Salzkammergut immer lieber als die Wiener Partyszene, sagt Peter.
Werner Dedl

Peter: Wir haben die Männer immer in die Politik geschickt. Das hat sich einfach so ergeben bei uns in der Familie. Dadurch, dass teilweise die Generationen-Abstände sehr groß waren, sind einfach die Männer oft früher verstorben, und die Frauen haben dann alleine den Betrieb weitergeführt, bis die Söhne so weit waren.

STANDARD: Aber spürt man in so einem Traditionshaus nicht auch einen gewissen Familiendruck? Hätte es überhaupt die Möglichkeit gegeben, Nein zu sagen?

Peter: Überhaupt nicht. Es war immer mein großer Wunsch. Mein Vater hat sogar zu mir einmal gesagt "Lern doch was Gescheites". Erst als er gemerkt hat, dass es das ist, was ich gerne machen möchte, hat er mich voll unterstützt. Man liebt oder man hasst diese Branche einfach. Dazwischen gibt es einfach nichts. Entweder man hat dieses "für Menschen da sein wollen" oder man hat es nicht.

STANDARD: Sie leben mit Ihrer Familie und Ihren drei Kindern im Hotel. Ist das nicht schwierig, wenn die Grenzen zwischen Beruf und privat so verschwimmen?

Peter: Wir haben einen eigenen Eingang, wir müssen also nicht ständig durch das Hotel gehen. Aber natürlich, es ist alles Fluch und Segen. Und natürlich denkt man sich manchmal, ich hätte gerne eine Almhütte, in die ich flüchten kann. Aber es nutzt ja nichts: Es gibt keinen schöneren Platz auf dieser Welt für mich. Für mich ist mein Balkon meine persönliche Kraftquelle. Diese Berge, dieser See, dieser uralte heidnische Kraftplatz. Das hat einfach was. Selbst als ich in Wien studiert habe, bin ich jedes Wochenende heim nach St. Wolfgang gefahren. Mir war das Salzkammergut immer lieber als die Wiener Partyszene.

STANDARD: Wie schmal ist der Grat zwischen Moderne und Tradition? Reicht das Peter-Alexander-Image samt lustiger Singspiel-Kulisse alleine heute noch aus?

Peter: Das Weisse Rössl ist wie eine alte Eiche. Die alte Eiche braucht einen gesunden Boden, in dem die Wurzeln drinnenstecken. Und sie braucht den Platz nach oben, um sich zu entfalten. Und genauso ist es bei uns. Wir brauchen das Fundament, wo wir wissen, da kommen wir her – das ist unsere DNA, gegen die wir nichts tun können. Und man kann so ein Haus nur mit den Dingen erfolgreich führen, von denen man selbst überzeugt ist. Es gibt für mich keine Arbeitszeit – es ist immer Lebenszeit.

STANDARD: Aber Hand aufs Herz: Können Sie tatsächlich "Im Weißen Rössl am Wolfgangsee" noch hören?

Peter: Das läuft hier in unserem Hotel in der Dauerschleife. Ich würde als Souffleuse sofort durchgehen. Textlich bin ich absolut sattelfest. Mit den Noten vielleicht nicht so ganz. Aber ehrlich: Schaltet man als Österreicher den Donauwalzer ab? Oder geht einem da nicht doch immer ein wenig das Herz auf. (Markus Rohrhofer, 24.5.2020)