Angela Merkel, die vor wenigen Monaten noch als Lame Duck galt, ist beliebter denn je.

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Merkel muss weg! Es gab Zeiten, da schallte dieser Ruf der deutschen Kanzlerin jeden Tag entgegen. Die Deutschen schienen sie einfach sattzuhaben und sich nach Abwechslung zu sehnen.

Natürlich gibt es jetzt auch einige, die sie am liebsten schon im Ruhestand sehen würden. Aber im Großen und Ganzen herrscht in Deutschland das Motto: Gut, dass Merkel jetzt, in der großen Krise, immer noch da ist.

Kein Wunder, dass so mancher schon darüber sinniert, ob sie nicht auch noch ein wenig bleiben könnte, nämlich über die Bundestagswahl 2021 hinaus. Das wäre dann Merkels fünfte Amtszeit.

Beliebter denn je

Aus heutiger Sicht spricht einiges dafür: Merkel, die vor wenigen Monaten noch als Lame Duck galt, ist beliebter denn je. Sie hält in der Corona-Krise die Fäden zusammen, und die Deutschen sind auch mit ihrem Krisenmanagement zufrieden.

Zudem weiß man immer noch nicht, wer eigentlich nach ihr kommen könnte. Der CDU-Parteitag, der nicht nur einen neuen Chef, sondern auch mehr Klarheit über die Nachfolge hätte bringen sollen, ging im Corona-Chaos verloren. Erst im Dezember werden sich Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen matchen, und der Sieger wird dann vielleicht mit CSU-Chef Markus Söder um die Kanzlerkandidatur rittern.

Viel Kraft und Zeit

Bis dahin wird Merkel auf jeden Fall gebraucht. Und es gibt ja auch in Europa noch Gewaltiges zu leisten. Dass sie – gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron – dazu bereit ist, demonstriert sie mit dem Wiederaufbauplan von Berlin und Paris, dessen Umsetzung noch viel Kraft und auch Zeit kosten wird. Zudem bedarf es der politischen Erfahrung. Wer in Europa könnte mehr davon vorweisen als Merkel?

Doch der Wunsch, Merkel möge es in Deutschland und auch in Europa immer und immer weiter richten, entspringt der aktuellen Ausnahmesituation. In dieser gelten andere Maßstäbe. Die Kanzlerin, die schon in Richtung Abenddämmerung unterwegs war, steht plötzlich wieder im Rampenlicht.

Merkel auf ewig?

Irgendwann, hoffentlich früher als später, wird sich aber die Lage wieder normalisieren. Dann wird auch Merkel zu Recht wieder kritischer gesehen werden und sich so mancher, der jetzt noch Fan ist, fragen: Merkel auf ewig? Nein, danke ...

Vielleicht werden da auch in der Union Erinnerungen an das Jahr 1998 wach. Helmut Kohl war damals Kanzler, man war ihm immer noch sehr dankbar für die deutsche Einheit. Kohl wollte dieses Wohlwollen für sein Lebenswerk nutzen und trat noch einmal als Kanzlerkandidat an, obwohl Wolfgang Schäuble schon lange als Kronprinz bereitstand.

Profit von der Corona-Krise

Doch der unbelehrbare Kohl überschätzte sich, Gerhard Schröder (SPD) siegte und warf den Amtsinhaber aus dem Amt. Dieses Schicksal könnte auch Merkel drohen, wenn sie sich tatsächlich entschließen sollte, noch einmal anzutreten. Eine der Voraussetzungen allerdings wäre, dass es einen ebenso starken Gegenkandidaten gibt wie 1998 mit Gerhard Schröder. Das wäre bis vor kurzem Grünen-Chef Robert Habeck gewesen, aber so, wie Merkel von der Corona-Krise profitiert, leidet er unter ungewohntem Desinteresse an seiner Person.

Auch das kann sich wieder ändern, wenn in der Post-Corona-Krisen-Zeit der Wunsch nach Wechsel lauter wird. Dann ist Merkel sicher nicht mehr das, was sie jetzt ist: alternativlos. (Birgit Baumann, 25.5.2020)