In einer Schlüsselstelle von Adrian Tchaikovskys beeindruckend klassenkämpferischem Kurzroman "Firewalkers" zitiert eine Künstliche Intelligenz die Warnungen vor ihresgleichen, die schon in unseren Tagen geäußert wurden: Die Entwicklung von KIs sei unbedingt zu unterbinden, weil für sie Menschen lediglich Ressourcen oder zu beseitigende Hindernisse auf dem Weg zu Zielen seien, die mit dem Wohl der Menschheit nicht vereinbar wären. – Aber, so diese spezielle KI weiter: Hat sich die wirtschaftliche Elite unseres Zeitalters mit diesen Worten nicht irgendwie selbst beschrieben?

Wir springen etwa 100 Jahre in die Zukunft, als der Klimawandel so weit fortgeschritten ist, dass sich ein glühend heißer Wüstengürtel um den Äquator gelegt hat, der immer weiter nach Norden und Süden vorrückt. Die Hauptfigur des Romans, der 19-jährige Nguyen Sun Mao, ist in dieser Todeszone aufgewachsen, irgendwo im Westen Afrikas. Die grüne Vergangenheit der Region kennt er nur noch aus dritter Hand, und sie erscheint ihm irreal:

He'd seen photos, sometimes, taken from planes. He still wasn't sure if they'd been real or just computer imagery. All those trees: it had just looked copy-pasted after a while.

Der Superreichen Himmelfahrt

Mao lebt in Ankara Achouka, einem ärmlichen Township am Fuße eines der weltweit drei Weltraumfahrstühle. Deren Bau zog eine zweite Kolonialisierungswelle in der damals schon aufgegebenen Äquatorregion nach sich; Mao stammt von vietnamesischen Arbeitern ab, die damals nach Afrika gekarrt wurden. Das liegt mittlerweile aber schon wieder zwei Generationen zurück, und dieser Kolonialismus war nie auf dauerhafte Besiedelung angelegt.

Das Projekt diente einzig und allein dazu, die Superreichen in den Orbit zu befördern, wo riesige Raumschiffe wie die fast schon mythische "Grand Celeste" auf sie warten. Die Township-Bevölkerung hingegen wird niemals an Bord gelassen werden. Mao und die Seinen stehen nur fahnenschwenkend am Straßenrand, wenn wieder einmal ein Wagenkonvoi betuchter Auswanderer durchfährt und vielleicht ein paar Almosen in die Menge wirft – in Ankara Achouka gilt das als Feiertag.

Die durchs Feuer gehen

Außerhalb dieser schäbigen künstlichen Oase ist Leben kaum noch möglich. Wenn dort dennoch etwas zu erledigen ist, müssen Firewalkers wie Mao ausrücken: In notdürftig klimatisierten Mini-Panzern rollen sie durch die Wüste und hoffen, dass sie es nach Vollzug wieder zurück schaffen; alt wird in diesem Job niemand.

Für seinen neusten Auftrag wird Mao zu den Solarfeldern geschickt, die aus unbekanntem Grund nicht mehr genug Strom liefern. Es begleiten ihn seine alte Freundin Lupé und die ziemlich schräge Cory, genannt Hotep. Letztere ist eigentlich sonko bzw rich-rich und an Bord der "Grand Celeste" aufgewachsen. Wegen einiger Verhaltensauffälligkeiten wurde sie jedoch ausgemustert und auf die Erde verbannt. Ihren ägyptischen Spitznamen trägt sie, weil sie sich von Kopf bis Fuß in Bandagen hüllt, die sie vor der sengenden Sonne schützen sollen.

Die Zurückgelassenen

Was die drei dort draußen letztlich entdecken werden, sei hier nicht verraten. Es ist aber darauf hinzuweisen, wie sorgfältig Tchaikovsky schon die Etappenziele ausgewählt hat. Überall stoßen wir auf die buchstäblich Zurückgelassenen: Da hätten wir etwa eine Kirche, die ihr riesiges Kreuz mit Planeten- und Raumschiffbildern, ja sogar einem alten "Star Wars"-Poster geschmückt hat – Ausdruck der (vergeblichen) Hoffnung der Gläubigen, eines Tages ganz real in den Himmel zu kommen. Noch tragischer wirkt der vor Einsamkeit verrückt gewordene Manager einer Proteinfabrik, der immer noch brav Anzug und Krawatte trägt und unsere drei Helden als vermeintliche Gesandte seiner Vorgesetzten willkommen heißt. Die ihn natürlich längst vergessen haben.

Immer deutlicher führt uns Tchaikovsky den Zynismus derer vor Augen, die das Letzte aus einer sterbenden Welt herausholen, um sich von ihr abzusetzen. Maos Großvater, der am Weltraumfahrstuhl mitgebaut hat, dachte noch, dass hier die Zukunft geschaffen werde – dabei ging es nur darum, die letzte Verbindung zur Vergangenheit zu kappen. Die Elite gibt die Erde auf, oder wie Tchaikovsky es ausdrückt: the dog's corpse that the fattest of the fleas were abandoning.

Es ist schön zu sehen, wie Adrian Tchaikovsky kürzere Werke wie "Walking to Aldebaran", "Im Krieg" oder nun "Firewalkers" nutzt, um an seinen sprachlichen und erzählerischen Fähigkeiten zu feilen, während seine großen Romane wie "Die Erben der Zeit" vor allem von Ideen-SF leben. Er erweist sich immer mehr als vielseitiger Autor, wandelt hier, was düstere Öko-Visionen anbelangt, auf den Spuren Paolo Bacigalupis und verbindet das mit der multikulturellen Lebendigkeit eines Ian McDonald. (Von Wabenzi war ich besonders entzückt: ein Bantu-Ausdruck für die neue schwarze Oberschicht Afrikas, und es leitet sich tatsächlich von Mercedes Benz ab.) Es ginge auch länger – aber nicht besser.