Leere Straßen im Zentrum Roms während des Lockdowns. Die Sperren treiben die Geschäftsleute in den Ruin und in die Arme der Mafia.

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"Ich war verzweifelt, ich befürchtete, meine tavola calda (Imbiss-Bar) nie mehr aufmachen zu können", berichtete der Geschäftsinhaber Stefano aus dem süditalienischen Foggia vergangene Woche gegenüber der "Repubblica". Von der Bank habe er, trotz der Staatsgarantie für Corona-Kredite, kein zusätzliches Darlehen mehr erhalten. So habe er die Hilfe von "Freunden" angenommen, die ihm eine "schnelle Lösung" und 20.000 Euro angeboten hätten. Mit dem Geld habe er die Löhne seiner fünf Angestellten und einige Lieferantenrechnungen bezahlt.

"Zwei Wochen später kamen die 'Freunde' wieder zu mir und wollten sofort die 20.000 Euro zurück, plus 20.000 Euro Zinsen. Da wurde mir bewusst, was für einen entsetzlichen Fehler ich gemacht habe", berichtet der Bar-Inhaber. So wie Stefano geht es inzwischen unzähligen Kleinunternehmern, Selbstständigen und Familien, die sich wegen des Lockdowns ihres gesamten Einkommens beraubt sahen und denen das Wasser bis zum Hals stand: Die Wucherei ist das einzige Delikt, das in den letzten Monaten in Italien massiv zugenommen hat. Die übrigen Straftaten sind im Durchschnitt um über 60 Prozent zurückgegangen.

Insidertipps an die Mafia

Innenministerin Luciana Lamorgese hat deshalb Alarm geschlagen: "Es besteht die Gefahr, dass ganze Wirtschaftszweige in die Abhängigkeit der organisierten Kriminalität geraten." Tatsächlich steht hinter den Wucherern meist die Mafia: Sie verfügt über Bargeld im Überfluss. Wenn ein Schuldner den Kredit und die Wucherzinsen nicht begleichen kann, wird ihm in der Regel Gewalt angedroht. Meist besteht dann der einzige Ausweg für das Opfer darin, den Gläubigern sein Geschäft zu verkaufen – zu einem von den Gangstern festgelegten Spottpreis natürlich. Den Tipp, dass sich ein Geschäftsmann in finanziellen Schwierigkeiten befinde, erhalten die Clans nicht selten von untreuen Bankangestellten, Steuerberatern oder Treuhändern.

Hochkonjunktur haben die Wucherer vor allem in Süditalien, wo das organisierte Verbrechen stark verankert ist. Besonders aktiv in diesem trüben Geschäft ist die Camorra: In Neapel haben sich die Hilfegesuche bei der staatlichen Beratungsstelle für Wucheropfer in den letzten Wochen verfünffacht. Aber ein ähnliches Bild ergibt sich auch in Apulien, Sizilien und Kalabrien. Landesweit haben sich die Anfragen bei den Wucherberatungsstellen verdoppelt. Doch die Verdoppelung ist lediglich die Spitze eines Eisbergs: Weil sich viele Opfer dafür schämen, sich Geld bei der Mafia geliehen zu haben, ist die Dunkelziffer sehr hoch. Insgesamt wird das jährlich durch Wucherer vergebene Kreditvolumen in Italien auf 30 Milliarden Euro geschätzt.

Bürokratie

Das Innenministerium versucht seit langem, den Wucherern mit speziell ausgebildeten Ermittlern das Handwerk zu legen. Doch paradoxerweise ist es gerade der Staat, der in der gegenwärtigen Krise maßgeblich zum guten Geschäftsgang der Kredithalsabschneider beiträgt: Trotz zweier staatlicher Hilfspakete im Gesamtumfang von 80 Milliarden Euro warten immer noch rund vier Millionen vom Lockdown betroffene Italiener auf die versprochenen Hilfen in Form von Direktzuschüssen oder Kurzarbeitergeld. Sie haben seit Anfang März noch keinen Cent an staatlicher Unterstützung gesehen. Schuld daran trägt die wahnwitzige italienische Bürokratie, die den Wucherern in die Hände spielt.

Und wenn einmal nicht der staatliche Amtsschimmel wiehert, dann bremst die Bürokratie der Banken: Obwohl das erste staatliche Hilfspaket vom März auch eine Staatsgarantie für Kredite bis 25.000 Euro vorgesehen hat, vergeben die Kreditinstitute diese Corona-Darlehen nur mit dem Tropfenzähler. Die "Repubblica" hat unlängst vorgerechnet, dass ein Geschäftsmann, der einen Corona-Kredit beantragt, bis zu 18 Dokumentationen einreichen muss, die seine Kreditwürdigkeit und die ordnungsgemäße Führung seine Betriebs bestätigen – und das, wie erwähnt, für einen garantierten Kredit, bei dem die Bank nichts riskiert.

Aufwendige Prozeduren

"Es ist unbestritten, dass die Prozeduren für die staatlichen Hilfen viel zu aufwendig und langsam sind", betonte in diesen Tagen die nationale Anti-Schutzgeld-Kommissarin Annapaola Porzio. Das sei unhaltbar, denn "für hunderttausende kleine Betriebe geht es in diesen Tagen und Wochen um Leben oder Tod". Die organisierte Kriminalität dagegen könne in Echtzeit reagieren und kenne keine Regeln, an die sie sich halten müsste. "Wenn der Staat glaubwürdig bleiben und massenhafte Konkurse vermeiden will, dann muss er dafür sorgen, dass seine Liquidität ebenso rasch bei denen ankommt, die sie benötigten", betont die Kommissarin. (Dominik Straub aus Rom, 25.5.2020)